Hamburgs Bürgermeister über Optionen: „Rot-Grün ist naheliegend“
Peter Tschentscher (SPD) kann sich ein Bündnis mit den Grünen vorstellen, wenn diese große Infrastrukturprojekte und den Hafenausbau mittragen.
taz: Herr Tschentscher, warum sind Sie der bessere Bürgermeister?
Peter Tschentscher: Ich führe die Dinge zusammen und habe seit neun Jahren Erfahrung in der Senatsarbeit. Wir haben die ganze Stadt im Blick. Ich freue mich auch, dass meine Arbeit als Bürgermeister großen Zuspruch erhält und ich in den Umfragen weit vor den anderen Spitzenkandidaten liege.
Wie Ihr Vorgänger legen Sie großen Wert auf gutes Regieren. Was heißt das für Sie?
Dass man die richtigen Ziele verfolgt, konkrete Pläne macht und diese dann auch so umsetzt, dass es funktioniert. Bürgerinnen und Bürger erwarten von Senat und Verwaltung, dass man zum Beispiel keine Elbphilharmonie plant, die ein Bauskandal wird, sondern dass man ein Projekt von vornherein so steuert, dass es auch klappt.
Wie hat sich Ihr Leben dadurch geändert, dass Sie Erster Bürgermeister geworden sind?
Auch vorher als Finanzsenator hatte ich gut zu tun und wenig Freizeit. Aber als Erster Bürgermeister ist man eigentlich immer im Amt, auch im Urlaub. Ich bin für alle Themen der Stadt zuständig und werde stärker als Person des öffentlichen Lebens gesehen. Das heißt, mir werden jetzt auch viele persönliche Fragen gestellt wie „Trinken Sie lieber Rotwein oder Weißwein?“ oder „Was ist Ihr Lieblingsplatz in Hamburg?“.
54, ist seit März 2018 Erster Bürgermeister von Hamburg. Er hat seinen SPD-Parteifreund Olaf Scholz beerbt, der Bundesfinanzminister wurde. Er ist seit 1989 Mitglied der SPD und hat als Arzt in einem Labor gearbeitet.
Anfangs wurde Ihnen vorgeworfen, Sie seien ein Klon von Olaf Scholz. Was unterscheidet Sie beide?
Es freut mich, wenn man Ähnlichkeiten zwischen Olaf Scholz und mir feststellt. Olaf Scholz ist einer der besten Politiker Deutschlands. Er analysiert Probleme sorgfältig und denkt die Dinge zu Ende. Das schätze ich sehr. Aber ich bin ein anderer Typ und habe ein anderes Leben geführt. Ich bin erst seit neun Jahren Politiker, davor war ich als Oberarzt und Privatdozent am UKE tätig. Das gibt mir einen anderen Erfahrungshintergrund als bei den meisten anderen Berufspolitikern, die ich kenne.
Wie Olaf Scholz wollen Sie Hoffnung stiften. Sie haben oft gesagt, die besten Jahre in Hamburg lägen noch vor uns. Was stimmt Sie optimistisch?
Dass wir viel erreicht haben in den vergangenen neun Jahren mit der SPD. Wenn Sie sich einmal erinnern, in welcher schlimmen Lage Hamburg 2010 war: Die HSH Nordbank lag am Boden mit zweistelligen Milliarden-Risiken, der Haushalt war überschuldet, die Elbphilharmonie war zum Skandal geworden. Es gab keine Perspektive für Wissenschaft und Bildung, sondern Studiengebühren und die höchsten Kita-Gebühren aller Zeiten. Das haben wir geändert. Innerhalb von vier Jahren haben wir den Haushalt konsolidiert. Damit haben wir die finanzielle Kraft bekommen, die Bildung in Hamburg kostenlos zu machen und in wichtige Zukunftsprojekte zu investieren. Mein Ehrgeiz ist, dass man in zehn Jahren in Deutschland über die Digitalisierung und den Klimaschutz in Hamburg so spricht wie heute über unsere Erfolge in der Wohnungs- und Bildungspolitik.
In jüngster Zeit hatte man den Eindruck, die SPD versuchte den Grünen die Themen zu klauen, etwa beim Verkehrs- oder dem Innenstadtkonzept.
Das sind Themen, die uns seit Jahren bewegen. Das Bündnis für die Innenstadt hatte uns vor längerer Zeit gebeten, an einer neuen Gestaltung für eine lebenswerte Innenstadt mitzuwirken. Das haben wir gemacht, denn die Innenstadt ist die Visitenkarte Hamburgs. Diese Ergebnisse haben wir vor kurzem veröffentlicht, denn wir wollen damit nicht über die Köpfe der Beteiligten in der City hinwegentscheiden. Die Verkehrswende setzt unsere Verkehrsbehörde schon seit Jahren um. Das ist auch ein zentraler Baustein für unseren neuen Klimaplan. Dazu gehört, das Angebot an Bussen und Bahnen massiv auszubauen.
Hätten Sie das nicht gemeinsam mit den Grünen vorstellen müssen?
Es gibt im Senat klare Zuständigkeiten für den Verkehr und die Stadtentwicklung. Weil dies zentrale Bereiche unserer Politik sind, sind es zugleich Themen für den Ersten Bürgermeister. Genauso habe ich mich an der Vorstellung des Haushaltsplans, des Klimaplans, des Fernwärmerückkaufs, der Verbesserungen im HVV und der Pläne für die Science City Bahrenfeld beteiligt.
Ihr Innenstadtkonzept erinnert aber schon sehr an jenes, das die Grünen vier Monate zuvor vorgelegt haben. Das hat doch ein Geschmäckle.
Es war umgekehrt. Die Grünen sind mit dem Vorhaben einer „autofreien Innenstadt“ gestartet, sind dann schrittweise davon abgerückt und schließlich bei dem Vorschlag zu einem schrittweisen Vorgehen gelandet, den ich als Bürgermeister vorgegeben habe. Parteien können zu allem Vorschläge machen, Behörden müssen die Projekte sorgfältig prüfen und die Auswirkungen beschreiben. Das haben sie getan.
Beim Thema Wissenschaft ist Hamburg unlängst ein schlechtes Zeugnis ausgestellt worden.
Wir haben der wissenschaftlichen Entwicklung neues Gewicht verschafft. Mein Vorgänger hatte bereits die Idee einer Science City Bahrenfeld. Ich habe die Wissenschaft an den Anfang meiner ersten Regierungserklärung gestellt. Denn wir haben gesehen, wohin es führt, wenn man wie CDU und Grüne bis 2010 über die Wissenschaft zwar abstrakt diskutiert, aber Universitätsgebäude verkommen lässt und sich nicht darum kümmert, auch Spitzeninstitute wie Fraunhofer nach Hamburg zu holen.
Das neue Klimaschutzgesetz deutet auf einen stärker ordnungspolitischen Zugriff. Hat Ihnen das der Koalitionspartner abgerungen oder kommt das von der SPD?
Im Frühjahr vergangenen Jahres habe ich darauf gedrungen, dass wir einen konkreten Klimaplan vorlegen, mit dem wir die nationalen Klimaziele in Hamburg sicher erreichen. Wir haben damit jetzt über 400 konkrete Maßnahmen festgelegt, mit denen der CO2-Ausstoß Jahr für Jahr verringert wird. Dabei gelten die Gebote der Sozialverträglichkeit und der Wirtschaftlichkeit, damit wir möglichst schnell vorankommen. Auch den Vorschlag, das Klimaschutzgesetz zu novellieren, habe ich in die Arbeit des Senats eingebracht, um das Erreichen unserer Klimaziele gesetzlich abzusichern.
Trotzdem plant der Senat noch, für die Industrie und den Hafen in Hausbruch ein Moor zu zerstören und den Völlhöfner Wald in Altenwerder. Dazu soll eine Autobahn quer durch Wilhelmsburg kommen. Ist das noch zeitgemäß?
Diese Maßnahmen haben unterschiedliche Qualität. Die A26 ist ein Infrastrukturprojekt, das erforderlich ist, um die Leistungsfähigkeit des überregionalen Verkehrs in unserer Stadt sicherzustellen. Die A26 Ost bauen wir übrigens in einem Tunnel, sodass die umliegenden Stadtteile nicht nur von Verkehr, sondern auch von Lärm entlastet werden.
Die Autobahn wird aber auch Verkehr erzeugen.
Nein, sie wird den Verkehr bündeln und damit Autos und Lkws aus den Stadtteilen und Quartieren herausholen, wo viele Menschen wohnen, die ihre Ruhe haben wollen.
Hört sich an wie von der CDU.
Hört sich an wie ein Konzept, das sinnvoll ist und Anwohner entlastet. Nehmen Sie mal die Ortsumgehung Fuhlsbüttel: 20 Jahre lang wurde behauptet, das ist der Untergang für die umliegenden Stadtteile. Nun ist sie seit Jahren fertig und der Verkehr läuft einwandfrei, niemand beschwert sich mehr darüber.
Gilt das auch für die Zerstörung des Vollhöfner Waldes?
2016 haben SPD und Grüne gemeinsam beschlossen, die Vollhöfner Weiden als Hafenerweiterungsgebiet auszuweisen. Wir werden das aber in den nächsten Jahren nicht angehen, sondern noch einmal abwägen. Derzeit laufen noch Untersuchungen zum ökologischen Wert der Flächen. Wir müssen dem Hafen aber die erforderlichen Flächen bereitstellen und dürfen ihn nicht gegen die Umwelt stellen. Es gibt keine umwelt- und klimafreundlichere Art, Waren zu transportieren, als mit dem Schiff.
Als Bezirkspolitiker waren Sie auch mal ein Freund der Stadtbahn und weniger der U-Bahn.
Wir haben eben erlebt, dass die konkrete Planung einer Stadtbahn überall zu heftigen Bürgerprotesten führt, weil sie den knappen Straßenraum zusätzlich in Anspruch nimmt. Der Senat aus CDU und Grünen hat viel Zeit verloren und Steuergeld verplant, bevor er die Stadtbahnplanung dann wieder eingestellt hat. U- und S-Bahnen sind dagegen viel leistungsfähiger und verlaufen im innerstädtischen Bereich überwiegend unterirdisch. Mit dem Bau und der Nutzung von Schnellbahnen wird Straßenraum frei, den wir dringend benötigen: für Fußgänger, Radfahrer, den Wirtschaftsverkehr und diejenigen, die noch mit dem Auto fahren wollen oder müssen.
Warum sollen die Hamburger zehn, zwanzig Jahre warten, bis die neuen U-Bahn-Linien fertig sind?
Die ersten neuen U-Bahn-Stationen sind bereits eröffnet, Elbbrücken und Oldenfelde. Bald kommt die U4-Verlängerung in die Horner Geest. Man muss nicht 20 Jahre warten, weil wir schon vor acht Jahren begonnen haben. Der große Schritt, um mit dem Verkehr besser klarzukommen, besteht nun mal darin, große Teile des Nahverkehrs unter die Erde zu verlagern. Ein modernes Schienenkonzept ist unterirdisch. Es ist viel leistungsfähiger als eine Stadtbahn. Hätte man diese einfache Erkenntnis schon 2005 bedacht, dann wären wir natürlich jetzt schon weiter.
Kann sich die Stadt das auch in zehn Jahren noch leisten?
Ja. Wir haben die Finanzplanung daraufhin ausgerichtet und unter anderem ein Sondervermögen gebildet, in das bereits jetzt Millionenbeträge eingezahlt werden. Unser Haushalt ist wieder in Ordnung, das heißt, wir erzielen Überschüsse, die wir für die Finanzierung verwenden können. Diese können wir in Verbindung mit Finanzmitteln des Bundes aus dem Klimapaket investieren.
Stehen Sie zur rot-grünen Koalition?
Rot-Grün ist eine naheliegende Option. Aber für mich kommt es darauf an, was am Ende im Koalitionsvertrag steht. Dafür hat der Erste Bürgermeister die Gesamtverantwortung. Der entscheidende Punkt ist: Kommt ein Regierungsprogramm zustande, das für die Stadt die richtigen Ziele und Projekte enthält?
Dieses Bekenntnis zu Rot-Grün klingt etwas halbherzig.
Nein, es ist eine klare Ansage. Hinter den Kulissen verabschieden sich die Grünen doch schon von wichtigen Projekten wie der A26 und dem Hafenausbau. Wir müssen die großen Infrastrukturprojekte angehen, auch wenn deren Nutzen erst in zehn Jahren sichtbar wird und dazu unpopuläre Entscheidungen erforderlich sind. Aber diese Entscheidungen muss man treffen, sonst geht es in Hamburg insgesamt nicht mehr voran.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen