piwik no script img

Hartz IV-Mietobergrenzen rechtswidrigMehr Wohngeld in Bremen

Bremer Empfänger*innen von Sozialleistungen bekommen ab sofort etwas mehr Wohngeld. Bisher wurden Mietobergrenzen rechtswidrig gedeckelt.

Trotz Wohngelderhöhung: In Bremen bleibt bezahlbarer Wohnraum knapp Foto: dpa

Bremen taz | Hartz IV-EmpfängerInnen in Bremen dürfen ab heute etwas mehr Geld für Miete ausgeben. Zugleich ist nun rechtskräftig festgestellt, dass die bis 2017 geltenden Mietobergrenzen rechtswidrig waren.

Die neuen Richtwerte für die Mieten liegen um etwa dreieinhalb Prozent über den bisher als „angemessen“ geltenden Unterkunftskosten (siehe Infokasten). „Es wird sich aber nicht grundsätzliches ändern“, kritisiert der Bremer Erwerbslosenverband (BEV): „Bezahlbarer Wohnraum bleibt knapp.“

Stattdessen würden nun die Gewinne der Investoren und Wohnungsgesellschaften steigen: „Die beste Rendite lässt sich mit einer Erhöhung der Mieten erzielen“, so der BEV. Zahlt die der Staat, lege der nun eben noch ein paar Euro drauf. Zudem werde die „Ghettobildung“ in Bremen gefördert: in teuren Stadtteilen zahlt das Amt zwar mehr Miete, im teuren Oberneuland aber würden nur zehn Prozent Zuschlag gewährt. „Die Reichen wollen unter sich bleiben“, sagt der BEV.

Weil es in Bremen keinen Mietspiegel gibt, plant das Sozialressort für 2020 nun eine „flächendeckende Datenerhebung“ auf der Basis von „repräsentativen Stichprobenerhebungen“ bei Vermietern. Auf diese Weise will die Behörde die Frage, wie viel Miete gerade noch als „angemessen“ zu gelten hat, so beantworten, dass sie auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts standhält. Und das fordert seit 2009 von den Kommunen ein „schlüssiges Konzept“. Es muss zudem alle vier Jahre eine ganz neue Datenbasis bekommen.

Angemessene Mieten

Ein Single-Haushalt darf statt 455 nun 471 Euro an Bruttokaltmiete für maximal 50 Quadratmeter Wohnfläche ausgeben.

Bei zwei Familienmitgliedern werden 481 statt 464 Euro auf 60 Quadratmetern zugestanden.

Eine Familie mit drei Kindern bekommt künftig für ihre maximal 95 Quadratmeter große Behausung 765 Euro, also27 mehr als bisher.

Zehn Prozent mehr werden im Viertel, in Findorff, Walle und Oberneuland gewährt, in der Neustadt und der Überseestadt sind es 15, in Horn-Lehe, Schachhausen, Borgfeld 25 Prozent.

Das Bremer Sozialgericht hat bereits im Sommer entschieden (Aktenzeichen S28 AS 1213716), dass der behördliche Umgang mit den Mietobergrenzen zwischen 2010 und 2017 rechtswidrig war. Der Grund: Es fehlte ein „schlüssiges Konzept“, die vorgegebenen Richtwerte für Mieten in Bremen waren also nicht realistisch.

Im konkreten Fall musste das Jobcenter einer Mutter, die mit ihren zwei Kindern in Blumenthal lebt, Miete nachzahlen. Rund 650 Euro bezahlte die Frau dort Anfang 2016 an Kaltmiete. Die Verwaltungsanweisung der grünen Sozialsenatorin gestand ihr aber lediglich 507 Euro Miete im Monat zu. Die Familie klagte – und bekam recht. Das Gericht legte die Zahlen aus dem Wohngeldgesetz zu Grunde – im konkreten Falle waren das 626 Euro – und gewährte zudem einen „Sicherheitszuschlag“ von zehn Prozent.

Das Jobcenter legte gegen das Urteil zunächst Berufung beim Landessozialgericht ein – nahm diese aber nun zurück. Der Grund: „Die Erfolgsaussichten sind als gering einzustufen.“ Das schrieb das Ressort jüngst in der Antwort auf eine kleine Anfrage der CDU. Damit ist das Urteil nun rechtskräftig.

Derzeit sind noch 129 weitere Klagen vor Gericht anhängig, bei denen es um die Frage der angemessenen Miete geht, eine überschlägige Modellrechnung des Ressorts habe ergeben, dass es um bis zu 75.000 Euro gehen könnte, zuzüglich der Verfahrenskosten. Insgesamt gab es allein seit März vergangenen Jahres 625 Widersprüche, bei denen um die zulässigen Mietkosten gestritten wird.

Der Anwalt der Klägerin aus Blumenthal, Fabian Rust, geht davon aus, dass auch die seit 2017 geltende Praxis zur Decklung der Mietkosten rechtswidrig ist. „Hierzu sind bereits Klageverfahren anhängig“. Von eventuell höheren Mietzahlungen profitiert aber nur, wer Widerspruch gegen den entsprechenden Bescheid eingelegt hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!