Hamburger Cum-Ex-Skandal: Dissens in der Behörde
Beim Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss zeigt sich: Leitung und Sachbearbeiter im Finanzamt lagen mit ihren Einschätzungen weit auseinander.
Sollte das Hamburger Finanzamt eine Steuerforderung von 47 Millionen Euro gegenüber der Warburg-Bank verjähren lassen? Über diese Frage gab es in der Verwaltung höchst unterschiedliche Auffassungen auf der Ebene der direkt damit befassten Sachberarbeiteter und der Leitungsebene. Die Betriebsprüfer wollten das Geld zurückfordern, die Sachgebietsleiterin und ihre Vorgesetzten hielten das nicht für ausreichend begründet.
Die Betriebsprüferin Dagmar Meyer-Spiess schilderte vor einem Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft am Freitag, dass sich ihre Sachgebietsleiterin Daniela Petersen auf eine Strategie zur Verfolgung des Steuerfalls festgelegt hatte, die sie nicht bereit war, mit ihren Mitarbeitern zu diskutieren. Meyer-Spiess schien diese Strategie abwegig. „Man geht da einen Weg, auf dem wir völlig hilflos sind, überhaupt etwas zu machen, und dann werden Steuern angerechnet ohne Ende“, sagte sie im Hamburger Rathaus.
Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss befasst sich mit der Frage, ob der damalige Erste Bürgermeister Olaf Scholz und sein damaliger Finanzsenator, der heutige Bürgermeister Peter Tschentscher (beide SPD) sich dafür eingesetzt haben, die Bank steuerlich schonend zu behandeln. Klar ist, dass Bürgermeister Scholz mehrfach mit den Eigentümern der Bank in seinem Amtszimmer gesprochen hat. Außerdem leitete Scholz ein Warburg-Schreiben an seinen Finanzsenator weiter, der es abzeichnete und in seine Behörde reichte.
Angebahnt hatten diese Kontakte zwei prominente SPD-ler: der damaligen Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs und de ehemalige Hamburger Senator Alfons Pawelzcyk. Pikant: Im Jahr darauf überwiesen Warburg-nahe Gesellschaften 36.000 Euro Spenden an die Hamburger SPD. Der Ausschussvorsitzende Matthias Petersen (SPD) und der SPD-Obmann im Ausschuss Milan Pein haben als Mitglieder des geschäftsführenden Landesvorstands diese Spenden akzeptiert. Die AfD-Fraktion hatte deshalb eine Debatte darüber beantragt, ob beide befangen sein könnten.
Ausschussmitglieder dürfen politische Interessen verfolgen
Der Leiter des Ausschuss-Arbeitsstabes Claudio Kirch-Heim wies darauf hin, dass das Untersuchungsausschussgesetz eine Befangenheit im Sinne der Strafprozessordnung nicht kenne. Der Ausschuss sei ein politisches Gremium, dessen Mitglieder durchaus politische Interessen verfolgten.
Milan Pein stellte fest, an der Sitzung, auf der über die direkt von Warburg überwiesene Spende von 7.500 Euro befunden wurde, hätten er und Petersen nicht teilgenommen wegen einer Sitzung des Haushaltsausschusses. In weiteren Sitzungen sei über 38.000 Euro von Warburg-Tochterfirmen an den SPD-Bezirk Mitte entschieden worden.
Der CDU-Abgeordnete Richard Seelmaecker sagte, er glaube nicht, dass sich Petersen und Pein persönlich bereichert hätten. Allerdings wolle Johannes Kahrs vor dem Ausschuss nicht aussagen. Gegen ihn und Pawelczyk wird strafrechtlich wegen Begünstigung ermittelt. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn die SPD für Klarheit sorgen würde.
Norbert Hackbusch von der Linken empfahl das der SPD im Interesse ihres Rufs in der Stadt. Das sei auch ein wichtiges Thema für den Ausschuss. Im Notfall wolle die Linke beantragen, den Untersuchungsauftrag nachzuschärfen.
Bei der strittigen Steuerforderung ging es um Kapitalertragsteuer, die Warburg angeblich entrichtet hatte und sich erstatten lassen konnte. Dabei handelte es sich um ein sogenanntes Cum-Ex-Geschäft. Bei solchen Geschäften werden Aktien auf eine Weise gehandelt, die verschleiert, wer die Aktien wann besaß und Kapitalertragssteuer entrichtete. Investoren wurde es auf diesem Wege ermöglicht, sich einmal bezahlte Kapitalertragssteuer mehrfach erstatten zu lassen.
Streit um die „Lieferkette“
Zwischen den Betriebsprüfern und der Sachgebietsleiterin gab es diametral entgegengesetzte Auffassungen darüber, wo die Beweislast dafür lag, ob Warburg die Kapitalertragssteuer bezahlt hatte. Petersen argumentierte wie ihre Vorgesetzten, sie könne keinen Sachverhalt feststellen, der eine Rückforderung gerichtsfest ermöglichen würde. Ihre Prüfer müssten „Lieferketten“ ermitteln, also lückenlos nachweisen, wer die Aktien wann besaß.
„Lieferketten kann man vielleicht bei einem Kühlschrank nachverfolgen – aber nicht bei Milliarden von Aktienpaketen – das ist der falsche Weg mit dem man uns in die irre führen wollte“, sagte dagegen Meyer-Spiess. Die Betriebsprüferin betonte, die Bank trage die Beweispflicht. „Wenn ich nicht beweisen kann, dass Kapitalertragssteuer erhoben wurde, kann ich sie mir auch nicht erstatten lassen“, sagte sie. Das gelte insbesondere für Fälle wie die Warburg-Bank, die sich im Eigenhandel sich selbst Steuerbescheinigungen ausstellen. Mit Blick auf ein einschlägiges Urteil des des Fianzgerichts Hessen und ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte glaubte sie ableiten zu können, dass Warburg zu Unrecht Kapitalertragssteuer angerechnet wurde.
Die Strategie ihrer Vorgesetzten, unbedingt Lieferketten nachweisen zu wollen, empfand Meyer-Spiess als Obstruktion: Wenn Gerichte schon einschlägig entschieden hätten und das trotzdem nicht verfolgt werde, könne man auf den Gedanken kommen, jemand wolle nicht, dass das verfolgt wird.
Ihr Kollege Manfred Halpaap, selbst der Auffassung die Steuern hätten zurückgefordert werden müssen, teilte den Eindruck nicht, dass Sachgebietsleiterin Petersen die Steuern nicht zurückfordern wollte. Sie habe das rechtlich nur anders beurteilt. „Peteren hatte Bedenken bezüglich der Kosten, die auf Hamburg zukommen könnten“, sagte Halpaap. Das zu berücksichtigen sei aber nicht seine Aufgabe.
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