piwik no script img

Hass gegen QueereEs sind die Verhältnisse, Chérie

Caspar Shaller
Kommentar von Caspar Shaller

Zerrüttete Gesellschaften erzeugen Gewalt, queere Menschen werden besonders oft zur Zielscheibe. Law-and-Order-Politik bietet dagegen keinen Schutz.

Szene auf dem Lesbisch-schwulen Stadtfest in Berlin-­Schöneberg Foto: Karsten Thielker

D as war mal wieder eine Woche, eine, die gekrönt wird vom Lesbisch-schwulen Stadtfest in Berlin-Schöneberg. Eine trans Frau gewinnt die Wahl zur Miss Niederlande, die Internettrolle heulen auf. Das neue rechte Medienportal Nius des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt und seines milliardenschweren Förderers Frank Gotthardt veröffentlichte eine niederträchtige Doku über trans Menschen, in der die Hetzer von Nius ernsthaft behaupten, „trans Aktivisten“ seien die größte Gefahr für die Demokratie.

Wie gefährlich das alles ist, sah man diese Woche in der Berliner Kriminalitätsstatistik: Ein lesbisches Paar wurde beleidigt, getreten und geschlagen, eine nichtbinäre Person verprügelt. Und das sind nur die Straftaten, die der Polizei gemeldet wurden. Ich höre fast jede Woche in meinem Umfeld von Beleidigungen und Gewalt auf der Straße.

Als Gruppe, die besonders bedroht ist, müssen wir uns überlegen, wie man gesellschaftliche Bedingungen schafft, in denen es uns gut geht. Manche queere Menschen haben darauf einfache Antworten: Law and Order. Stefan Evers, der schwule Berliner Finanzsenator von der CDU etwa fordert mehr Videoüberwachung als Werkzeug gegen queerfeindliche Gewalt. Nur: Mehr Polizei, härtere Strafen, mehr Überwachung, das geht meistens für diejenigen schief, die noch unter anderen sozialen Diskriminierungen leiden als Queerness. Evers ist cis, ein Mann, weiß, Deutscher und vor allem: bürgerlich.

Die Polizei war noch immer auf seiner Seite. Wer hingegen trans, weiblich gelesen, eine Person of Color oder einfach arm ist, wird schneller Opfer der Polizei, als von ihr geschützt zu werden. Es ist kein Zufall, dass in Frankreich der rechtsextreme Rassemblement National von Marine Le Pen zu den beliebtesten Parteien unter verheirateten schwulen Wählern gehört. Die sind meist älter und wohlhabender als Queers im Schnitt.

Kein guter Ort für Minderheiten

Auch hierzulande gibt es prominente queere Persönlichkeiten in Parteien des rechten Spektrums wie der AfD oder der CDU. Sie sind sich sicher, dass ihnen nichts passieren wird, sie sind ja geschützt durch ihre Hautfarbe und ihr Geld. Nach dem Brexit-Votum postete ein User einen Tweet mit einem brutalen Gleichnis: „Ich hätte nie gedacht, dass Leoparden mein Gesicht fressen“, weint die Frau, die die Leoparden-fressen-Gesichter-Partei gewählt hat.

Der Tweet ging viral, seitdem ist er ein Meme über Menschen, die von den Folgen ihrer eigenen politischen Handlungen überrumpelt wurden. Leute wie Stefan Evers, Jens Spahn und Alice Weidel und ihre queeren Un­ter­stüt­zer:in­nen müssen aufpassen, dass ihre Gesichter nicht von genau den Leoparden gefressen werden, die sie selbst losgelassen haben.

Eine zerrüttete Gesellschaft ist kein guter Ort für Minderheiten. Doch auch die angeblich progressive Regierung tut gerade das Ihre, um unsere Lebensbedingungen zu erschweren. Die eher liberale als linke Koalition nimmt den Menschen das Brot aus der Hand und gibt ihnen dafür eine Regenbogenflagge.

Die amerikanische Philosophin Nancy ­Fraser (nicht zu verwechseln mit unserer autoritären Innenministerin Nancy Faeser) prägte dafür den Begriff „progressiver Neoliberalismus“. Wo die Politik nur noch dem Kapital zudient, statt die wirtschaftliche Lage der Mehrheit im Blick zu behalten und dieser ein halbwegs gutes Leben zu ermöglichen, nutzt sie gerne die Sache von Minderheiten, um sich trotzdem einen fortschrittlichen Anstrich zu geben: Seht her, manchen Leuten geht es besser; euch nicht, aber diesen Leuten da drüben, die so anders leben als ihr.

Das ist eine zynische Instrumentalisierung von Minderheiten. Und diesen Minderheiten, auch uns, wird das schlussendlich am meisten auf die Füße fallen. Wenn sich Menschen in ihrer wirtschaftlichen Situation bedroht fühlen – sei es, weil sie bereits in die Armut oder Prekarität abgerutscht sind, sei es, weil sie sehen, wie schnell das gehen kann –, suchen sie sich Schuldige.

Im Landkreis Sonneberg, wo gerade ein AfD-Politiker zum Landrat gewählt wurde, leben besonders viele vom Mindestlohn. Dessen niederträchtige Minimalerhöhung um nur 40 Cent in Zeiten anhaltender Inflation ist ein Schlag ins Gesicht all dieser Menschen. Und wer geschlagen wird, will seine Wut und seinen Schmerz weitergeben. Und wer an die oben nicht rankommt oder das glaubt, tritt mit Vorliebe nach unten.

Das ist moralisch verwerflich, ja. Doch statt zu hoffen, dass Menschen ihre niedersten Instinkte und psychologische Mechanismen durch Tadel von oben verändern, könnte man dafür sorgen, dass ihre Lebensbedingungen so sind, dass sie sich gar nicht bedroht fühlen von Veränderungen in anderen Lebensbereichen, dass es ihnen schlicht egal ist, dass überall skurrile Minderheiten auftauchen, die alles anders machen als sie.

Materielle Sicherheit für Selbstbestimmung

Statt daran zu appellieren, doch bitte die richtige Meinung zu haben, könnte man auch versuchen, ihre Lebensbedingungen so zu gestalten, dass diese Menschen gar keinen Grund dazu sehen, rechten Rattenfängern in die Arme zu laufen. Gerne watschen Konservative, Liberale und sogar Leute, die von sich denken, sie seien links, solche materialistischen Ansätze als unnütz ab.

Aber trotz all des Händeringens in Talkshows, zusätzlicher Budgets für Aufklärungskampagnen und wohlfeiler Konzerte – einfach mal dafür zu sorgen, dass Menschen keine Angst vor Veränderung haben müssen, das haben wir noch nicht versucht.

Für mehr materielle Sicherheit von uns allen zu kämpfen, würde uns Queers auch am meisten helfen. Denn neben der Gewaltstatistik gibt es eine Zahl, auf die noch kein Licht gefallen ist: Wie geht es Queers eigentlich wirtschaftlich? Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung, sagte letztes Jahr in dieser Zeitung, dass Queersein „auch ein höheres Risiko bedeutet, an Depressionen zu erkranken oder wohnungslos zu werden“.

Die queerpolitische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, sagte Buzzfeed: „Die soziale Lage von LSBTIQ* wird in den gesellschaftlichen Debatten weitgehend ausgeblendet oder sogar verzerrt dargestellt. Die Community erscheint in der Öffentlichkeit als fröhlich-bunte Gemeinschaft überwiegend gebildeter und gut verdienender Menschen.“ Das sei ein Klischee, das daher komme, dass sich finanziell gut gestellte Queers eher outen könnten.

Zur Selbstbestimmung gehört nicht nur die unkomplizierte Änderung des Geschlechtseintrags, sondern auch materielle Sicherheit. Hoher Mindestlohn, großzügiges Bürgergeld, Wohnungen in öffentlicher Hand, die Abschaffung der Schuldenbremse, das alles sind so gesehen explizit queere Forderungen – worüber sich auf dem Lesbisch-schwulen Straßenfest gut bei einem Bier diskutieren lässt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Caspar Shaller
Redakteur taz2, zuständig für Medienthemen. Interessiert sich auch für Arbeitskämpfe und sonstiges linkes Gedöns, aber auch queere Themen und andere Aspekte liederlichen Lebenswandels. Vor der taz einige Jahre Redakteur im Feuilleton der Zeit und als freier Journalist in Europa, Nordamerika und dem Nahen Osten unterwegs gewesen. Ursprünglich nicht mal aus Deutschland, aber trotzdem irgendwann in Berlin gestrandet. Mittlerweile akzentfrei.
Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • "Wer hingegen trans, weiblich gelesen, eine Person of Color oder einfach arm ist, wird schneller Opfer der Polizei, als von ihr geschützt zu werden. Es ist kein Zufall, dass in Frankreich der rechtsextreme Rassemblement National von Marine Le Pen zu den beliebtesten Parteien unter verheirateten schwulen Wählern gehört. Die sind meist älter und wohlhabender als Queers im Schnitt."

  • echt jetzt? die Polizei ist schlimm, weil sie das in Frankreich ja auch ist, schwule verheiratet Paare sind praktisch rechtsradikal und mit Leoparden die den anderen Queeren das Gesicht abbeissen? und "materielle Sicherheit. Hoher Mindestlohn, großzügiges Bürgergeld, Wohnungen in öffentlicher Hand, die Abschaffung der Schuldenbremse" schützen uns vor homofeindicher Gewalt? Klingt alles reichlich zusammengekrampft... btw - explizit queere Forderungen sind nicht alles was dem Autor in den Kram passt. Es gibt ja noch ein paar Queere mt anderen Ansichten...

  • Ich versuche die Argumenation zu verstehen. Es scheint darum zu gehen, dass gleiche Rechte im bürgerlichen Rechtsstaat unerheblich sind, weil es sie gar nicht gibt. Denn wenn LGBT nach 25 Jahren politischem Engagement heute von der Polizei geschützt statt gejagt werden, dann nur, weil sie weiß und wohlhabend sind. Das ist ungefähr so wie die marxistischen Studenten 1968 den Feministinnen erklärt haben, das mit dem Frauenkram wäre egal, denn erstmal müsse der Sozialismus aufgebaut werden. So viele Verrenkungen, um zu sagen, sozialer Fortschritt ist doof und lohnt nicht, wenn es nicht 100 % meine Sorte Fortschritt ist. Mit Verlaub, das sehen Generationen von politisch Engagierten anders.

  • Okay, also junge Männer gehen reflexartig queere Personen klatschen, weil sie Leidtragende einer gesellschaftlichen Zerrüttung sind? Und Politiker zerrüten die Gesellschaft, indem sie Geschenke an Minderheiten austeilen, während sie die Mehrheit aushungern?



    Abgesehen von all den historischen Verkürzungen und Verzerrungen (und dem Fehlen jeder internationalen Perspektive!) - wirklich erschreckend finde ich, dass der Autor kritiklos einem Dualismus Volk vs. Elite auf der einen Seite sowie dem Dualismus gruppenlose universale Mehrheit vs. gesellschaftslose partikulare Minderheit auf der anderen Seite das Wort redet.



    Der Rechtspopulismus hat offenbar ganze Arbeit geleistet, denn er hat seine Kategorien durchgedrückt. Und mir graut vor dem Linkspopulismus, der hier als Antwort darauf beschworen wird.

    • @mats:

      Sie betreiben Rosinenpickerei, um sich Ihre Kritik zu basteln. So steht das ja gar nicht im Artikel.



      Jahrzehnte Liberalisierung und Individualisierung haben die Gesellschaft verändert, jeder für sich allein. Das Motto "man muß nur wollen, dann klappt alles", beinhaltet eben auch, dass wer nicht oben ist, ja dann wohl auch irgendwie am eigenen Schicksal schuld sein muß. Das spricht man nicht so deutlich aus, ist aber latent vorhanden. Und diese Spannung, diese Dissonanz zwischen dem eigenen Leben und der "großen Erzählung", es läuft ja für die vielen eben nicht alles so toll und gleichzeitig will man und ist man auch kein Verlierer, man will (und man ist!) nicht schuld das man nicht oben ist. Es sind die Verhältnisse! Vom Tellerwäscher zum Millionär klappt nur für ein paar, Ein Heidi-Klum-Model braucht das Fußvolk, die vielen Verlierer um hoch zu kommen, ohne die funktioniert "hochkommen" nämlich gar nicht....



      Dieser individualisierte Wettbewerb, das Herabschauen auf die anderen, das steckt mittlerweile sehr tief in dieser Gesellschaft und vor allem, es erzeugt Unsicherheit, auch bei denen die "oben" sind. Bei allen. Du kannst dich nicht drauf verlassen, das es so bleibt. So ein System sucht und braucht Sündenböcke, das ist unausweichlich.



      Aber nur weil das so über Jahrzehnte sich entwickelt hat lässt sich das nicht einfach wieder umkehren, das perfide an diesem System ist ja, das jeder sein eigener Zensor, sein eigener Wächter ist. Es läuft von alleine.



      Aber trotzdem ist die einzige Möglichkeit, mehr sozialen Ausgleich zu schaffen, mehr Sicherheit für die Massen, weg vom Wettbewerb, den nur ein paar gewinnen können und die meisten nur verlieren. Das ironische daran, die Betroffenen selber sind die größten Verhinderer...



      Die die jetzt afd sind, die sind verloren, aber die anderen, die nächste Generation, um die geht`s. Mit Appellen, a la "Wir müssen jetzt alle die Demokratie stärken (und die selben wählen die uns die Suppe einbrocken)", wird`s nicht funktionieren.

      • @nutzer:

        Sorry, auch dies hier



        "Dieser individualisierte Wettbewerb, das Herabschauen auf die anderen" und die, "die 'oben sind'"



        ist mir zu sehr "gefühlte Wahrheiten über Kollektive, von denen wir genau wissen, dass es sie gibt (auch wenn uns grad persönlich niemand einfällt)".



        Sie wollen das rohe Bürgertum mit Wohlstand zähmen, damit es nicht mehr so wütend sein und alles misshandeln muss, was irgendwie anders ist? Erzählen Sie das mal queeren Menschen in Uganda.



        Aus meiner Sicht legt der Autor eine Zick-Zack-Rosinenspur durch ein hochkomplexes, historisch durchwurzeltes und versteintes Feld, und ich weigere sie zu picken, seine "wir", "sie", "wer", "die".



        Und Ihre pick ich auch nicht.

        • @mats:

          es gibt schon relevante Korrelationen zwischen Gewalt und den sozialen Lebensumständen in einer Gesellschaft. Das sind zwar statistische Korrelationen klar, aber die sind genauso real wirksam und spürbar.



          Es geht nicht darum Geld auszuschütten (um das mal despektierlich zu sagen) und dann werden alle Nazis lieb. Es geht um die gesellschaftlichen Wirkungen und ob Fremdenfeindlichkeit oder jede andere Form von Gewalt gesellschaftlich relevant werden oder nicht. Der Nazischläger ist die Mikroebene und das andere die Makroebene. Auch eine sozialere Gesellschaft hätte immer noch Nazis, aber eben nicht mehr relevant.



          Aber wenn man Menschen als unveränderlich betrachtet und eine Gesinnungstendenz im Kopf mit einer Gewalttätigkeit nach außen gleichsetzt ist natürlich nichts zu machen, Stempel Nazi drauf und dann Hände in den Schoß, kann man nix machen, die Menschen sind halt so. Muß man warten bis andere Menschen kommen.



          Ich sage nein, die Menschen sind Produkte der sozialen Umstände und durchaus wandelbar und wenn nicht in dieser Generation dann in der nächsten.

  • Mehr Sozialismus wagen! Es liegt genug Geld auf den Konten der Reichen!

  • Mit Geld die Lebenseinstellung ändern? Ernsthaft??

    • @Reinhard Roller:

      Mit Geld kann man sich "leichter" u.a. Freiräume (Stille, Platz, Zeit für Partner/Kinder/sich selbst) kaufen, Träume, Selbstverwirklichung ermöglichen ... und nicht zuletzt, Angst bewältigen. Deshalb finde ich den Ansatz des Autors richtig.

      • @*Sabine*:

        Und was genau ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür, dass dieses Wochenende 10 Männer in Bayreuth 6 Teilnehmerinnen des CSD bespuckt und nach diesen getreten haben? Angst? Mangel an Stille, Platz, Zeit?



        Und bei dem jungen Mann, der in Kreuzberg ein schwules Paar zu Boden prügelte? Mangel an Geld für persönliche Freiräume?

  • Ich kann diesem Artikel Wort für Wort zustimmen. So kluge Menschen wie Caspar Shaller müssten in der Politik sein bzw. uns regieren.

  • Dieser Artikel bringt es klar auf den Punkt, benennt Ursache und Wirkung. Danke dafür.