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Haltung des Bundespräsidenten zur UkraineSteinmeiers späte Einsicht

Kommentar von Barbara Oertel

Auslöschung und Vernichtung sind nach wie vor Moskaus Programm. Auch der Bundespräsident hat nun verstanden, dass nur Solidarität der Ukraine hilft.

Ein gedanklicher Richtungswechsel bei Frank-Walter Steinmeier? Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

E s ist noch gar nicht solange her, dass Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine eine persona non grata war und sich vom ehemaligen Kyjiwer Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, ob allzu großer Nähe zu Russland öffentlich und ganz undiplomatisch maßregeln lassen musste.

Doch nun, nach über neun Monaten Krieg und einer Vor-Ort­-Begehung nebst Besuch im Luftschutzkeller, ist auch der Bundespräsident offensichtlich zu weiteren Einsichten gelangt. Man habe es nicht nur mit einem militärisch geführten Angriffskrieg gegen die ukrainische Armee zu tun. Vielmehr seien Russlands systematische Zerstörungen der Gas- und Strominfrastruktur vor allem ein Angriff auf die Zivilbevölkerung und damit Teil der Kriegsstrategie, sagte Steinmeier vor wenigen Tagen der Deutschen Welle. Ein Waffenstillstand zum jetzigen Zeitpunkt sei keine Option, da er Russlands Grenzverletzung, die Missachtung des Völkerrechtes und den Landraub auch noch absegnen würde.

Diese Aussage ist zutreffend, aber sie ist eben nur ein Stück der Wahrheit. Eine Landnahme auf der Krim und in der Ostukraine – eine klare Verletzung des Völkerrechts – lagen bereits 2014 vor. Das ist auch eine der Erklärungen dafür, dass das, von einigen immer noch gepriesene, Minsk II-Abkommen inklusive Steinmeiers Kompromissformel seinerzeit nicht den erhofften Erfolg brachte. Und der Krieg gegen die Zivilbevölkerung tobt bereits seit dem 24. Februar 2022 und nicht erst seit Moskaus perfiden gezielten Angriffen auf die kritische Infrastruktur, die die Ukrai­ne­r*in­nen jetzt auch noch durch Hunger und Kälte töten sollen.

Auslöschung und Vernichtung – das war und ist nach wie vor Moskaus Programm. Um Verhandlungen geht es Moskau nicht und wenn doch, dann allenfalls zu seinen Bedingungen. Wenn Steinmeier – und andere – jetzt von Solidarität sprechen, so kann das nur eins bedeuten: Die Ukraine noch stärker als bisher zu unterstützen mit allem, was geht – finanziell, humanitär und militärisch. Dazu gehört auch, sich so schnell wie möglich auf die Aufnahme weiterer Flüchtlinge vorzubereiten. Angesicht des beginnenden Winters ist das auch ein Kampf gegen die Zeit. Und die läuft ab.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Vielleicht kannte Steinmeier schon 2014 den Begriff Holodomor, dass damit auch die Auslöschung der ukrainischen Sprache und Kultur gemeint war, sicher nicht.

    Denn sonst wäre ihm wenige Wochen nach Annexion der Krim aufgefallen, dass dort, auf der Krim, eine ethnische Säuberung im Gange war: Überall wurden ethnische Ukrainer aus Staatsbetrieben, Universitäten, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen entlassen.

    Steinmeier und die Regierung Merkel bekamen das sicher von den Diensten gesteckt, aber sie ignorierten es.

    Es muss leider noch sehr sehr viel schmutzige Wäsche über das Verhalten Deutschlands in dieser Zeit gewaschen werden. Das werden auch die deutschtümelnden Kampagnen von Merkels Nachfolger Merz gegen Ausländer, Migration und Arbeitslose nicht übertünchen. Die Russophilie wird Säulenheilige in Union und SPD stürzen; Steinmeier versucht die Korrektur. Das ehrt ihn, als Erklärung genügt es nicht.

    Die Anerkennung des Holodomor als Genozid ist ein erster Schritt, die Ukraineblindheit zu überwinden.

    • @rakader:

      Das ist eine verquere Argumentation. Kein einziger der von Ihnen angeführten historischen Punkte ist nüchtern betrachtet mehr als nur eine Halbwahrheit, einige sogar nur ein Drittel oder ein Viertel, der Rest ist Mythos. Wieso muss man solche einseitigen Sichtweisen ernstnehmen oder unkritisch nachbeten? Und wie können Sie das zur Grundlage für die Beurteilung eines Staatsmanns machen? Das ist doch nicht redlich.

  • Steinmeier war und ist ein Opportunist, der mit diplonstischen Floskeln Kariere gemacht hat. Dies zeigte sich auch zu Beginn der Revolution in Syrien, als der Westen die Demokratiebewegung sich selbst überliess und in die Arme der Türkei und ISIS trieb. Steinmeier ist dabei der typische Vertreter westlicher Appeasement-Politik, der nach Bosnien und Syrien nun auch die Ukraine zum Opfer gefallen ist.

  • Jetzt müssen die Menschen und das Land Ukraine vom USA, GB, EU Westen natürlich sinnvoll und gut unterstützt werden.

    Allerdings bezweifle ich dass dazu eine so zerstörerische Politik gegen unser Land D und die EU nötig gewesen wäre.

    Und ich halte für wichtig, das so bald wie möglich Verhandlungen zum Frieden und gutem Miteinander zwischen Russland und dem Westen begonnen werden, und dass dadurch ein besseres Russland/Westen Verhältnis entsteht als wir es seit dem letzten WK hatten.

    Denn ich würde gerne noch mitbekommen, dass sich unsere gemeinsame Welt Richtung Frieden und gutem Miteinander überall und weltweit bewegt - weil so eine Welt für alle Menschen und Länder besser wäre.

  • Sehenswert : 30. November 2022. „Kiew ist das unzerstörbare Herz Europas“: virtuelle Fotoausstellung auf der Internetseite des Bundestages.

    www.bundestag.de/a...-kiew-herz-europas

  • Dass 2014 zwei Millionen Russen aus dem Donbass vertrieben worden sind, ist schon bekannt? - Dass Steinmeier diese Vertreibung mit dem Minsker Abkommen stoppen wollte, ist ebenfalls bekannt?

    • @Rosmarin:

      Was für ein Verschwörungsgeschwätz.

  • Steinmeier ist ein Wellenreiter.

    Er hat gelernt, dass große Teile der Bevölkerung für eine Unterstützung der Ukraine sind. Da möchte er jetzt Unbill von sich und seiner Partei abwehren und spielt ein bisschen mit der Mehrheitsmeinung.

    Tatsächlich war er mit Merkel einer der Architekten für die Nichtaufnahme der Ukraine und damit - nach meiner Meinung - eine der Hauptursachen für diesen Krieg.

    Was seine wahre Meinung und Intention ist, lässt sich nur vermuten, wie insgesamt bei der SPD: