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Hartz IV soll erhöht werden16 Pizzen vom Discounter

14 Euro mehr sollen Hartz-IV-Empfänger:innen demnächst bekommen. Aber hey, mit diesen paar Euro zusätzlich kann man sich doch fast die Welt kaufen.

Endlich: 18 Liter haltbare Discountermilch lassen sich von der Hartz-IV-Erhöhung kaufen Foto: Rüdiger Wölk/imago images

D ie Hartz-IV-Regelsätze sollen ab dem 1. Januar 2021 erhöht werden. Alleinstehende Erwachsene sollen dann 446 Euro statt wie bisher 432 Euro im Monat bekommen. Das sind gut 3 Prozent mehr. Also 14 Euro.

Am Mittwoch diskutierte der Bundestag über einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Alle fünf Jahre führt das Statistische Bundesamt eine Einkommens- und Verbrauchsstichprobe durch, um zu ermitteln, wie viel Armut man den Menschen zumuten kann. Die Bundesregierung orientiert sich bei der Berechnung der neuen Hartz-IV-Regelsätze dann an dem, was die einkommensschwächsten 15 Prozent der Ein-Personen-Haushalte und 20 Prozent der Familien verdienen und konsumieren. Das Maß für ein würdevolles Leben in einem so reichen Land wie Deutschland sind also die Ärmsten.

Aber hey, 14 Euro! Das sind umgerechnet 31 Tüten Discounterpenne oder 28 Tuben Tomatenmark oder 18 Tüten haltbare Discountermilch oder ein bisschen mehr als 16 Literflaschen Coca-Cola oder ungefähr 6,3 Markentiefkühlpizzen, also die, die halbwegs nach Pizza schmecken. Wenn man aber auf Quantität statt Qualität setzt, kann man stattdessen 16 Dis­coun­ter­sa­lami­pizzen kaufen. Und wer es sich einmal so richtig gönnen möchte, der kann von den 14 Euro ganze dreieinhalb Döner (mit allem und scharf) erstehen. In manchen zwielichtigen Imbissbuden, die mit fragwürdigen Angeboten werben (Döner für 1,99 Euro), bekäme man sogar sieben türkische Fleischsandwiches.

Das ist schon eine Menge und die über sieben Millionen Menschen in Deutschland (nicht nur Erwerbslose, sondern auch Geflüchtete, oder Rentner:innen und Erwerbsgeminderte, die aufstocken müssen), die jene Regelsatzanpassung betrifft, haben deshalb wahrlich Grund zu feiern. Die 14 Euro reichen alternativ auch für etwa viereinhalb Cappuccinos im Café oder eineinhalb Theaterkarten (Arbeitslosentarif; Restkarten in Berlin mit Sozialpass sogar für 3 Euro, das wären dann viereinhalb Tickets) oder zwei Kinokarten im Arbeitslosentarif (nur unter der Woche!) oder zweieinhalb Hallenbadgänge oder ganze 6,36 Werktagsausgaben der taz.

Auch noch was geschenkt

Für all das kann man das Geld aber nur raushauen, wenn man es nicht für das Überlebensnotwendigste braucht, was wohl der Fall ist. Was sich „Leistungsbezieher:innen“ bisher nicht leisten konnten, würdevolle Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben, das werden sie sich also auch 2021 nicht leisten können. Aber nicht so schlimm: Schließlich wird den Hartzern ja nichts weggenommen. Und man kann etwas nicht vermissen, was man ohnehin nicht kennt.

Eine Erhöhung um knapp 200 statt 14 Euro, wie es Sozialverbände fordern, wäre außerdem dekadent. Wo kämen wir denn hin, wenn die Menschen nicht mehr um ihre Existenz bangen müssten? Unter Hartzern gilt ja jetzt schon das Motto: Hartz IV und die Welt gehört dir!

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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10 Kommentare

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  • taz: "14 Euro mehr sollen Hartz-IV-Empfänger:innen demnächst bekommen. Aber hey, mit diesen paar Euro zusätzlich kann man sich doch fast die Welt kaufen."

    Zunächst einmal gehen von diesen 14 Euro jeden Monat mindestens 2 bis 3 Euro für Corona-Schutzmasken weg, oder glaubt einer ernsthaft, dass der Spuk mit Corona 2021 vorbei ist? Obwohl wir seit März 2020 offiziell eine Corona-Pandemie haben, hat weder die BA noch das BMAS es für nötig befunden den 5,3 Millionen Hartz IV Empfängern ein paar Euro im Monat zusätzlich für Schutzmasken zu geben. Der Hartz IV Bezieher ist eben Bürger dritter Klasse in Deutschland, der sich von seinem kläglichen Existenzminimum sogar noch überteuerte Schutzmasken kaufen soll.

    taz: "Eine Erhöhung um knapp 200 statt 14 Euro, wie es Sozialverbände fordern, wäre außerdem dekadent. Wo kämen wir denn hin, wenn die Menschen nicht mehr um ihre Existenz bangen müssten?"

    Vollkommen richtig, und außerdem wird man die Pfleger und Krankenschwestern, die Kassierer*innen und alle anderen schlecht bezahlten Systemrelevanten nach der Corona-Krise auch nicht besser bezahlen, weshalb sollten die "Hartzer" denn dann mehr Geld bekommen? Unsere überbezahlten Manager - deren Unternehmen gerade vom Staat gepampert werden - werden sich nach Corona aber bestimmt wieder ihre Boni erhöhen. Das haben sie ja vor Jahren auch gemacht, als der deutsche Steuerzahler fast 300 Milliarden Euro für Bankenrettungen aufgebracht hat und die Bankmanager sich davon noch frech dicke Boni in Millionenhöhe selbst genehmigt haben.

    Aber hören wir uns doch auch mal an, was die Kabarettisten Lisa Fitz zu den Politikergehältern sagt, denn Politiker sind ja diejenigen, die den Hartz IV Regelsatz nicht erhöhen wollen. Es werden seit Jahren die Hartz-IV-Regelsätze nämlich systematisch niedrig gerechnet, wie das Fernsehmagazin 'Monitor' (ARD) berichtete.

    **Lisa Fitz rechnet nach: Politiker-Gehälter | SWR Spätschicht**



    www.youtube.com/watch?v=YFs8ooE7Nzk

    • @Ricky-13:

      Es geht eben darum, Arbeitslose zu bestrafren!

  • Mit Spoerl "stelle ma uns mal janz dumm" und "wollen mit Wumms aus der Krise kommen."

  • Offene Wunde und Realsatire

    Hartz Iv ist und bleibt eine klaffende offene Wunde in unserer Gesellschaft und ein Zwangssystem, das endlich abgeschafft werden sollte. Ausser warmen Worten ist da immer noch nichts geschehen - ein Armutszeugnis und ein dauerndes Politikversagen. Die Sätze sind ein schlechter Witz.



    Und nicht vergessen, wer es beschlossen hat: Grüne und SPD!



    Nur allzu eifrig sekunfiert von FDP und CDU/CSU.



    Und mittlerweile lebt eine ganze Maßnahmenindustrie mit überwiegend unsinigen und erfolglosen Kursen von diesem teuren Unfug. Hartz IV ist kostspielige und vorwioegend wirkungslose Realsatire.

  • Sehr gut geschrieben! Bei den 14 Euro handelt es sich allerdings nicht wirklich um eine Erhöhung der H4-Sätze sondern um eine Anpassung an das Preisniveau. Siehe @Monika Reh. Also doch keine "Schlemmerpizza"...

    Aber Volkan Agar liefert eine kluge "Übersetzung" einer "finanzpolitischen Theorie" in die Lebenswirklichkeit von H 4.

    Man stelle sich vor: Die Abgeordneten der Sozial- u. Christdemokraten wären gezwungen, im Bundestag die H4-Anpassung in Naturalien zu dieskutieren. "Meine Fraktion verteidigt auf das entschiedentste die Bewilligigung von 6 x Pizza mehr pro Monat für alleinstehende H4-Empfänger".

    Ginge da manchen vielleicht doch ein Licht auf? Würden sich da manchen vielleicht schämen?

    • @Moon:

      Nee würden sie nicht befürchte ich. Einziges Problem wäre die damit einhergehende Ausenwirkung.

  • Also ich kaufe mir von den Januar-14 Euro Stoff für meine Masken und von den Januar-14 Euro das Händedesinfektionsmittel. Ach nee, geht ja nicht, weil ja dann die Mehrwertsteuer wieder erhöht wird. Und der Strompreis auch. So gibt's dann 2021 doch wieder nix mit Erhöhung des ALG II. Mist. Pech gehabt.

    • @Monika Reh:

      Stoff könnte ich Ihnen schicken, tausche auch gerne gegen die ein oder andere selbst genähte, dünne Mund-Nasen-Bedeckung. Wäre aber keine Bedingung.

      Frechheit die 14 EUR "Erhöhung". Die, die noch Versicherungen haben - trotz ALG II oder Grundsicherung - müssen auch dafür immer regelmäßig Preiserhöhungen hinnehmen und zahlen. Ebenso wie für Tickets im ÖPNV. Mein Monatsticket ist im August z.B. um 3 EUR erhöht worden. (Für die Wege zur Arbeit!)

  • Immer noch ein Trauerspiel. Ich erinnere mich nur zu gut, wie ich selbst mich von besagter Discounterpenne + Tomatenmark ernährt habe. 39 Cent für die Nudeln. Also mit gesammeltem Kleingeld bezahlbar. Heißer Tipp: Risotto aus Milchreis, der ist nämlich viel billiger als Risottoreis. Am besten wenn mit Lebensmittelgutscheinen bezahlt (nicht für Tabak und Spirituosen verwendbar!). Der Armuts-Striptease an der Kasse macht dann richtig hungrig...

    Auch Toastbrot in der Mittagspause sehr zu empfehlen. Billig und so nahrhaft! Glücklich derjenige, dessen Arbeitgeber, wie meiner, einen Toaster in der Kaffeeküche hat. (Apropos Kaffee, man gewöhnt sich auch an Instantkaffee. Zeug ätzt alles weg, ist also sicherlich gut für die Gesundheit.)

    Arbeitgeber? Aber natürlich, dachten Sie, man geht als Hartzer nicht arbeiten? Der Kapitalismus will schließlich subventioniert werden.

    Wie Metallica (seit Hartz 4 eine meiner Lieblingsbands) singen: "What don't kill ya make you more strong!" Und so ist es...

    • @kditd:

      Also erstmal Metallica pff lieber Up the Irons.



      Und zum letzten Satz (den Sie dneke ich ja eh nicht ernst gemeint haben) ist ja nachgewiesen das Armut krank macht und zu einem frühen verscheiden führt. Homer S. musste ja auch darüber belehrt werden, dass der Herzinfarkt in beileibe nicht stärker gemacht hat.