Hamburgs FDP im Wahlkampffinale: Jubeln gegen liberale Angst
Hamburgs FDP rief, und Parteifreund*innen aus dem ganzen Bundesgebiet kamen. Die kollektiv zur Schau gestellte Zuversicht war beinahe überzeugend.
Und dieser ganze Aufwand, weil Hamburgs FDP die letzte Woche des laufenden Wahlkampfs eröffnet, in Gestalt eines „bundesweiten Aktionstages“ mit Bühnenprogramm, in der Innenstadt zum samstäglichen Shopping-Hoch?
Dass die Freien Demokraten dieser Tage, als Folge des Eklats von Erfurt, ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis verspüren könnten, das ist ja plausibel. Ein paar Tage ist es her, dass die Partei einen Wahlkampftermin im Schanzenviertel kurzfristig abgesagt hat. Eine Diskussion zum genuin liberalen Thema Cannabis-Politik war unter anderem von der örtlichen Interventionistischen Linken kritisiert worden. Wie zwingend diese Absage aber war – und wie viel Inszenierung als Opfer politischer Extremist*innen? Schwer zu sagen.
Das Rennen um die Hamburgische Bürgerschaft ist die einzige Landtagswahl in diesem Jahr. Eine Prüfung daher ist es für die örtliche Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels, aber mindestens so sehr für die Gelben-Granden in Berlin, vorneweg Parteichef Christian Lindner. Der ist diesmal nicht unter den angereisten Parteipromis, aber die Bundestagsabgeordnete und Landeschefin Katja Suding ist wieder dabei, wie schon beim Wahlkampfauftakt, auch Generalsekretärin Linda Teuteberg.
Unterstützung von auswärts
Aus Niedersachsen ist Parteichef Stefan Birkner gekommen, aus Bremen der Vizevorsitzende Magnus Buhlert, dazu Fraktionschef*innen, etwa aus Bayern und Berlin, und noch ein paar hohe und weniger hohe Funktionsträger*innen.
Vielleicht aber noch wichtiger: „zu Hunderten“, so heißt es von der Partei selbst, sind ganz normale Parteifreund*innen dem Ruf gefolgt, aus Hessen und Nordrhein-Westfalen, unter anderem; auch wenn Letztere sich verspäten – was, klar, an der miesen rot-grünen Verkehrspolitik liegen müsse. Die Basis wird am Nachmittag, bestückt mit Treuenfels-Flyern (für Unentschlossene) und Verpflegungsgutscheinen (gegen den eigenen Hunger), ausschwärmen: In Stadtteile wie Harburg und Blankenese, auf Marktplätze und in Fußgängerzonen – Wahlkampf machen.
Ein paar dieser entfernteren FDP-Familienmitglieder sind auch am späten Sonntagvormittag dabei, beim eher kurzfristig anberaumten Landesparteitag in den Räumen der örtlichen Kassenärztlichen Vereinigung. Auch da geht es vor allem ums Beschwören eines „Jetzt erst recht!“.
Und das scheint nötig: Die Umfragewerte der FDP sind zuletzt kontinuierlich gebröckelt. Am Freitag erst kamen die vermutlich letzten vor der Wahl am kommenden Wochenende heraus, und sie waren düster für die FDP: bei nur noch 4,5 Prozent sah sie die repräsentative Erhebung im Auftrag des ZDF. Für eine echte Prognose ist das wohl zu knapp unter der entscheidenden Fünf-Prozent-Hürde. Aber Sorge muss bereiten, dass die vom ZDF Befragten zu mehr als drei Vierteln die „Politik in Hamburg“ als ausschlaggebend für ihre Parteipräferenz benennen; die sonstige, also Bundespolitik, kommt auf 19 Prozent.
Thüringen ein Fehler
Dass „Thüringen ein Fehler“ gewesen sei, also die Wahl des FDP-Ministerpräsidenten Kemmerich mit Hilfe der dortigen, ganz besonders ausdrücklich rechtsradikalen AfD: Das auszusprechen bedeutet in Hamburg kein großes Risiko; die soeben vom Spiegel berichteten parteiinternen Grabenkämpfe spielen offenbar vorerst anderswo. Auch Christian Lindner dürfte am kommenden Freitag sein Amt wohl noch innehaben: Dann kommt er doch noch mal nach Hamburg, zum letzten großen Wahlkampftermin, in einem Konzertschuppen an der Reeperbahn.
Inzwischen ist die blanke Zerknirschung aber einer etwas anderen Rhetorik gewichen: Zuverlässig folgt auf Die-Fehler-Einräumen und Die-Kritik-ernstnehmen-Wollen eine leicht auswendig gelernt wirkender Gegenangriff: Schlimm sei doch auch, wenn nun politische Mitbewerber*innen die liberale Konkurrenz ein für allemal loszuwerden suchten. Ja, gegen Anfeindungen und Hass verwahre man sich eben auch, das sagen Suding und Teuteberg und Treuenfels in annähernd denselben Worten.
Die Antifa lässt die FDP übrigens in Ruhe an diesem Samstagmittag in der Hamburger Innenstadt. Und die Polizei bewacht die Liberalen auch nur unter anderem: Ganz in der Nähe hat die sogenannte „Bürgerbewegung Pax Europa“ eine Bühne aufgebaut, um gegen den politischen Islam zu wettern, oder gegen das, was sie als solchen darstellen kann. Und hier finden sich dann auch ein paar Protestierende ein: „Geh' doch auf den Jungfernstieg“, ruft irgendwann einer im schwarzen Kapuzenpulli dem Redner zu – „zur FDP!“
Vielleicht noch schlimmer aus liberaler, aus Markenwiedererkennungssicht: Auf der anderen Straßenseite, gleich neben dem regelmäßig dort zu findenden Infostand gegen staatlichen Organraub in China, verabschiedet eine andere Partei auswärtige Wahlkampfhelfer*innen in den Samstagnachmittag: Es sind die Grünen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind