Hamburger Künstlerin Annika Kahrs: Schönheit und Härte

Video, Installation und Musik: Annika Kahrs ist die derzeit wohl erfolgreichste Hamburger Künstlerin. Das könnte ihr zum Problem werden.

blonde Frau in hellbrauner Jacke: die Künstlerin Annika Kahrs

Setzt auf die Offenheit des Publikums – und ihre eigene: Annika Kahrs, (noch) Hamburger Künstlerin Foto: Helge Mundt

HAMBURG taz | Annika Kahrs ist eine Erfolgskünstlerin. 1984 in der niedersächsischen Provinz geboren, studierte sie bis 2012 in Hamburg, Braunschweig und Wien freie Kunst, unter anderem bei Andreas Slominski und Harun Farocki. Innerhalb von zehn Jahren konnte sie sich im Grenzbereich zwischen Video, Installation und Musik eine ziemlich singuläre Position erarbeiten.

Zuletzt stellte sie im Hamburger Bahnhof in Berlin aus, in der Hamburger Kunsthalle, in der Bundeskunsthalle in Bonn, dazu auf den Biennalen in Lyon, Riga und Thessaloniki. Und derzeit in einer aufgelassenen ­Lagerhalle am Baakenhafen. Hier, am Rand der Hamburger Hafencity ist Kahrs’ monumentale Arbeit „How to live in the echo of other places“ zu sehen.

Besonders viele Er­folgs­künst­le­r*in­nen leben aktuell ja nicht in der Stadt. Was ein bisschen erklärt, weswegen Kahrs von der örtlichen öffentlichen Hand massiv gefördert wird: Man weiß, was man an ihr hat. Und man möchte sie nicht verlieren, zumal sich schon jetzt Absatzbewegungen bemerkbar machen: Vertreten wird sie zwar noch von der Hamburger Produzentengalerie, sie selbst pendelt aber längst zwischen Hamburg und Berlin. Eine Installation, die ganz klar ortsbasiert ist, die so nur im Hamburger Hafen stattfinden kann, ist da höchst willkommen als Anbindung der Künstlerin an die Stadt. Und deren Förderung nimmt jene auch gerne an.

Nichts für den Markt

Weil: Kahrs’ Kunst mag beim Publikum erfolgreich sein, auf dem Markt ist sie es nicht. „Künstler*innen, die wie ich mit Video, Sound, Installation und Performance arbeiten, haben es auf dem Kunstmarkt schwerer als zum Beispiel Maler:innen“, sagt sie. „Es gibt für diese Genres einfach weniger Sammler*innen.“ Für Museen und Institutionen sei ihre Arbeitsweise „eher interessant“.

Man könnte auch sagen: Solche Arbeiten eignen sich schlecht als Geldanlage. Dafür ist es Kunst, die einen direkt abholt, mit Humor, mit Sinnlichkeit. Bekannt wurde Kahrs mit „Strings“ (2010), einem Video, in dem ein Streichquartett die ersten Takte aus Ludwig van Beethovens Werk Nr. 4 in c-Moll spielt, Opus 18: harmonisch, dramatisch. Allerdings stehen die Mu­si­ke­r*in­nen nach dem ersten Akt auf und tauschen die Instrumente – und was als Wohlklang begann, wird nach und nach zur Kakofonie. Das ist berührend, es macht aber auch großen Spaß, zuzusehen.

„Meine Arbeiten funktionieren oft auf zwei Ebenen“, beschreibt Kahrs ihre Vorgehensweise. „Musik und Sound spielen eine wichtige Rolle, weil diese Medien sehr unmittelbar funktionieren, sowohl im Akustischen als auch im Visuellen. Bei,Strings' ist eigentlich ganz klar, was passiert. Irgendwie ist das lustig, und man versteht das Konzept relativ einfach, intuitiv.“ Und dann ist da noch eine zweite Ebene, die dann doch noch einen Wissens-Background abruft – eine Ebene, die in Strukturen eingreift, die sich nicht mehr so einfach decodieren lassen.

Kommunikation, an der wir nicht teilhaben

Diese zweite Ebene erkennt man, wenn man sich zum Beispiel mit „Infra Voice“ beschäftigt, einer Mehrkanal-Videoinstallation, die aktuell in der Hamburger Kunsthalle zu sehen ist: Man sieht Aufnahmen einer Giraffe, die durch ein Zoogehege wandert; gleichzeitig sieht man eine Musikerin, die ein grotesk großes Streichinstrument spielt. Man könnte sich nun einfach der rätselhaften Schönheit der Tierbilder hingeben, aber man hat doch mehr von „Infra Voice“, wenn man weiß, dass es sich bei dem Instrument um einen Oktobass handelt, das weltweit größte Streichinstrument, knapp vier Meter hoch und über 100 Kilogramm schwer. Vor allem aber ist es ein Instrument, das Töne hervorbringen kann, die von einer Giraffe gehört werden können – vom menschlichen Ohr aber nicht.

Tatsächlich entspinnt sich zwischen den Bildschirmen eine Kommunikation zwischen Tier und Musikerin, an der wir nicht teilhaben können. „In der Arbeit geht es um wissenschaftliche Erkenntnisse und um akustische Signale“, beschreibt Kahrs die zwei Ebenen. Aber: „Man kann sich innerhalb dieser drei Leinwände bewegen und sich den ­visuellen und akustischen Eindrücken hingeben, ohne jemals etwas von Infraschall und der akustischen Kommunikation von Giraffen gehört zu haben.“ Sollte man nicht aber Hinweise darauf geben, welche Inhalte sich in dieser Kunst verstecken? Die Künstlerin lacht. „Ich traue den Be­su­che­r*in­nen eigentlich immer sehr viel zu. Und ich setze auf ihre – und meine – Offenheit.“

„How to live in the echo of other places“ nun, zu sehen noch bis Anfang September, ist ihre wahrscheinlich größte ­Installation bislang: In einem riesigen, schmucklosen Schuppen sind 20 Lautsprecher auf 7.000 Quadratmetern verteilt, verschiedene Klanginterventionen sind daraus zu hören: Nika Son, die für „Echoes of Insomnia“ Gespräche mit Nacht­ar­bei­te­r*in­nen im Hafen führt; Ferdinand Försch, der mit „Industrial Mass – Ora et Labora“ Geräusche aus dem Hafenumfeld zu Musik macht; Derya Yildirim, die mit „Für mich ist Heimat Zukunft“ zu Gesprächen über ihre Kindheit und Jugend im benachbarten (Gast-)Arbeiterstadtteil Veddel die Volkslieder „Misket“ und „Hasan Dagi“ spielt. Das Publikum bewegt sich von Klangquelle zu Klangquelle, die Halle wird zum begehbaren Konzerterlebnis. Und nach Einbruch der Dunkelheit zusätzlich zum Bildträger, zur Fläche, auf die eine langsam untergehende Sonne projiziert wird.

„How to live in the echo of other places“: bis 4. 9., Schuppen 29, Baakenhöft, Hamburg.

„Something new, something old, something desired“ (mit Kahrs' Installation „Infra Voice“): bis 18. 2. 2024, Hamburger Kunsthalle

www.annikakahrs.com

Moment – Sonnenuntergänge? „Annika Kahrs ist eine Spezialistin darin, solche Motive aufzubrechen und um den Kitsch herum zu navigieren“, sagt Ellen Blumenstein, Kuratorin des Projekts „Imagine the City“, in dessen Rahmen die Installation nun da steht. Sie lenkt den Blick auf zwei Aspekte: erstens­ gibt es in Kahrs’ Kunst zweifellos Elemente von Kitsch. Zweitens: Kahrs navigiert, sie ist eine maritim arbeitende und damit wohl zurecht hanseatische Künstlerin.

„How to live in the echo of other places“ erweist sich so als Arbeit, die einerseits wieder leicht zugänglich ist mit ihren Sonnenuntergängen; und die andererseits ein so liebevolles wie genau recherchiertes Porträt einer Stadt zeichnet, die sich bewusst als migrantisch versteht, geprägt vom Hafen als Verkehrs- und Industriedrehscheibe. Schönheit und Härte.

Am liebsten kollektiv

Was hier noch deutlich wird: Kahrs arbeitet grundsätzlich in Kollektiven, hier: mit unzähligen Musiker*innen. Zwar betont sie immer wieder, dass ihre Projekte ohne die Mitarbeit anderer nichts wären, nur – am Ende ist der Ruhm doch ihrer, der einer identifizierbaren Einzelkünstlerin. Wie unangenehm ihr diese Konstellation ist, spürt man im direkten Gespräch: Ja, sie entwickele „ein Rahmenkonzept. Von dieser Ausgangssituation gehen wir dann gemeinsam los.“ So ist auch „How to live in the echo of other places“ ein gemeinschaftliches Kunstwerk, kein Soloding. Kahrs wurmt es, wenn sich doch wieder alles auf sie konzentriert, die Erfolgskünstlerin.

Worauf sie ein bisschen aufpassen muss: dass sie sich nicht vereinnahmen lässt. Dass sie nicht zur „Elbe, Alster, Michel“-Künstlerin wird, die ohne Hamburg-Bezug nicht existieren kann. Ihr Hang zur Zugänglichkeit erhöht dieses Risiko. Was es wieder senkt, ist Kahrs’ kluges Spiel mit den Ebenen. Und natürlich – pendeln nach Berlin.

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