Hassfrucht Clementine: Das orange Vitaminenfeld

Jedes Jahr zum Advent ist die Vorfreude auf Clementinen groß. Doch dann: Zu weich, ja labbrig, wässrig, voller Kerne – ein Obst direkt aus der Hölle.

Ein Haufen Clemetinen, zum Teil mit Blättern

Lässig die Form wahrend: Mandarinenvorrat nach Großeinkauf Foto: syvox/photocase.de

Team Obstipation oder Team Fruchtdurchfall? Jetzt gilt’s. Auch die pflanzenscheusten Baumtomaten unter uns kommen dieser Tage um sie nicht herum: die Clementine.

In jeder Gesundschüssel liegen die orangen Bälle nun zu Dutzenden auf der Lauer, lässig die Form wahrend. Am günstigsten sind sie nämlich im roten Zehnkilonetz zu erwerben – ein jedes Jahr aufs Neue begangener Fehler, so wie im Frühling zur Schneeschmelze in gefrorene Hundehaufen zu treten. Denn nach den ersten drei vom hinterhältigen Lustzentrum so ersehnten Früchten warten dann ja immer noch neunkommasechseinhalb Kilo auf den Verzehr und warten und warten. Und schimmeln und schimmeln. Und verwesen und locken die Raubvögel an.

Auch wenn es nicht so weit kommen muss (wüste Beleidigungen halten die Scheißviecher in der Regel fern), stürzt die Clementine jeden noch so bedachten Menschen in ein Vitaminenfeld ohne Aussicht auf Rettung: Auf ihre besten Exemplare will man um keinen Keks der Welt verzichten, wird aber in der Praxis meist mit ihren schlechtesten abgespeist.

Erwartet die Lebefrau und der Lebemann eine pralle, klar definierte Komposition, möglichst ohne Fisselkram, die die Mundhöhle mit Frische und Säure von den Freuden auch des Winters überzeugt wie ein gutes Taufwasser den noch gesäugten Gläubigen von der Strenge der Kirche, so scheitern sie, die Genusssuchenden, in Wirklichkeit schon beim ersten Stück Schale, das nicht abzumachen geht, ohne dass man sich sauereimäßig Hose und Hand einsaftet. Überhaupt liegt ein seltsamer Klebefilm aus Teig, Saft und Soße über dieser ach so besinnlichen Zeit. Die Bibel ist nichts dagegen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Sind die geübten Hände endlich ins Innere der Lustkugel vorgedrungen und ist trotz Saftverlust noch etwas zu verzehren übrig, so versperrt ein neuerliches Hindernis die Befriedigung: erwähnter Fisselkram nämlich, in weißen Fäden an der Stückhaut hängend, seinerseits erneute Schälarbeit fordernd.

Und so vergehen die Minuten: Minuten der kostbar verrinnenden Lebenszeit, die nicht zu wiederholen sind. Das Kind sagt sein erstes Wort, der Eintopf wird kalt, die Oma dement. Die Clementine aber verlangt nach ungeteilter Aufmerksamkeit. Sie duldet keine Nebenbuhler.

Der Geschmack schließlich, die Konsistenz: auch meist enttäuschend. Zu weich, ja labbrig, wässrig, voller Kerne. Worauf haben wir uns da mal wieder eingelassen?

Na ja, vielleicht ist die nächste ja besser. Ganz bestimmt sogar.

Hmmm, Clementinen.

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Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.

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