Hamburger AfD-Chef kritisiert Bundespartei: „Meine Schmerzgrenze ist überschritten“
Jörn Kruse, Landes- und Fraktionschef der AfD in Hamburg, über Fehler der neuen Bundesparteispitze, seinen „irrelevanten“ Hamburger Stellvertreter Dirk Nockemann – und die Gründe für seinen Verbleib in Partei.
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taz: Herr Kruse, auf dem Bundesparteitag der AfD hat sich am vergangenen Wochenende der nationalkonservative Flügel durchgesetzt. Wie bewerten Sie die dortigen Ergebnisse?
Jörn Kruse: Ich bewerte sie als Katastrophe, weil sie deutlich machen, dass wir inzwischen zu einer rechten Partei geworden sind und vermutlich auch immer mehr werden. Das ist natürlich nicht meine Richtung.
Auf welchen Politikfeldern erwarten sie einen weiteren Rechtsruck?
Das gilt für Themen wie Zuwanderung, den Islamismus, die Kriminalität oder Gender Mainstreaming, bei denen man sehr sorgfältig argumentieren muss. Viele, die auf dem Bundesparteitag die Mehrheit gestellt haben, sind da sehr, sehr populistisch unterwegs und sagen Dinge, die ich niemals akzeptieren könnte.
66, war bis 2013 Professor für Wirtschaftspolitik an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg.
2013 in die AfD eingetreten, avancierte er bald zum Landesvorsitzenden, Bürgerschafts-Spitzenkandidaten und - nach dem Einzug der AfD ins Hamburger Parlament - Fraktionsvorsitzenden.
Dirk Nockemann, Ihr stellvertretender Fraktionschef hier in Hamburg, erwartet klare programmatische Aussagen vom neuen Bundesvorstand, zu denen sich jedes Parteimitglied bekennen sollte.
Also zunächst ist es einmal so, dass Herr Nockemann irrelevant ist. Ich habe am Hamburger Wahlprogramm mitgewirkt und war in der Bundesprogrammkommission – aus der ich am gestrigen Dienstag zurückgetreten bin. Und ich werde meine Meinung nicht ändern, nur weil der Bundesvorstand glaubt, etwas anderes beschließen zu sollen.
Herr Nockemann bezeichnet die Behauptung, die AfD rücke nach rechts, als „Märchen“. Sind Sie ein Märchenerzähler, Herr Kruse?
Herr Nockemann sagt das, weil es ihm natürlich unangenehm wäre, wenn die AFD als eine nach rechts rückende Partei bezeichnet wird. Aber das ist Quatsch. Die Partei hat ihren Charakter komplett verändert. Herr Nockemann weiß natürlich genau, dass die Partei nach rechts rückt – und zwar sehr stark.
Also erzählt Herr Nockemann die Märchen?
Ich habe nicht von Märchen gesprochen, sondern nur gesagt: Herr Nockemann erzählt aus Eigeninteresse etwas anderes, als es der Realität entspricht.
Solche unterschiedlichen Stellungnahmen zeigen, dass der Riss innerhalb der Hamburger AfD kaum noch zu kitten sein dürfte – speziell zwischen Ihnen und Herrn Nockemann.
Das ist so. Ich will diesen Riss nicht kleinreden, den gibt es einfach. Dieser Konflikt muss in den kommenden Wochen gelöst werden, und er wird gelöst.
Obwohl Sie einen Rechtsruck befürchten, wollen Sie selbst die Partei nicht verlassen – „um die Fraktion zu schützen“, haben Sie gesagt. Was meinen sie damit?
Die Fraktion liegt mir sehr am Herzen, weil sie gute Realpolitik macht. Sie würde eher destabilisiert werden, wenn ich oder weitere Mitstreiter aus der AfD austräten und deshalb bleiben wir.
Sie sind als Landesvorsitzender auch automatisch erster Hamburger Repräsentant einer Rechtspartei – warum tun Sie sich das an? Und wo ist Ihre persönliche Grenze?
Die persönliche Grenze ist schon überschritten. Was ich konkret tun werde, wird vermutlich noch diese Woche öffentlich werden. Deshalb kann ich ihnen das zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genauer sagen.
Aber Sie behalten sich weitere persönliche Schritte vor?
Ganz selbstverständlich. Das mache ich schon aus Selbstschutz.
Sie haben ins Gespräch gebracht, die Bürgerschaftsabgeordneten könnten auch geschlossen aus der AfD austreten, aber als Fraktion zusammenbleiben. Wie realistisch ist so eine Möglichkeit?
Das ist eine theoretische Möglichkeit. Es ist rechtlich nicht zwingend, dass die Fraktionsmitglieder Parteimitglieder sein müssen. Das ist aber keine Option, die ich für mich persönlich anstrebe.
Man hat den Eindruck, dass weite Teile der AfD den Personal- und Richtungswechsel auf Bundesebene begrüßen. Stimmt das? Wie isoliert sind Sie mit Ihrer Position in Ihrer eigenen Fraktion?
Dieser Eindruck ist falsch. Es gibt nur zwei von acht Fraktionsmitgliedern, die den Richtungswechsel begrüßen. Die anderen sechs nicht.
Herr Kruse, eine Prognose, bitte: Gibt es in einem halben Jahr noch eine achtköpfige AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft unter Ihrem Vorsitz?
Ja.
Eine Spaltung der Fraktion schließen Sie also derzeit aus?
Auch hier: ein klares Ja.
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