Hanf oder gar nicht: „Zeit, die Angst zu überwinden“
Kontroverse im Bremer taz-Salon zur Cannabis-Politik: Skeptiker und Befürworter debattierten über Risiken und Chancen einer Freigabe.
Am Dienstagabend saß Kopelke auf dem Podium im Kulturzentrum Lagerhaus. Die taz.bremen hatte zu einem Salon ins Kulturzentrum Lagerhaus geladen, um unter dem Titel „Legalize it“ über die Bremer Haschisch-Politik zu diskutieren, moderiert wurde das Gespräch von Redakteur Benno Schirrmeister. Anlass, über die Chancen und Risiken einer Freigabe nachzudenken, bot der Vorstoß der rot-grünen Koalition in Bremen, der eine weitgehende Liberalisierung de Cannabis-Politik befürwortet – und die Möglichkeiten dafür auf Landesebene auslotet.
Kopelke allerdings warnte vor allem vor dem „gefährlichen Stoff THC“. Er sieht in einer Legalisierung keine Entlastung für die Polizei. Auch eine höhere Obergrenze für den faktisch straffreien Eigengebrauch bedeute für die Polizei einen „riesigen Bürokratie-Aufwand“.
Doch bei Kopelkes Ausführungen über die Details des Cannabis-Alltags auf der Wache, rutschte sogar Polizeipräsident Müller heraus: „Ich bin auch für die Legalisierung“. Leise nur sagte er das und nicht für die Ohren des Publikums bestimmt. Auf dem Podium aber sorgte Müllers heimliches Bekenntnis für Heiterkeit, während das Publikum noch empört die Köpfe schüttelte.
Polizeipräsident Müller war anfangs noch anders aufgetreten: Die Polizei würde die Normalverbraucher in Ruhe lassen, sagte Müller. „Wir verwenden so wenig Aufwand wie möglich“. Das provozierte Widerspruch auf dem Podium: Für Georg Wurth, Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes, ist Deutschland „das repressivste Land Europas“, was Cannabis-Konsum angeht. Auf den Konsumierenden laste „in Wirklichkeit ein erheblicher Druck“, so Wurth. Deutschlands vermutlich umtriebigster Legalize it!-Lobbyist musste bereits am Mittwoch wieder in Berlin bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags zum Entwurf eines Cannabis-Kontollgesetzes Rede und Antwort stehen.
Unverhältnismäßige Strafen bei Wiederholungstätern, ein Eintrag im Führungszeugnis, der Sozialarbeiter den Job kosten könne, erniedrigende Körperkontrollen – all das seien Maßnahmen, bei denen sich Konsumenten nicht entkriminalisiert fühlten, so Wurth. Nicole Krumdiek, Juristin und Gründungsmitglied des prohibitionskritischen „Schildower Kreises“, erklärte, die momentane Gesetzgebung sei „verfassungswidrig“. „Wir halten an dem was wir kennen aus Angst fest“, sagte Krumdiek. „Es ist Zeit diese Angst zu überwinden und mit allen Beteiligten gemeinsam eine Lösung zu entwickeln.“ Wege in einer Gesellschaft jenseits der Prohibition hatte sie in ihrer bereits 2006 veröffentlichten Dissertation gewiesen. Die gilt, derzeit leider nur als e-book lieferbar, auch wegen dieser Praxisorientierung bis heute als ein Referenztext der Freigabe-Debatte in Deutschland.
In einigen Punkten war sich das Podium allerdings einig. Etwa, als Müller erklärte: „Die Polizei ist nicht Treiber der Diskussion, sondern im Vollzug“. Aus seiner Sicht sei also die Politik gefragt, ein überzeugendes, bundesweites Konzept für den Umgang mit Cannabis zu entwickeln. „Es muss eine reine gesundheitliche Diskussion sein“, sagte Müller. Damit wendete er sich an die ebenfalls anwesende Bremer Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD).
Sie trat für eine Legalisierung des Konsums ein – entsprechend des Vorhabens der rot-grünen Koalition, einen Modellversuch beziehungsweise eine Bundesratsinitiative zu starten. „Ein Verbot senkt die Zahl der Konsumierenden nicht“, sagte Quante-Brandt. Und eine Kriminalisierung der Konsumenten finde sie ebenfalls nicht sinnvoll. Für Quante-Brandt war es selbstverständlich, dass man in dieser Diskussion zwischen Jugendlichen und Erwachsenen trennen müsse. Um Jugendliche zu schützen, gingen Maßnahmen der Suchtprävention mit einer Legalisierung einher. Erwachsene aber seien selbst verantwortlich für ihr Handeln beziehungsweise: ihren Konsum.
Die Tabuisierung des Themas in der Gesellschaft wurde aus dem Publikum zur Sprache gebracht: Zu wenig werde über Cannabis gesprochen, eine Aufklärung durch die Eltern werde dadurch verhindert. Ein Suchttherapeut berichtete, dass eine Kriminalisierung die Situation für seine Patienten schlimmer mache. Mit einer Legalisierung hingegen gewinne man an Kontrolle, es gäbe einen Verbraucherschutz, Jugendschutz und neue Steuereinnahmen könnten in die Präventionsarbeit fließen.
Da stimmte ihm auch Quante-Brandt zu: Mit kontrollierten Abgaben von Cannabis könne auch die Konzentration des Wirkstoffs THC besser überprüft werden. Bis zu einer bundesweiten gesetzlichen Regelung sei es jedoch noch ein langer Weg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden