Hamburg benennt Straßen um: Erinnerung an die Opfer statt Ehrung der Täter
In Hamburg heißen zwei bislang nach einem Kolonialismus-Profiteur benannte Straßen künftig nach einem Widerstandskämpfer und einem Kolonialismusopfer.
Prozesse gegen TäterInnen des Kolonialismus dagegen gab es nie, und gegen Verstorbene kann man sie nicht mehr führen. Im Gegenteil: Man hält zum Beispiel Hamburger Kolonial-Profiteure durch Ehrenbürgerschaften, Denkmäler und Straßennamen auch im öffentlichen Raum im Gedächtnis.
Von den Opfern kennt man oft nicht einmal die Namen, denn das System machte die Versklavten zu Nummern, die Unterdrücker zu Helden. Seit Jahren fordern deshalb Communitys, Postkolonial-AktistInnen und Nachfahren der Opfer des deutschen Völkermordes an den Ovaherero und Nama die Umbenennung von Straßen, die nach ProfiteurInnen des Kolonialismus benannt sind.
Dieser Prozess ist zäh, aber langsam bewegt sich etwas: Berlin und Düsseldorf haben bereits Straßen umbenannt. Hamburg allerdings, dessen Kaufleute vehement die Annexion von Kolonien betrieben und finanziell extrem profitierten, ist spät dran. Das liegt auch daran, dass das maßgebliche Votum über Straßen-Umbenennungen letztlich nicht die Bezirksversammlung, sondern die Regionalausschüsse haben. Und die sind nah dran an Partikularinteressen und AnwohnerInnen-Protesten.
Keine Ehrung mehr für Adolph Woermann
Trotzdem hatte der Bezirk Hamburg Nord am 5. September 2024 beschlossen, drei kolonial belaste Straßennamen in Ohlsdorf zu ändern. Zwei von ihnen ehren den Kaufmann und Reeder Adolph Woermann, Mitbegründer der Kolonie Kamerun. Als 1904 der Aufstand der Ovaherero in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika begann, transportierte die Woermann-Linie rund 14.000 deutsche Soldaten samt Pferden und Kriegsgerät dorthin und verdiente gut daran. Zudem internierte er Hunderte Ovaherero und zwang sie zur Minen- und Hafenarbeit. Woermann galt schon damals als Kriegsgewinnler.
In Hamburg-Ohlsdorf soll der Woermannsweg künftig Louisa-Kamana-Weg heißen. Kamana wurde 1903 samt ihrem Neugeborenen von einem deutschen Händler erschossen, als sie sich gegen seinen Vergewaltigungsversuch wehrte. Der Täter bekam drei Jahre Gefängnis, war aber nach elf Monaten wieder frei. Dass es überhaupt eine Gerichtsverhandlung gab lag daran, dass Louisa Kamana die Tochter eines einflussreichen Chiefs war.
Unter den Ovaherero gelte dieser Mord und viele weitere Fälle sexualisierter Gewalt gegen Frauen „als zentrale Impulsgeber für den Aufstand der Ovaherero gegen die deutsche Kolonialherrschaft, der zum Krieg und schließlich zum Völkermord an den Ovaherero führte“, schreibt der Arbeitskreis Hamburg Postkolonial, der die neuen Straßennamen vorschlug.
Die zweite betroffene Straße, der Woermannstieg, soll künftig Cornelius-Fredericks-Stieg heißen und an einen wichtigen Widerstandskämpfer gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia erinnern. Fredericks starb 1907 in einem deutschen Konzentrationslager an der namibischen Küste. Er ist eins von ungefähr 75.000 Opfern des vom deutschen Kommandanten Lotha von Trotha befehligten Völkermords an den Ovaherero und Nama. Die zugehörigen Straßenschilder wurden laut Bezirksamt Ende November 2024 bestellt und sollten nach sechs Wochen fertig sein. Die Aufstellung sei für die erst Jahreshälfte geplant, heißt es.
Ins Stocken gerät derweil die dritte, eigentlich bereits beschlossene Umbenennung des Ohlsdorfer Justus-Strandes-Weges. Der Kaufmann Strandes hatte den für seine Brutalität berüchtigten Hamburger Kolonialisten Carl Peters bei der Gründung der Kolonie Deutsch-Ostafrika unterstützt. Strandes half bei der Ausfertigung von Knebelverträgen mit den einheimischen Chiefs und lieferte Peters ab 1888 Waffen für die Niederschlagung des antikolonialen Aufstandes in Ostafrika.
Sein Name sollte durch den einer Frau ersetzt werden, die von Carl Peters und weiteren deutschen Offizieren, wie viele versklavte Afrikanerinnen, systematisch vergewaltigt wurde. Nach ihrem zweiten Fluchtversuch wurde sie 1892 hingerichtet, keine 20 Jahre alt. Ihr Name ist Ndekocha. Da die deutschen Kolonialherrn ihn für unaussprechbar hielten, nannten und schrieben sie sie „Jagodja“.
Diese koloniale Schreibweise hatte die Community zunächst irrtümlich für die Umbenennung des Justus-Strandes-Weges vorgeschlagen. Der Bezirk stimmte an besagtem 5. September 2024 zu. Als aber klar wurde, dass es Ndekocha heißen musste und die Linksfraktion den Antrag auf Änderung des Straßennamens stellte, stimmte der Regionalausschuss am 14. Oktober 2024 dagegen – auch die um Dekolonisierung stets bemühte SPD, die „Jagodja“ zuvor befürwortet hatte.
Schreibweise ist wichtig
Die Begründung klingt wie ein Déjà-vu: „Dieser Name mit dem Klicklaut am Anfang ist einfach zu schwer auszusprechen“, sagt Martina Schenkewitz, Sprecherin de SPD-Fraktion Hamburg Nord. Das sei den Anwohnern nicht zuzumuten, „und mir ist Bürgerbeteiligung wichtig. Der Straßenname soll ja auf allen Seiten Akzeptanz finden.“
Millicent Adjej vom Arbeitskreis Hamburg Postkolonial sagt, solche Argumente schrieben koloniale rassistische Muster fort und müssten zurückgenommen werden. „Es bleibt dieselbe Person – unabhängig davon, wie man den Namen schreibt. Ndekocha repräsentiert eine große Opfergruppe.“
Auch Kultursenator Carsten Brosda (SPD) lässt mitteilen, das zu seiner Behörde gehörende, für die Entscheidung maßgebliche Staatsarchiv halte den Vorschlag, den Justus-Strandes-Weg in Ndekocha-Weg umzubenennen, für unproblematisch. „Dem schließt sich der Kultursenator an, da es wichtig ist, die richtige Schreibweise zu nutzen, wenn wir an die Opfer des Kolonialismus erinnern“, schreibt die Pressestelle.
Starkes Zeichen im öffentlichen Raum
Das stünde auch unserer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft gut zu Gesicht, gibt es in Kitas und Schulen doch bereits viele „fremde“, für deutsche Muttersprachler teils schwer aussprechbare Namen. Da wäre ein Ndekocha-Weg ein glaubhaftes Zeichen von Akzeptanz und Integration.
Im Übrigen ist dies kein Einzelfall: Auch ein Teil des Neuengammer Heerwegs wurde 1985 – ungeachtet des AnwohnerInnenwillens – in Jean-Dolidier-Weg umbenannt. Dolidier war ein französischer Widerstandskämpfer, der das KZ Neuengamme überlebte. Seinen Namen können viele bis heute nicht akzentfrei französisch aussprechen. Aber darauf kommt es auch nicht an. Der Name ist ein starkes Zeichen im öffentlichen Raum und steht für die Übernahme historischer Verantwortung. Bezüglich des Kolonialismus ist die seit Mai sogar im stadtweiten Erinnerungskonzept des Hamburger Senats zur Dekolonisierung festgeschrieben, das ausdrücklich die Beteiligung der Communitys fordert.
Daran will auch SPD-Sprecherin Martina Schenkewitz nach eigenem Bekunden festhalten. Zwar sei der Name Ndekocha vom Tisch, sagt sie. „Aber wir werden 2025 einen neuen Antrag stellen und die Community um einen anderen Vorschlag bitten. Die Umbenennung auch des Justus-Strandes-Weges wird kommen. Das verspreche ich Ihnen.“
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