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Harte Reaktionen der TürkeiTürkische Bomben, syrische IS-Ziele

Ankara lässt Kampfjets IS-Ziele im Nachbarland Syrien angreifen. Im ganzen Land kommt es zu Razzien gegen Islamisten, Kurden und Linke.

Militärfahrzeuge in der türkisch-syrischen Grenzregion Kilis. Seit der Nacht fliegen außerdem Kampfjets. Foto: imago/Xinhua

ANKARA rtr/ap | Die Türkei hat an der Grenze zu Syrien Luftangriffe auf Stellungen der Terrormiliz Islamischer Staat geflogen. Drei Kampfjets vom Typ F-16 hätten am Freitagmorgen Bomben auf drei IS-Ziele unweit der türkischen Grenzprovinz Kilis abgefeuert, teilte die Regierung in Ankara mit. Nach Angaben der privaten Nachrichtenagentur Dogan wurden an einem der drei Ziele bis zu 35 Extremisten getötet. Die Aktion sei eine Reaktion auf eine bewaffnete Attacke von IS-Kämpfern auf einen türkischen Militärposten am Vortag.

Die Luftangriffe galten laut einem Bericht des staatlichen TV-Senders TRT Stellungen der IS-Miliz im syrischen Dorf Havar. Der syrische Luftraum sei bei der Operation nicht verletzt worden. Aus der angrenzenden Provinz Kilis seien mindestens drei laute Explosionen gehört worden, meldete der private türkische Fernsehsender NTV.

Die Zeitung Hürriyet berichtete, bei zwei der ins Visier genommenen IS-Ziele habe es sich um Orte gehandelt, die die IS-Miliz angeblich als Hauptquartiere genutzt habe. Demnach trägt die Militäraktion den Namen „Operation Yalcin“ im Gedenken an den Soldaten, der bei dem IS-Angriff am Donnerstag in Kilis ums Leben kam. Die Schüsse auf den Militärposten kamen nach Behördenangaben aus einer Gegend, die der IS kontrolliert. Türkische Truppen erwiderten das Feuer und töteten mindestens ein IS-Mitglied.

Am Montag hatte ein Selbstmordattentäter in der türkischen Grenzstadt Suruc 32 Menschen mit in den Tod gerissen. Behördenvertreter werteten den Anschlag als mögliche Vergeltung für das verstärkte Vorgehen der Türkei gegen IS-Umtriebe im Land. In den vergangenen Monaten sind mehr als 500 Personen wegen Verbindungen zum IS festgenommen worden.

Unterstützung durch die USA

Erst einen Tag vor den Luftangriffen erlaubte die Türkei den USA, den strategisch wichtigen Luftwaffenstützpunkt Incirlik für Luftangriffe auf die Terrormiliz Islamischer Staat zu nutzen. Darauf hätten sich US-Präsident Barack Obama und sein türkischer Kollege Recep Tayyip Erdogan nach monatelangen Gesprächen verständigt, sagten ranghohe US-Regierungsbeamte.

Incirlik liegt im Süden der Türkei, unweit der Grenze zu Syrien und von der IS-Miliz kontrollierten Gebieten wie der Stadt Al-Rakka, die die Dschihadisten zur Hauptstadt ihres Kalifats erklärt haben.

Der Zugang zum Luftwaffenstützpunkt Incirlik werde es den USA daher erlauben, schneller und flexibler IS-Ziele anzugreifen, sagten die US-Regierungsbeamten. Falls der Deal greife, könnte die US-geführte Militärkoalition ihre Aufklärungsflüge über Syrien verbessern sowie schneller als bisher auf Geheimdienstinformationen reagieren.

Bisher nutzten die USA und ihre Partner für Luftangriffe auf den IS vor allem Startrampen im Irak, in Jordanien und den Golfstaaten. Nach der neuen Vereinbarung dürfte das US-Militär bemannte und unbemannte Flüge von Incirlik aus abheben lassen. Zuvor waren lediglich unbemannte Drohnenflüge erlaubt.

Zwar gehört Türkei der Anti-IS-Koalition an, hatte sich aber bisher dagegen gesträubt, sich zu tief in den Konflikt hineinziehen zu lassen. Hintergrund ist der Frust der Regierung in Ankara über die amerikanische Strategie im Umgang mit Syrien. Obama räumt dem Kampf gegen den IS größere Priorität als einem Vorgehen gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ein, auf dessen Abgang die Türkei pocht.

Razzien im ganzen Land

Die türkische Anti-Terror-Polizei hat Medienberichten zufolge in Istanbul mehr als 100 mutmaßliche Verstecke von Mitgliedern der radikal-islamischen IS-Miliz durchsucht. Die Razzia richtete sich zugleich gegen andere als terroristische eingestufte Gruppen wie die Kurdische Arbeiterpartei PKK und die verbotene linksextremistische Gruppe DHKP-C richtete, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. An den Razzien in 26 Stadtbezirken seien in der Nacht zum Freitag 5.000 Polizisten beteiligt gewesen, hieß es in den Meldungen. Auch Hubschrauber waren demnach im Einsatz.

Neben Istanbul fanden auch in zwölf Provinzen Anti-Terror-Einsätze statt. Nach Angaben der Regierung gab es dabei 250 Festnahmen.

Die Lage an der türkisch-syrischen Grenze ist in den vergangenen Tagen eskaliert. Bei Schusswechseln zwischen türkischen Soldaten und Kämpfern des IS wurden ein Soldat getötet und zwei verletzt. Außerdem kam es im Südosten der Türkei vermehrt zu Angriffen, die mutmaßlich auf das Konto kurdischer Extremisten gehen.

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3 Kommentare

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  • Dieses Land nimmt Kurs auf einen Bürgerkrieg. Außerdem kaufe ich den AKP-Politikern diese 'Wende' gegen den IS nicht ab. Am Ende wollen sie einfach nur gegen die Kurden vorgehen - das ist doch ihr Kernanliegen. Sie wollen die YPG/PKK in Syrien zerstören.

  • Das Ganze ist sonderbar, aber letztlich auch logisch: Die Türkei wollte noch nie den IS stark vor der eigenen Nase haben.

     

    Zwar fanden die AKP-Herrscher die Kurden noch schlechter, aber letztlich war das für sie die Auswahl zwischen Pest und Cholera.

     

    Was die Türkei aber tat und tut, ist Jihadisten in Syrien zu unterstützen. Und dazu gehört(e) auch Nusra, der al-Qaida-Ableger in Syrien. Das ist insofern bemerkenswert, als das diese Gruppe in Istanbul spektakulär bereits Bomben gezündet hat. Aber die Verwicklungen der Türkei in die Jihadisten-Szene in Syrien und auch im eigenen Land ist offenkundig.

     

    Was die Machthaber in Ankara vielleicht umtreibt, ist, dass die chronisch illoyalen Jihadisten sich auf die Türkei verlegen, schließlich bewegen sie in Syrien auch nichts.

    Ob Erdogan mit seinem Kurswechsel jetzt durchkommt, ist auch zweifelhaft, denn zulange sind diese Leute in der Türkei auf Unterstützung gestoßen.

     

    Angeblich soll sogar die Erdogan-Tochter aktiv daran mitwirken, dass jihadistische Kämpfer auf dem Weg nach Syrien oder wieder raus, im Südosten untertstützt werden. Dazu kommen dann noch Gerüchte über Neuwahlen - bei weiterer Unterstützung durch die Regierung von Islamisten und Jihadisten könnte schon der Wahlkampf zu einem Bürgerkrieg ausarten.

     

    Aber bislang war die türkische Politik gegenüber Syrien ähnlich zynisch und fehlgeleitet, wie die der USA oder der EU. Warum die Türkei hier meint, Kritik üben zu können, erschließt sich einem interessierten Beobachter nicht. Davutoglu hat als Außenminister den Norden Syriens versucht zu ruinieren. Und diese Politik wird ja weiter betrieben - diese Kritik ist m.M. lachhaft und zynisch.

  • naj, ich denke mal, die haben die Bomben eher ziellos abgeworfen halt nach dem Motto wos raucht ist immer richtig!