Hamburger Ruderinnen in der NS-Zeit: „Eine hohe ideologische Nähe zum Nationalsozialismus“
Zum 100. Vereinsjubiläum liegt erstmals eine Studie zur NS-Geschichte des Hamburger Ruderinnen-Clubs vor. Sie bezeugt eine frühe Selbstgleichschaltung.
taz: Herr Bois, waren Sportvereine besonders anfällig für die Ideologie des NS-Regimes?
Marcel Bois: Schwer zu sagen, aber zumindest waren sie nicht weniger anfällig als der Rest der Gesellschaft. Beim „Hamburger Ruderinnen-Club von 1925“, mit dem ich mich befasst habe, lässt sich eine hohe ideologische Nähe zum Nationalsozialismus feststellen. Ein Grund war sicherlich, dass das Regime das Frauenrudern gefördert hat. Anders als noch in der Weimarer Republik durften Frauen nun beispielsweise Wettkämpfe veranstalten.
taz: War der Hamburger Ruderinnen-Club regimetreuer als andere Sportvereine?
Bois: Die Gunst des NS-Regimes hing weniger von der Sportart ab als von der gesellschaftlichen Herkunft des Vereins. In der späten Weimarer Republik gab es drei Arten von Sportclubs: den Arbeitersport, den bürgerlichen und den jüdischen Sport. Der Arbeitersport wurde mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 weitgehend verboten, im Zuge der Verfolgung der KPD, der SPD und des Verbots der Gewerkschaften. Der jüdische Sport durfte noch eine Zeitlang existieren, weil das Regime fürchtete, dass die westlichen Staaten sonst die Olympischen Spiele 1936 boykottieren würden.
taz: Wie standen bürgerliche Sportvereine wie der Ruderinnen-Club zum NS-Regime?
Bois: So weit wir wissen, hat die Mehrzahl der bürgerlichen Sportvereine den NS-Staat unterstützt. Genaueres muss die weitere Aufarbeitung zeigen, die im Sport erst recht spät begonnen hat – beim Hamburger SV zum Beispiel im Jahr 2000.
Jg. 1978, Historiker, hat am Zentrum für Antisemitismus der TU Berlin promoviert und ist derzeit assoziierter Wissenschaftler an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Zudem ist er Lehrbeauftragter am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg
taz: Wie lief die Nazifizierung des Hamburger Ruderinnen-Clubs ab?
Bois: Zum einen gab es schnell eine ideologische Nähe zum Regime. So wurden schon 1933 beim „Anrudern“ Nazi-Parolen skandiert und das rechtsnationale Horst-Wessel-Lied gesungen. Zudem gab es nicht nur auf Verbandsebene – im Reichsbund für Leibesübungen – einen personellen Austausch, sondern auch in den Vereinen: Die erste Versammlung des Ruderinnen-Clubs nach der Machtübergabe an die NSDAP brachte auch hier die Selbstgleichschaltung.
taz: Wie ging das vor sich?
Bois: Die bisherige Vorsitzende Sophie Barrelet wurde zur „Führerin“ bestimmt, die nicht abgewählt werden konnte. Zudem führte der Verein schon 1933 den gegen Juden gerichteten „Arierparagrafen“ ein – was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht hätte tun müssen. Und ab 1935 stand in der Satzung des Hamburger Ruderinnen-Clubs: „Der Verein bezweckt die leibliche und seelische Erziehung seiner Mitglieder im Geiste des NS-Volksstaats.“ Zuständig für diese ideologischen Schulungen war ab 1936 die „Dietwartin“. Auch lässt sich für mindestens sechs Vereinsmitglieder eine NSDAP-Mitgliedschaft nachweisen, darunter zwei spätere Ehrenmitglieder.
Marcel Bois: Der Hamburger Ruderinnen-Club und der Nationalsozialismus (1925–1965). Herausgegeben vom Hamburger Ruderinnen-Club, 128. S., 20 Euro, bestellbar unter info@hamburger-ruderinnen.de.
taz: Was für ein Mensch war die „Führerein“ Sophie Barrelet?
Bois: Sie muss eine sehr charismatische Person gewesen sein, die vielen der älteren Frauen in positiver Erinnerung geblieben ist. Nur einige wenige haben sie als autoritär beschreiben. Politisch kam sie aus dem Liberalismus, hat aber in der NS-Zeit Karriere gemacht. Und zwar sowohl im Sport, wo sie es bis zur deutschlandweit höchsten Repräsentantin der Ruderinnen brachte, als auch in ihrem Beruf als Pädagogin. 1940 wurde sie zur Professorin ernannt und bekleidete hohe Ämter in der Schulverwaltung. Das zeigt, dass sie tief im NS-Regime tief verankert war.
taz: Und wie wirkte sich der „Arierparagraf“ auf den Verein aus?
Bois: Das ist schwer zu sagen, weil die Quellen fehlen. Mitgliederverzeichnisse des Vereins haben wir erst ab 1940, und da finden sich keine Jüdinnen. Wir wissen aber aus anderen Sportvereinen, dass jüdische Mitglieder meist bis 1935 ausgeschlossen wurden. Vermutlich war das auch beim Ruderinnen-Club der Fall, der – nahe des jüdisch geprägten Hamburger Grindelviertels gelegen – vor 1933 ganz sicher jüdische Mitglieder hatte.
taz: Kooperierte der Verein auch konkret mit dem Regime?
Bois: Ja, es gab wenig Berührungsängste. Bei Bootstaufen waren oft NS-Größen dabei. Auch sind die Ruderinnen bei Veranstaltungen des Regimes wie dem „Deutschen Turn- und Sportfest“ in Breslau, dem heute polnischen Wrocław, mit aufmarschiert. Und noch im Juli 1944, knapp ein Jahr vor Kriegsende, konnten sie an der Kriegsmeisterschaft in Wien teilnehmen. Das war kurz nach dem gescheiterten Hitler-Attentat der Gruppe um Graf von Stauffenberg – also zu einer Zeit, wo nicht jeder frei reisen konnte. Man muss sich das vorstellen: Hamburg liegt seit einem Jahr – der britischen Bombardierung vom Juli 1943 – in Schutt und Asche. Und die Ruderinnen fahren zum Wettkampf nach Wien, als ob nichts wäre.
taz: Wurde Sophie Barrelet nach 1945 belangt?
Bois: Beruflich ja, sie durfte einige Jahre lang nicht als Lehrerin arbeiten. Im Verein musste sie 1945 zwar aus dem Vorstand ausscheiden, weil die britische Militärregierung keine NSDAP-Mitglieder im Vorstand der Sportclubs wollte. Aber 1950 änderte sich das, da strich der Verein die entsprechende Bestimmung wieder aus der Satzung. Barrelet wurde erneut Vorsitzende und blieb es bis 1965. Bis zur ihrem Tod 1987 war sie im Verein präsent.
Marcel Bois, Historiker
taz: Wann begann die Aufarbeitung?
Bois: Das dauerte, wie bei allen anderen Sportclubs auch. 1995 gab es in der taz einen kleinen Artikel, in dem zwei Vereinsmitglieder auf Fragen nach der NS-Zeit ausweichend antworten. Im Jahr 2000, zur 75-Jahr-Feier des Vereins, forderte Sophie Deuter als Vizepräsidentin der Bürgerschaft, dass sich der Ruderinnen-Club seiner NS-Vergangenheit stellen solle. Der Club reagierte empört und druckte die Rede nicht in der Jubiläums-Festschrift ab. Dann passierte wieder lange nichts. Erst im April 2024 erschien eine Studie des Deutschen Ruderverbands zu seiner NS-Geschichte, die auch Barrelet als NS-Funktionärin benennt. Ende 2024 beschloss der Hamburger Ruderinnen-Club, die jetzt vorliegende Publikation zur NS-Vergangenheit in Auftrag zu geben, zum 100-jährigen Bestehen.
taz: Wie hat der Club reagiert?
Bois: Meine Studie hat eine spannende Dynamik ausgelöst. Eine Gruppe von Clubmitgliedern will sich intensiver mit den Ergebnissen befassen und überlegen, wie sie ihre club-interne Erinnerung gestalten.
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