Hamburg richtet Telefonhotline ein: Feindeslisten werden öffentlich
Hamburg hat eine Hotline eingerichtet, unter der Anrufer erfahren, ob sie auf einer Feindesliste von Rechtsextremen stehen. Die Idee ist umstritten.
Insgesamt 364 Datensätze „mit Bezug auf Hamburg“ befinden sich auf Feindeslisten von zum Teil an der Waffe ausgebildeten Neonazis und Preppern der rechtsextremen Szene. Jetzt ermöglicht die Hamburger Innenbehörde den Betroffenen, sich zu erkundigen, ob und mit welchen Informationen sie auf einer dieser Listen geführt werden (040 4286 77 055). Zwar gebe es laut der Behörde keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahrenlage. „Wir verstehen aber, wenn jemand sagt, dass er gerne wissen würde, ob er auf so einer Liste steht“, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) dem NDR.
2018 hatte das Bundeskriminalamt (BKA) die Herausgabe der Liste mit der Begründung abgelehnt, dass dies Ermittlungen gefährden könne. „Die alleinige Tatsache, dass eine Person auf einer solchen ‚Liste‘ steht, führt nicht zwangsläufig zu einer Gefährdung“, schreibt das BKA auf seiner Internetseite. Weitergehenden Bewertungen überlässt es den Ländern.
Hessen, Thüringen und Bayern haben alle betroffenen Personen postalisch informiert. So weit möchte man in Hamburg nicht gehen. „Wir wollen nicht als Werkzeug der Rechten dienen und Verunsicherung und Hass schüren“, sagte der Sprecher der Innenbehörde, Frank Reschreiter, der taz. Hamburg beschreitet damit einen Mittelweg, denn in allen restlichen Bundesländern werden Betroffene überhaupt nicht benachrichtigt.
„Nordkreuz“ wartet auf den Tag X
Die rechte Prepper-Gruppe „Nordkreuz“ aus Mecklenburg-Vorpommern, deren Akteure überwiegend aus der Polizei und Bundeswehr kommen, hat Datensätze zu 25.000 Personen gesammelt. Der Großteil davon stammt aus einem Hack eines Onlineversandhandels für Punk-Rock-Artikel, ein weiterer Teil aus eigener Recherche der Rechtsextremen. Nach taz-Informationen sind darin mehrere Adressen und in einem Fall der Grundriss einer Wohnung gesammelt.
An einem Tag X wollen die Rechten politische Gegner beseitigen. Ätzkalk und Leichensäcke wollte die Gruppe bestellen. Sie hortete Waffen und Munition. 2017 fand die Polizei bei einer Razzia die Liste. Bereits bei den Ermittlungen gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) 2011 waren ähnliche Datensätze gefunden worden.
Christiane Schneider, Linke
„Es gibt auf das Problem der Feindeslisten keine gute Antwort“, sagt Linkenabgeordnete Christiane Schneider. Das jetzt eingerichtete Kontakttelefon sei lediglich der weniger schlechte Weg. „Es wird niemand gezwungen, dort anzurufen und wir treiben nicht das Spiel der Rechten, indem wir Menschen grundlos verunsichern“, sagt sie.
In einer Kleinen Anfrage hatte Schneider zur „Feindesliste“ des rechten Geheimbundes „Nordkreuz“ erfragt, ob und wie viele Personen aus Hamburg darin erfasst sind. Von den 364 Personen „mit Bezug zu Hamburg“ sind nur 236 aktuell in Hamburg gemeldet. Über die Hotline werde man auch beratend zu Seite stehen, um Verunsicherungen entgegenzuwirken, sagte Innenbehördensprecher Reschreiter.
Wer sich erkundigen möchte, muss dem LKA Name, Geburtsdatum und Meldeadresse nennen. Nach einer Überprüfung wird der Anrufer anschließend darüber informiert, ob und mit welchen Informationen er oder sie auf einer der Listen steht. Auf Nachfrage teilte ein Polizeisprecher mit, personenbezogene Daten würden nach Beantwortung der Anfrage umgehend gelöscht.
Bei einigen Nutzern sozialer Netzwerke ruft das Kontakttelefon trotzdem Skepsis hervor. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter äußerten User den Verdacht, es könne sich um einen Honeypot handeln, also eine Falle des LKA, um selbst Dateien von anrufenden Antifas zu sammeln. Christiane Schneider argumentierte dagegen: „Es ist eine Fehlannahme, dass vor allem Linke auf den Listen stehen. Auf der von Nordkreuz angelegten Liste stehen etliche Kommunalpolitiker*innen verschiedener Parteien.“
Dem Journalisten und Leiter des Tranzparenzportals „Frag den Staat“ Arne Semsrott geht die Hamburger Hotline nicht weit genug. „Wenn nur diejenigen informiert werden, die ohnehin schon den Verdacht haben, dass sie auf den Listen stehen, wird ein großer Teil der Betroffenen weiterhin in Unwissenheit gelassen“, sagte Semsrott der taz. Er fordert: „Alle Betroffenen sollten zusätzlich postalisch informiert werden.“
Semsrott hatte das BKA auf Herausgabe der gesamten Daten verklagt – ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden stellte das Verfahren in der vergangenen Woche ein. Semsrott will nun beim Generalbundesanwalt erwirken, die Listen nach dem Presserecht einsehen zu dürfen.
Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) hatte im Juli auf Kritik reagiert und 1.200 Betroffene informiert. Ergebnisse der Prepper-Kommission, die sich seit zwei Jahren mit der Szene um „Nordkreuz“ befasst, hält die Behörde hingegen geheim. Ein Zwischenbericht war ursprünglich für 2018 geplant. Semsrott verklagt deshalb jetzt das Innenministerium.
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