Hanfparade: Der Joint als Parole
Wenn junge Leute mit eher ernsten Parolen auf die Straße gehen, kann es nur ums Kiffen gehen. Auch Grüne, Linke und Piraten dürfen dann nicht fehlen
„Nutzt Hanf“ – „Eigenanbau statt Mafia“ – „Hanföl statt Erdöl“: Die Mehrzahl der Teilnehmer der diesjährigen Hanfparade in Berlin, die es seit 1997 gibt, hebt eher unlustige Message-Schilder dieser Art in die Höhe. Wer für das Recht auf freies Kiffen auf die Straße geht, stundenlang durch den Stadtteil Mitte zieht und am Ende vor dem Brandenburger Tor weiter demonstriert, tut dies zum Großteil eben nicht nur aus reinem Spaß, sondern weil er ein ernstes Anliegen hat. Auch wenn die meisten der Hanfparade-Teilnehmer kaum älter als um die 21 Jahre sind und so ganz nebenbei auch noch das Klischee von der unpolitischen Jugend widerlegen.
Das Prinzip der Demo ist zwar ähnlich wie bei der Loveparade, wo es bekanntlich um „Liebe“ ging, vor allem aber darum, einfach eine gute Zeit zu haben – man zieht also auch auf der Hanfparade im Wesentlichen hinter ein paar Mottowagen her, aus denen Musik schallt, doch man will hier mehr als nur eine gute Party auf den Straßen Berlins. So legt die Parade auf ihrem Weg vom Hauptbahnhof zum symbolträchtigsten Ort Berlins gleich mehrere Zwischenstopps ein, auf denen Reden gehalten werden, die die Repressionen gegenüber Kiffern thematisieren.
Schnell wird hier auch deutlich, dass es eigentlich um viel mehr gehen soll als nur darum, dass man in Deutschland immer noch mit Problemen aller Art konfrontiert wird, wenn man sich einen harmlosen Joint anstecken will.
Ein Sprecher der „Grünen Hilfe“, einer Organisation, die sich um Menschen kümmert, die aufgrund kleinerer Delikte im Umgang mit Cannabis Probleme bekommen haben, spricht dann auch von der Prohibition als „rassistischer und faschistischer Kackscheiße“.
Er führt noch weiter aus, was genau er damit meint, endet aber vor allem damit, dass er als freier Bürger endlich frei darüber entscheiden will, ob er sich abends eine Feierabendtüte gönnen mag oder nicht. „Das Ziel ist Freiheit, Ziel ist ein selbstbestimmtes Leben“, sagt er. Drunter geht es bei Hanfaktivisten offenbar nicht. Der simple Joint wird bei ihnen zum Symbol dafür, dass auch in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen etwas nicht zu stimmen scheint. Ähnliches erlebt man ja auch bei den andauernden Diskussionen rund um die Probleme mit den Dealern im Görlitzer Park. Da geht es längst auch um Teilhabe von Anwohnern, die Flüchtlingsthematik und Rassismus.
Schön plakativ nutzt auch die Partei Die Linke auf ihrem Wagen die metaphorische Kraft des Joints und stellt kurzerhand einen ziemlich atemberaubenden Zusammenhang her. „Baut Joints, keine Mauern“ steht dort auf einem Transparent. Und gleich daneben: eine Fahne Griechenlands.
Kiffen hat in den letzten Jahren diskursiv einen dramatischen Wandel erfahren. In mehreren Bundesstaaten der USA ist es inzwischen legal, und quer durch die Parteienlandschaft machen sich unterschiedlichste Politiker, aber auch Ärzte, Wissenschaftler und Juristen stark für eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes.
Die Interessen dabei sind mannigfaltig und reichen von der These, dass der Krieg gegen Drogen nur mit weniger Repression gewonnen werden könne, bis hin zu medizinischen Fakten, die besagen, dass ein guter Joint bei Schmerzpatienten Wunder bewirken würde. „Ich kiffe steuerfrei“ steht auf einem Transparent eines Demo-Teilnehmers. Dieser Slogan wiederum will darauf aufmerksam machen, dass staatlich erlaubtes Kiffen auch jede Menge Steuergelder in die Kassen spülen würde – ein Argument, mit dem die Kifferlobby eher konservative Politiker locken möchte.
Diejenigen, die da für ihr Recht auf einen guten Cannabisrausch umherziehen, sind somit also plötzlich selbst für Teile der FDP und der CDU nicht mehr irgendwelche Kifferfreaks, sondern die Avantgarde der Vernunft.
Auf der Parade selbst wollen sich jedoch immer noch nur die für das Kiffen dezidiert aufgeschlosseneren Parteien mit einem Wagen beteiligen. Neben der Linken ist das die Piratenpartei, von der man so nebenbei erfährt, dass es sie überhaupt noch gibt, und die Grünen, die ihren Wagen gar mit ein paar Hanfpflanzen hübsch drapiert haben. Bei näherem Hinschauen stammen diese jedoch nicht vom Balkon Cem Özdemirs, sondern sie sind aus ökologisch nur schwer abbaubarem Plastik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“