Hamburger Eckkneipen im Dokumentarfilm: Zwischen Seoul und St. Pauli
Die Reihe „Dokland Hamburg“ ist fester Bestandteil der dortigen Dokumentarfilmwoche und widmet sich gerne Lokalpatriotischem.
In früheren Jahren zeigte man unter dem lokolpatriotisch anmutenden Label tatsächlich vor allem Filme über Hamburg. Diesmal dagegen geht es darum, dass sie in der Stadt entstanden sind – oder doch wenigstens gemacht wurden von Menschen, die dort leben oder auch studieren. War Hamburg also lange eine Art Heimathafen, wird es inzwischen eher als Medienstandort präsentiert.
Dieses Manko, wenn man so will, macht aber ein Film im „Dokland“-Programm mehr als wett: Unter dem Titel „Manche hatten Krokodile“ (Sa, 9. April, Metropolis) hat Christian Hornung eine Liebeserklärung an St. Pauli gedreht. Und was für eine: Der Filmemacher hat einen schönen dramaturgischen Dreh gefunden, um die alten Kiezkneipen sowie ihre Betreiber und Stammgäste vorzustellen: Er konzentriert sich auf ein Detail am Rande: die Sparclubs, die immer noch in einigen der ihrerseits ja immer weniger werdenden Gaststätten betrieben werden.
Die alten Blechkästen an der Wand sind heute ein offensichtlicher Anachronismus – so wie all die ehemaligen Seeleute, Prostituierten, Bardamen und Zuhälter, die heute noch regelmäßig etwas Geld hineinstecken. Der Filmemacher bringt sie zum Erzählen, und vom eigentlichen Thema schweifen sie alle bereitwillig ab und spinnen dabei auch viel Seemannsgarn.
Durchs Bullauge entsorgt
So etwa bei der titelgebenden Geschichte von den Krokodilen, die Matrosen aufs Schiff geschmuggelt haben und die nach einem Machtwort des Kapitäns dann durchs Bullauge entsorgt wurden. Da wird auch viel von den goldenen Zeiten St. Paulis in den 60ern erzählt, als Zigaretten mit 100-Mark-Scheinen angezündet worden seien. Wenn etwa die ehemalige „schwerste Stripperin Deutschlands“ oder die chinesischstämmige Betreiberin des „Hongkong“-Hotels ihre Lebensgeschichten erzählen, sind diese Anekdoten immer sehr unterhaltsam, bilden aber auch eine Sozialgeschichte des Milieus, das immer die Paradiesvögel und Außenseiter angelockt hat.
Während in den Kneipen selbst die Zeit stehen geblieben scheint – keiner der Gäste ist jünger als 50 –, zeigt Kameramann Martin Neumeyer, wenn er mit seiner Kamera hinaus geht, wie schnell sich alles ändert in Hamburg-St. Pauli. So illustriert eine Montage, bei der wiederholt ein Auto durchs Bild fährt, was die Schnitte kaschiert, wie extrem sich eine Straßenfront in kurzer Zeit verändert. Ja, die Zeiten von Kneipen wie dem „Utspann“ und der „Kaffeepause“ sind gezählt, und auch die vielen Kreuze hinter den Namen der Mitwirkenden im Abspann machen deutlich, dass dieser Film in wenigen Jahren ein historisches Dokument sein wird.
Eine viel tristere Stimmung durchzieht die 70 Minuten von „Wenn man sie bedauert, können sie schlecht sterben“ (Fr, 8. April, Lichtmess). Die Hamburger Filmemacherin Friederike Güssefeld ist in ein 500 Seelen-Dorf im südlichen Brandenburg gegangen und hat dort auch auf den Straßen nicht eine junge Seele gefunden. Alle, die noch Hoffnung und Kraft hatten, haben den Ort längst verlassen und und so sind jene, die dort noch leben, dem Tod näher als die Menschen anderswo. Der Ort ist denn auch noch für eine Reihe von bizarren Todesfällen bekannt: Ein junger Mann hat seinen Vater aus Geldgier in der Jauchegrube ertränkt, eine Frau übergoss sich mit Benzin und verbrannte, ein Fremder kam in den Ort, ging in den Wald und erschoss sich dort.
Von all dem erzählen die Dorfbewohner mit irritierender Gelassenheit. Die vielen Selbstmörder im Ort werden eher beneidet als bedauert: „Wer den Mut hat“, sagt eine Bäuerin, „der macht es halt.“ Kameramann Tim Kuhn hat die Protagonisten in sorgfältig komponierten, statischen Einstellungen fotografiert, die sie noch mehr wie die untoten Bewohner einer Zwischenwelt wirken lassen. Lebendig werden sie nur, wenn sie von den Zeiten vor der Wende erzählen: Da erinnert sich ein ehemaliger Polizist beispielsweise gerne daran, dass er einen, der ihn Schwein nannte, noch verprügeln konnte.
Leben in der Vergangenheit
Dieses Leben in der Vergangenheit ist ein heimliches Leit(d)motiv der Reihe: Auch „Stadt der Elefanten“ (Do, 7. April, Lichtmess) von Marko Mijatovic zeigt einen Ort ohne Zukunft. Die Stadt Vares in den bosnischen Bergen florierte einst infolge des Bergbaus, doch der Krieg hat vieles zerstört. Nun leben auch dort nur noch die Alten – und erinnern sich. Mijatovic erzählt scheinbar ohne Fokus, bleibt oft im Ungefähren, aber genau dadurch vermittelt er eine Ahnung vom herrschenden Lebensgefühl.
Er braucht dafür etwa eine halbe Stunde – genau wie drei andere in Hamburg studierende Filmemacher, die in autobiografischen Arbeiten eher impressionistisch erzählen: Hana Kim hat „Der bittere Apfel vom Stamm“ (Fr, Metropolis) in ihrer Heimatstadt Seoul gedreht und Fragmente aus Gesprächen mit ihrer Mutter mit Stadtansichten gekoppelt. Josefina Gill wiederum wuchs in Argentinien auf. Ihr jüdischer Großvater ist 1937 aus Deutschland geflohen, nun kehrt mit ihr erstmals ein Nachkomme dorthin zurück. Für ihr Hängen zwischen den Kontinenten hat sie stimmige Bilder gefunden: „Desde la marea – Was die Gezeiten mit sich bringen“ (Do, 7. April, Metropolis)besteht nur aus Aufnahmen einer Schiffsreise über den Atlantik.
In „Baba Evi“ (Do, Lichtmess) will Akin Sipal vom Verhältnis zu seinem Vater und seinem Großvater erzählen – der in der Türkei als Übersetzer und Schriftsteller berühmt ist und sich geweigert hat mitzumachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!