Handel mit antiquarischen Büchern: Die Amazonisierung der Nische
Ab November ändert Deutschlands größtes Onlineportal für antiquarische Bücher seine Bedingungen – zulasten kleiner Händler.
Wiedenroth weiß zwar, dass sein Segment im Vergleich zu den gut 40 Milliarden Euro E-Commerce-Jahresumsatz keine große Rolle spielt. Doch genau deshalb regt sich bei ihm und vielen Kollegen Unmut über das, was in der Nacht vom 2. auf den 3. November passieren wird. Dann nämlich ändert das „Zentrale Verzeichnis antiquarischer Bücher“ (ZVAB) seine Händlerbedingungen.
Vorbild ist dabei die international aktive US-Firma Abebooks, seit 2008 eine Tochter des Internetriesen Amazon. Vor vier Jahren übernahm Amazon – ohne größeres Aufsehen – auch den deutschen Konkurrenten ZVAB, der jetzt das Abebooks-Reglement übergestülpt bekommen soll.
Meinhard Knigge, Vorstand im Verband Deutscher Antiquare, sieht darin vor allem „zwei große Nachteile“: So seien beim ursprünglichen ZVAB die Bestände der Verkäufer auch bei deren temporärer Abwesenheit präsent geblieben, also bei Messeaufenthalten oder während des Urlaubs. Kaufinteressenten wurden dann darauf aufmerksam gemacht, dass die Bestellung erst nach Rückkehr des Händlers abgewickelt wird. Künftig wird das Angebot in solchen Zeiten offline geschaltet – Umsatzausfälle inklusive.
Meinhard Knigge, Antiquar
Die zweite große Änderung ist, dass bei der Ermittlung der Verkaufsprovision von derzeit 8 Prozent ab Anfang November auch die Lieferkosten, vor allem Porto und Verpackung, berücksichtigt werden. Während der Händler etwa für ein Buch im Wert von 15 Euro bislang 1,20 Euro Provision bezahlen musste, steigt dieser Betrag um 32 Cent auf 1,52 Euro, wenn man von 4 Euro Versandkosten ausgeht.
Die Antiquare debattierten die Neuregelungen lebhaft, dennoch hat sich nur wenig Protest formiert. „Leider ist es in unserer Branche schwierig, eine gemeinsame Aktion auf die Beine zu stellen“, sagt Meinhard Knigge. Hermann Wiedenroth stimmt zu: Es gebe „keine flächendeckende Solidarität“.
Neben dem ZVAB bestehen im Bereich des antiquarischen Onlinebuchhandels weitere Mitbewerber, darunter der GIAQ-betriebene Onlinemarktplatz antiquariat.de, auf dem laut Fachzeitschrift Börsenblatt etwa 360 Händler circa 4,5 Millionen Bücher anbieten. 62.000 Verkäufer, davon 2.750 gewerbliche, sind laut Börsenblatt außerdem auf dem Portal Booklooker vertreten, das täglich circa 5.000 Bestellungen abwickelt. Der damit vertriebene Warenwert lag 2014 bei 13 Millionen Euro. Wie viel die Firma selbst verdient? Unbekannt.
„Wir geben grundsätzlich keine Unternehmenszahlen heraus“, heißt es zwar auch bei ZVAB/Abebooks. Doch bei der 1996 von drei Berliner Studenten gegründeten Amazon-Tochter sind sich Branchenkenner einig: Es handelt sich um den mit Abstand größten Anbieter seiner Art, was umso deutlicher wird, wenn man die komplette Amazon-Range berücksichtigt, also etwa den „Marketplace“, über den einzelne Händler ihre Waren verkaufen können. „Amazon hat bei den digitalen Umsätzen mit antiquarischen und Second-Hand-Büchern im deutschsprachigen Raum nahezu eine Monopolstellung“, vermutet auch der Hamburger Antiquar Meinhard Knigge.
Bei Abebooks selbst kann man die Aufregung nicht nachvollziehen, gerade was die neue Abwesenheitsregel betrifft: Die bisherige Regel entspreche einfach nicht den „Erwartungen der meisten Kunden“, die eine „sofortige Auftragsabwicklung“ erwarteten, heißt es auf taz-Nachfrage. Durch die Präsenz auf allen internationalen Abebooks-Seiten verhelfe man den Verkäufern zudem potentiell zu mehr Umsatz – bei gleichzeitig mehr Service für den Kunden.
Neuer Laptop oder eine seltene Goethe-Ausgabe? Amazon wendet für beides dieselben Effizienzprämissen an. „Stellen Sie sich eine leere Plattform vor, für eine Woche, einen Monat – glauben Sie nicht, dass die Betreiber schnellstens zu Verhandlungen einladen würden?“, philosophiert Hermann Wiedenroth. Er weiß, dass die Händler mit ihrem Buchbestand am längeren Hebel sitzen – eigentlich.
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