Hanna Schygulla wird 75 Jahre alt: Eigensinnig und lebensklug
Sie war das Gesicht des Neuen Deutschen Films, drehte mit Fassbinder, Schlöndorff, Wenders. Hanna Schygulla wollte aber niemandes Geschöpf sein.
In der Schwabinger Kneipe „Bungalow“ tanzte sie allein und in sich gekehrt vor der Jukebox, Rainer Werner Fassbinder schaute zu, ein Bierglas in der Hand und einen Film mit dem Glamour-Girl seiner Antiteatertruppe im Kopf. So ungefähr fasste der Regisseur Wim Wenders seine erste Begegnung mit Hanna Schygulla und ihrem Entdecker einmal in ein schönes Bild. Es erzählt davon, wie intensiv damals Leben und Filmemachen für die Schwabinger Szene ineinanderflossen.
Tagträume, schrieb Hanna Schygulla später einmal, seien schon in der Kindheit ihr Lebenselixier gewesen. Auf der Bühne und vor der Kamera, halb in Angst, halb in purer Daseinslust badend, fühlte sie sich wohl. Da spürte sie wirkliche Wirklichkeit. Fassbinder wurde ihr erster und wichtigster Regisseur – und konnte sie doch nie zu „seinem“ Geschöpf erklären.
Schygulla, 1943 in Kattowitz, dem heutigen polnischen Katowice, geboren, machte als Flüchtlingskind in München Abitur. Du bist etwas Besonderes, sagte man ihr, aber was konnte das heißen? Zur Schönheitskönigin beim Wirtschaftswunderurlaub mit den Eltern in Italien reichte es vorerst. Sie lebte als Au-pair ein Jahr in Paris, begann in München zu studieren und besuchte nebenbei die gleiche Schauspielschule, in der es auch Fassbinder nicht lange aushielt. Der Unterschied: Sie glaubte nicht an ihr Talent, er glaubte, auch ohne Schule genug davon zu haben.
Seine Einladung an sie, als Antigone im 1968 von ihm mitgegründeten Antiteater einzuspringen, war der entscheidende Schritt: 1969 spielte sie im Film „Liebe ist kälter als der Tod“ eine Gangsterbraut, kurz darauf in „Katzelmacher“ eine Münchner Hinterhof-Femme-fatale. Hanna Schygulla wurde damit das Gesicht des Neuen deutschen Films. Sie drehte ein Dutzend Filme mit Fassbinder, arbeitete auch mit Jean-Marie Straub, Volker Schlöndorff, Reinhard Hauff und Wim Wenders.
Ihre gestylte Erscheinung, der blonde Lockenkopf, die Miniröcke und Plateausohlen, wurde mit ihrer weichen schleppenden Stimme, die immer seltsam wie in Trance wirkte, zu ihrem Markenzeichen. Doch das Puppengesicht, das Fassbinder ihr in „Effi Briest“ aufnötigte, brachte den Bruch. Eigensinnig zog sie sich erst einmal zurück, wurde Lehrerin und begann, ihre Träume in Videos zu protokollieren, die sie 2014 in der Berliner Akademie der Künste vorstellte. In Phase zwei der künstlerischen Partnerschaft mit Fassbinder gelang ihr dann auch der Durchbruch als internationaler Star, vor allem mit dem Stunde-null-Melodram „Die Ehe der Maria Braun“ (1979).
Die lange Reihe ihrer Kinorollen setzte sie dann in zahlreichen internationalen Produktionen fort. Kurios, aber genial war ihr „Tatort“-Auftritt im Jahr 2016, gemeinsam mit den Fassbinder-Kolleginnen Margit Carstensen, Irm Hermann und Eva Mattes. Heute wird sie vor allem für Lesungen aus ihrer lebensklugen Autobiografie gefeiert und bei ihren Chanson-Abenden bejubelt. Am ersten Weihnachtstag feiert Hanna Schygulla – erst – ihren 75. Geburtstag.
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