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Hartz IV und WohnkostenübernahmeNur im unteren Preissegment

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Hartz-IV-Empfänger haben keinen Anspruch auf die volle Übernahme von Wohn- und Heizkosten.

Das würde das Amt wohl zahlen Foto: dpa

Karlsruhe afp | Dass die Wohnung zu teuer sei, ist ein häufiger Streitpunkt zwischen Jobcenter und Beziehern von Arbeitslosengeld II. Das Bundesverfassungsgericht entschied nun in einem am Dienstag in Karlsruhe veröffentlichten Beschluss, dass die Jobcenter nicht jede Wohnung finanzieren müssen. Vielmehr gelten als Maßstab die Kosten einer vergleichbaren Wohnung im „unteren Preissegment“. (Az. 1 BvR 617/14 u.a.)

Geklagt hatte eine Sozialhilfeempfängerin, die allein in einer 77 Quadratmeter großen Wohnung lebt. Zunächst hatte das zuständige Jobcenter die Miete und die Heizkosten vollständig, ab 2008 nur noch teilweise übernommen. In ihrer Verfassungsbeschwerde gab die Klägerin an, in ihrem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzt zu sein.

Daneben hatte auch das Sozialgericht Mainz zwei Verfahren vorgelegt, weil es die Regelung für die Kostenerstattung von Unterkunft und Heizung für verfassungswidrig hielt. Das Bundesverfassungsgericht urteilte anders: Auch wenn „die grundlegende Lebenssituation eines Menschen“ betroffen sei, ergebe sich „daraus nicht, dass auch jedwede Unterkunft im Fall einer Bedürftigkeit staatlich zu finanzieren und Mietkosten unbegrenzt zu erstatten wären“.

Im betreffenden Paragrafen des Sozialgesetzbuch II heißt es: „Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.“ Was „angemessen“ bedeutet, definierten die Richter des Verfassungsgerichts nun: Das Jobcenter soll sich an den Mieten für vergleichbare Wohnungen „im unteren Preissegment“ am Wohnort des Leistungsempfängers orientieren.

Demnach durfte das Jobcenter die Leistungen der Klägerin kürzen, wenn die Wohnung nicht vergleichsweise günstig war. In einem solchen Fall sieht das Gesetz vor, dass Hartz-IV-Empfänger in der Regel spätestens nach sechs Monaten in eine günstigere Wohnung ziehen oder einen Untermieter suchen müssen.

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10 Kommentare

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  • "In einem solchen Fall sieht das Gesetz vor, dass Hartz-IV-Empfänger in der Regel spätestens nach sechs Monaten in eine günstigere Wohnung ziehen oder einen Untermieter suchen müssen."

     

    Zarte Frage Nr. 1: Was, wenn eine kleinere Wohnung zwar gefunden werden kann, diese aber nicht preiswerter ist, weil es in der Grössenordnung nunmal nichts gibt?

     

    Zarte Frage Nr. 2: Wie kann man verhindern, dass die/der Untermieter*in dann nicht unterhaltspflichtig wird? Wie belegt man, dass das doch nur ein*e Untermieter*in ist und man das Essen im Kühlschrank hübsch trennt?

     

    Und wer begiebt sich gerne freiwillig in Gefahr, unterhaltspflichtig zu werden, weil sie/er nur ein Zimmer sucht?

  • Zunächst bleibt festzuhalten, dass das BVG nicht für Richtlinien aus dem SGB II zuständig ist.

     

    Die Klage kann sich also nur darauf berufen, wenn eine klare Verletzung der Artikel des Grundgesetzes vorliegt, bzw. seiner Prinzipien, die sich daraus ableiten. (z.B. Gleichbehandlungsprinzip)

     

    Die Klage muss sich also direkt auf das SGB II beziehen und es muss der Nachweis erbracht werden, dass es sich um eine solche Verletzung handelt. Ohne Kenntnis der Aktenlage lässt sich daher gar nichts zu dem verhandelten Fall sagen. Eine Normenkontrollklage ist der Schilderung nach auszuschließen.

     

    Es wundert einen allerdings, dass erst 10 Jahre ins Land gehen mussten, ehe überhaupt eine solche Klage verhandelt wurde. Denn genau diese Regelung war ja schon 2005 ein gewaltiger Stein des Anstoßes.

     

    Die Wohnungsknappheit, welche durch Spekulation künstlich angeheizt wurde, hat ja auch die SPD gutgeheißen. Party-Bürgermeister Klaus Wowereit hat ja nicht nur aus purem Vergnügen Lofts in der Berliner Innenstadt mit dem Prosecco in der Hand eingeweiht. Es war harte politische Basisarbeit, die jeden Genossen unermüdlich in dieser Partei verfolgt. Dafür sollten sich die Bürger vor dem edlen Herren verneigen, denn mit diesem exklusiven Wohnraum wird nur eine zutiefst sozialdemokratische Vision verwirklicht. Finanziell potente Bürger, mit innovativen Ideen und noch innovativeren Geschäfts- und Steuerkonzepten kurbeln die Wirtschaft an. Das Ambiente dient als Quelle der Inspiration und Jeder weiß doch, dass durch den Wirtschaftsaufschwung auch die Arbeitsplätze herbeieilen. Dann wird Hartz 4 überflüssig. Sagte schon Wolfgang Clement 2004.

     

    Aus der "Welt"-Sicht eines Olaf Gersemann heißt das dann doch nur: "Was ist ein Hartz IV - Bezieher, der auf einer Mülltonne sitzt?" Ein Eigenheimbesitzer.

     

    (Variante eines alten Witzes über Mitbürger aus einem südöstlich Europas gelegenen Sultanates aus dem Jahr 1986)

  • "Das Jobcenter soll sich an den Mieten für vergleichbare Wohnungen „im unteren Preissegment“ am Wohnort des Leistungsempfängers orientieren."

     

    Was soll man dazu noch sagen? Wir haben immer mehr Obdachlose in Deutschland, weil es keine bezahlbaren Wohnungen mehr gibt, und dem Bundesverfassungsgericht fällt dazu nur ein, dass man die Obdachlosenzahl ja noch vergrößern könnte. So ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts macht doch eigentlich nur Sinn, wenn es genügend Sozialwohnungen gibt. Ein sehr merkwürdiges Urteil vom Bundesverfassungsgericht.

     

    Nehmen wir nur einmal Hamburg. In Hamburg müssten eigentlich viel mehr Sozialwohnungen gebaut werden, aber da hat man lieber eine Elbphilharmonie gebaut, die am Ende mehr als das Zehnfache gekostet hat. Anstatt 77 Millionen hat die Elbphilharmonie 866 Millionen Euro gekostet. Das nächste Bauprojekt in Hamburg unter der Leitung von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) heißt "Elbtower", ein 200 Meter hohes Hochhaus, das bis zu eine Milliarde Euro kosten soll. Als Nutzungen stellen sich die Planer Büros, Hotelzimmer, Ausstellungs- und Veranstaltungsflächen - eventuell auch Wohnungen vor. Wohnungen? - Ja, wenn man ein paar Millionen Euro für eine Wohnung im Elbtower ausgeben kann; aber davon kann der Normalbürger oder der Obdachlose nur träumen.

     

    Fazit: Die Reichen feiern ihren Reichtum in Prachtbauten und die Armen werden obdachlos.

     

    Vielleicht schafft der zwölfte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland es ja einmal, das theoretische Thema seiner Doktorarbeit - "Tradition und Perspektiven staatlicher Intervention zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit" - in die Praxis umzusetzen. Es wäre doch schön, wenn Frank-Walter Steinmeier (SPD) nicht nur Managern und Wirtschaftsbossen die Hände schüttelt, sondern auch endlich einmal dafür sorgt, dass nicht noch mehr Obdachlose auf deutschen Straßen sitzen müssen.

  • Schwammige Formulierungen wie "im unteren Preissegment" sind ein Freifahrschein für Jobcenter und Agendapolitiker. Das Gericht weiß das sicherlich, findet es aber nicht wichtig. Die Richter interessieren sich nicht für Dinge, die sie aus ihrer eigenen Lebensrealität gar nicht kennen.

    • @kditd:

      Jobcenter werden sich jetzt an das Urteil von Karlsruhe halten und viele Hartz IV Bezieher in die Obdachlosigkeit schicken.

       

      Was haben Wohnungssuchende von der Formulierung "im unteren Preissegment", wenn sämtliche Wohnungen "im unteren Preissegment" aber schon vergeben sind? Die Jobcenter zahlen also nur noch die höhere Miete für 6 Monate und danach nur noch die Mietkosten die man für angemessen hält. Man muss kein Richter beim Verfassungsgericht sein, um zu wissen was dann kommt: "OBDACHLOSIGKEIT".

    • @kditd:

      Lebensrealität heisst aber auch nicht dass 1 Person sich es auf 77qm gemütlich macht, im Winter die Wohnung schön durchheizt und das dann voll vom Amt finanziert wird.

      In solch einer Wohnung kann locker eine Familie mit 3 Kindern angenehm wohnen. Ob von Hartz 4 oder nicht.

      Für die Dame wird es bestimmt auch ein 1-Zimmer-Appartment tun.

      • @Christian Bauer:

        Wenn es diese "kleine 1-Zimmer-Wohnung" zu einer vernünftigen Miete geben würde, dann wäre Ihr Einwand ja richtig. Aber Wohnungen zu angemessenen Preisen gibt es nicht mehr, respektive solche Wohnungen sind alle schon besetzt. Hätte das Bundesverfassungsgericht sich einmal die Lebensrealität in Deutschland angesehen, dann hätte das Bundesverfassungsgericht sicherlich nicht so ein Urteil ausgesprochen.

         

        Spätestens wenn 300.000 Wohnungslose und Millionen arme Menschen auf den Tisch hauen und sich diese soziale Ungerechtigkeit in Deutschland nicht mehr gefallen lassen, werden auch die Richter vom Verfassungsgericht darüber nachdenken, ob ihre Urteile immer richtig waren.

        • @Ricky-13:

          "Spätestens wenn 300.000 Wohnungslose und Millionen arme Menschen auf den Tisch hauen"

           

          Das werden die aber nicht - die und alle anderweitig Betroffenen gucken sich lieber Seifenopern und komische Serien an, um sich eine bunte Welt vorzugaukeln.

          Und das ist politisch so gewollt!

           

          Die Zeit der Massenproteste gehört schon lange der Vergangenheit an!

          • @Rossignol:

            Da sprechen Sie die traurige Wahrheit an.

             

            Ich beobachte das auch seit Jahren, dass Millionen Hartz IV Empfänger sich schikanieren lassen und sich sogar in die Obdachlosigkeit schicken lassen, anstatt sich endlich einmal vor das Reichstagsgebäude zu stellen und ihr demokratisches Grundrecht in Anspruch zu nehmen um gegen soziale Missstände zu demonstrieren.

  • Es wird erst wieder besser, wenn die ganzen "Investoren" etwas anderes zum investieren finden. Dann werden Immobilien wieder uninteressant. Im Grunde sind sie nämlich anstrengend, weil sie relativ hohen Wartungsaufwand an der Substanz und immer wieder Kontakte zu den Mietern erfordern.