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Hanau-Gedenken in BerlinKein Vergessen

Zum zweiten Jahrestags des Anschlags in Hanau gibt es auch in Berlin zahlreiche Veranstaltungen gegen den rassistischen Normalzustand.

Say Their Names: Angehörige der Opfer verlangen Aufklärung vor dem hessischen Landtag Foto: dpa

K aloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz, Vili Viorel Păun, Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz, Ferhat Unvar, Hamza Kurtović und Said Nesar Hashemi.

Hinter den Namen verbirgen sich die Schicksale von neun jungen Menschen, die abrupt aus dem Leben gerissen wurden. Said Hashemi konnte nicht mehr Trauzeuge seines besten Freundes werden. Mercedes Kierpacz hinterlässt zwei Kinder. Gökhan Gültekin hatte sich erst kurz vor seinem Tod selbständig gemacht. Die Geschichten der anderen sechs sind nicht weniger tragisch.

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Am Samstag vor genau zwei Jahren erschoss sie in im hessischen Hanau der Rechtsextremist Tobias R. Der Täter machte gezielt Jagd auf Menschen, die nach ihrem Aussehen nicht seiner Vorstellung von „Deutschsein“ entsprachen.

Im vergangenen Dezember wurden die Ermittlungen eingestellt. Das offizielle Ergebnis: R. war ein Einzeltäter. Doch R. war nicht allein. Seine Tat wurde erst ermöglicht durch den in Deutschland herrschenden rassistischen Normalzustand.

Hanau ist kein Einzelfall

Der Notausgang in der Shishabar, indem der Täter seine Opfer suchte war versperrt – Laut Zeugen auf Anordnung der Polizei, um die regelmäßigen Razzien in der Bar zu ermöglichen.

Die Polizei verpasste in der Tatnacht mehrere Notrufe und rückte viel zu spät an. Die SEK-Einheit, die an diesem Abend im Einsatz war wurde später wegen rechtsextremistischer Umtriebe aufgelöst.

Der Täter war getrieben von einer rassistischen Ideologie, die befeuert wird von Parteien wie der AfD, die geflohene Menschen als „Messermänner“ bezeichnet. Von rassistischen Medienberichten, in denen Shishabars seit Jahren als kriminelle Orte dargestellt werden. Von einem kapitalistischen System, dass Mi­gran­t:in­nen gerne als Arbeitskräfte ausnutzt, gesellschaftlich aber ausgrenzt.

Hanau war kein Einzelfall sondern nur ein weiterer Höhepunkt der rassistischen Gewalt in der wiedervereinigten BRD. So zählt die Amadeu Antonio Stiftung 214 Todesfälle rassistischer Gewalt seit 1990.

Den Opfern von Hanau zu gedenken, heißt daher auch gegen den rassistischen Normalzustand vorzugehen. Zum Jahrestag finden wie überall in Deutschland auch in Berlin zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt (Samstag, 19. Februar. Gedenkveranstaltungen: Leopoldplatz 12 Uhr; Oranienplatz 16 Uhr; Demonstration, Zickenplatz 19.30 Uhr)

Hanau ist überall

Unvergessen ist auch Sven Beuter, der 1996 in Brandenburg an der Havel ermordet worden ist. Der damals 23 Jahre alte Punk wurde überfallen und brutal zu Tode geprügelt. Das Gericht sah den Konflikt nicht als rechts motivierten Mord, sondern als Streit zwischen Jugendlichen an. Der Täter wurde nur wegen Totschlags, nicht wegen Mord zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Mittlerweile ist er wieder auf freiem Fuß und weiterhin in der Neonaziszene aktiv. Zu Beuters Gedenken findet am Sonntag eine Gedenkkundgebung in Brandenburg an der Havel statt (20. Februar, Havelstraße 13, 17 Uhr)

Dass rassistische Gewalt auch im als tolerant geltenden Berlin allgegenwärtig ist, zeigte sich Anfang Februar, als die 17-Jährige Dilan am S-Bahnhof Greifswalder Straße von 6 Personen rassistisch beleidigt und anschließend geschlagen wurde. Keiner der umstehenden Personen griff ein oder informierte die Polizei. Diese stellte dann im Nachhinein Dilan als Maskenverweigerin falsch dar und vergrub das rassistische Motiv Tat zunächst in einem Nebensatz. Viele Medien verbreiteten diese Darstellung ungeprüft, von Rassismus war nirgends die Rede und die 17-Jährige musste die Sachlage von ihrem Krankenbett aus in einem Instagramvideo klarstellen, bevor Polizei und Medien ihren Fehler korrigierten.

Um ein Zeichen der Solidarität mit Dilan zu setzen, wird es am Sonntag eine Demo durch den Prenzlauer Berg geben (Sonntag, 20. Februar, Startpunkt Greifswalder Straße, 14 Uhr).

All diese Fälle zeichnen eine Kultur des Wegschauens, Wegduckens und Kleinredens, die sich durch Instutionen und Gesellschaft zieht. Es ist höchste Zeit damit zu brechen.

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Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
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