Hamburger Asylpolitik: Gute und schlechte Flüchtlinge
Hamburg baut massiv neue Flüchtlingsunterkünfte – dennoch zu wenig. Qualifizierte Flüchtlinge sollen unterstützt, andere schneller abgeschoben werden.
„Wir müssen alle an einem Strang ziehen, niemand darf sein parteipolitisches Süppchen mit der Thematik kochen“, sagte Scheele und appellierte an das Engagement aller BürgerInnen. Auf die Nachfrage, ob er den guten Willen der HamburgerInnen nicht überschätze, antwortete er: „Den Widerstand dagegen, sich solidarisch und menschlich zu verhalten, gibt es nur dort, wo noch keine Flüchtlingsunterkünfte sind, wie zum Beispiel in Poppenbüttel und Blankenese.“ Überall, wo es bereits eine „reale Belastung“, sprich Flüchtlingsheime, gebe, seien die Reaktionen der AnwohnerInnen positiv. In Zukunft würden sich aber alle Stadtteile verändern, betonte Scheele.
Zwölf neue Unterkünfte wurden dieses Jahr schon bezogen, 38 weitere werden derzeit geplant. 3.968 Plätze sollen noch bis Jahresende entstehen. Darunter auch einige in Zelten, die als Unterbringung für Flüchtlinge umstritten sind. Erst letzte Woche hatte die Innenbehörde 30 Zelte auf dem ehemaligen Parkplatz des IGS-Geländes in Wilhelmsburg aufbauen lassen. 500 Menschen sollen darin unterkommen. Es handele sich um eine Übergangslösung, sagte Scheele und versicherte, die Zelte bis zum Winter durch feste Unterbringungen zu ersetzen.
Der Bedarf ist allerdings auch mit den 38 geplanten Standorten noch nicht gedeckt – bis zum Jahresende fehlen dann noch immer 3.000 Schlafplätze. 18 weitere Flächen würden gerade auf ihre Eignung geprüft, sagte Staatsrat Bernd Krösser. Darunter auch einige „Park and Ride“-Parkplätze, die sich aufgrund des festen Untergrunds und wegen der Stromanschlüsse gut eigneten.
Insgesamt gibt es in Hamburg derzeit 86 Standorte zur Unterbringung von 18.819 Flüchtlingen.
Die meisten wohnen im Bezirk Mitte, an einem von 12 Standorten mit insgesamt 3.622 Plätzen.
Danach kommt der Bezirk Wandsbek mit 3.036 Plätzen und Altona mit 3.015 Betten.
Am wenigsten Flüchtlinge wohnen im Bezirk Eimsbüttel, zu dem auch die teuren Wohngegenden an der Alster gehören. Vier neue Standorte sind dort geplant, allerdings nicht vor 2016.
Auch in Harvestehude soll ein Unterkunft entstehen
Unter den 38 Unterkünften in Planung ist auch das ehemalige Kreiswehrersatzamt an den Sophienterrassen. AnwohnerInnen des Nobelviertels Harvestehude hatten gegen den Umbau zur Flüchtlingsunterkunft geklagt, die Behörde hatte daraufhin die bereits begonnenen Bauarbeiten gestoppt. Das Bezirksamt Eimsbüttel legte Beschwerde gegen den Baustopp ein und der Fall landete beim Oberverwaltungsgericht – das den KlägerInnen im Mai Recht gab. Grundlage dafür ist der Bebauungsplan von 1955, der das Gebiet als „besonders schützenswerte Wohngegend“ einstuft. Den Plan will der Bezirk nun ändern. Einen endgültigen Beschluss mit Baugenehmigung erwartet man erst 2016. „Die Unterkunft an den Sophienterrassen kommt“, versprach Scheele.
Noch bedeutsamer für die Zukunft der Flüchtlinge wird eine stärkere Differenzierung zwischen Flüchtlingsgruppen sein: die Unterscheidung zwischen AsylbewerberInnen mit „guter und solchen mit schlechter Bleibeperspektive“. Erstere, die meist aus Ländern wie Syrien oder dem Irak kommen, sollen schneller Deutsch lernen können und mehr Rechtssicherheit während der Ausbildung haben.
Die Flüchtlinge mit schlechter Bleibeperspektive hingegen, die meist aus Westbalkan-Ländern wie dem Kosovo, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina oder Serbien kommen und laut Scheele beruflich schlechter qualifiziert sind, sollen künftig schneller abgeschoben werden. „Wir wollen verstärkt daran arbeiten, dass die ausreisepflichtigen Flüchtlinge auch wirklich ausreisen“, sagte Staatsrat Krösser – zu diesem Zweck seien 20 zusätzliche Stellen geschaffen worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr