Hamburgs neues Musical: Harte Schnitte

Das Musical „Das Wunder von Bern“ schafft die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Unterhaltung. Damit ist es das derzeit beste Hamburger Event-Musical.

Spektakuläres Finale: Die wichtigsten Spielzüge des Endspiels werden vertikal nachgespielt. Bild: dpa

Die beiden Theater stehen direkt nebeneinander, beide an der Elbe mit Blick auf die Skyline von Hamburg, jener Stadt also, die der drittgrößte Standort für Musicals geworden ist nach New York und London. Eines der beiden Theater strahlt gelb-braun, es ist die Spielstätte für den „König der Löwen“, der seit 2001 in Hamburg gezeigt wird. Das andere Theater strahlt weiß, es sieht aus wie ein Stahlhelm, ist nagelneu und die Spielstätte für „Das Wunder von Bern“, das am Wochenende Premiere hatte.

Beide Theater gehören dem Konzern Stage Entertainment und beide Musicals sind gemacht, um ein Massenpublikum anzusprechen. Beim „König der Löwen“, einer Disney-Produktion, gelingt das nachweislich. Beim „Wunder von Bern“, einer Hamburger Eigenproduktion von Stage Entertainment, ist die Massentauglichkeit begrenzt. Dafür ist den Produzenten ein gutes Musical gelungen. Eines, das nichts ist für Kinder und nichts für ein Wohlfühl-Publikum auf der Suche nach möglichst leichter Unterhaltung.

Das liegt vor allem daran, dass die Macher ihre Geschichte ernst genommen haben. „Das Wunder von Bern“ erzählt von einem Spätheimkehrer im Jahr 1954. Die Gefangenschaft hat ihn traumatisiert und jetzt lässt er seine Aggressionen an seiner Familie in Essen aus. Darunter leidet vor allem der neunjährige Sohn, der den Vater nie vorher gesehen hat. Vor dem Hintergrund der Fußball-Weltmeisterschaft finden beide zueinander.

Das Musical basiert auf dem gleichnamigen Film von Sönke Wortmann und verzichtet nicht darauf, das Problem zu benennen: Wenn der Vater in der Zeche arbeitet, hört er Maschinengewehre statt Böller, wenn er seiner Familie endlich vom Arbeitslager erzählt, dann lautet das Libretto: „Bin bloß ein Strich noch, ein Blatt Papier, das nur zerknüllt wird, jetzt sitz’ ich hier.“

Der Vater-Sohn-Geschichte steht die Weltmeisterschaft gegenüber, die das Musical nacherzählt, indem es einen jungen Sportreporter in die Handlung einführt. Der, seine Frau und die Mannschaft sind verantwortlich für den Kostümreigen und die Tanzszene, die notwendig zu den Stage-Musicals gehören. Es geht darum, eine Balance herzustellen zwischen tragischer Geschichte und leichtem Entertainment – was zu harten Schnitten führt, aber insgesamt gelingt.

Musikalisch setzt Komponist Martin Lingnau auf das Repertoire der 1950er-Jahre, von der Volksmusik im Blaskapellen-Format über Rock’n’Roll bis hin zum Chanson und Schlager. Heutigen Pop gibt es an jenen Stellen, an denen es ernst wird. Auch die Musik hat die Aufgabe, den ernsten Stoff mal zu transportieren und mal aufzulockern.

Beim Bühnenbild setzt die Inszenierung auf die Projektion gezeichneter Kulissen. Dem düsteren Ruhrgebiet steht die idyllische Schweiz gegenüber. Das Endspiel der Weltmeisterschaft bestreiten Schauspieler dann, indem sie an Zügen aufgehängt vertikal auf der hinteren Bühnenwand Spielzüge nachspielen.

Es ist ein spektakuläres Finale, das für die theatrale Umsetzung eines Sportereignisses mit einer Idee arbeitet – im Gegensatz zum Musical „Rocky“, bei dem der finale Boxkampf nur möglichst realistisch nachgestellt wird. Unter den Stage-Musicals in Hamburg ist „Das Wunder von Bern“ derzeit das Beste.  

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