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Halloween als Unfall- oder Brandopfer„Ich finde das sehr geschmacklos“

Kunstblut im Gesicht, aufgemalte Brandnarben am ganzen Körper. Traumaforscher Wilfried Echterhoff erklärt, was ein Kostüm bei Betroffenen auslösen kann.

Unfallopfer spielen? Als Kostümierter sollte man aufpassen, sagt Traumaforscher Wilfried Echterhoff Foto: dpa
Interview von Irina Angerer

Um besonders gruselig zu wirken, verkleiden sich viele Menschen an Halloween gerne als Unfallopfer. Was lösen solche Kostüme in einem Menschen aus, der diese Situationen wirklich erlebt hat?

Wilfried Echterhoff: Halloween hat ja die Eigenart, dass kostümierte Menschen so plötzlich in das Privatleben anderer eindringen, zum Beispiel auf der Straße. Das kann zu einer emotionalen Belästigung bei einem Unfallopfer führen. Als Kostümierter sollte man aufpassen. Man kann sich ja nicht wehren, wenn verkleidete Leute plötzlich vor einem stehen. Keiner fragt vorher: Darf ich Sie mal erschrecken? Es muss nicht sein, dass man gleich psychisch erkrankt. Aber schön ist das sicher nicht, wenn man gerade etwas Schreckliches erlebt hat und dann noch einmal auf diese Weise so unvermittelt und intensiv daran erinnert wird. Menschen, die sehr empfindlich sind, werden allerdings an solch einem Tag gar nicht auf die Straße gehen.

Finden Sie solche Verkleidungen geschmacklos?

Privat und persönlich finde ich so etwas schon sehr geschmacklos. Vor allem da ich oft mit Brandopfern zu tun habe. Wir behandeln Menschen mit den schwersten Verbrennungen, die wirklich sehr unter ihrem Aussehen leiden. Und wenn man sich dann genau so verkleidet und ihnen diesen schrecklichen Spiegel vorhält, dann ist das unmenschlich. Das darf man nicht machen.

Abgesehen von Kostümen. Welche anderen Triggerfaktoren gibt es?

Das können die verschiedensten Dinge sein: die Sirenen von Einsatzfahrzeugen, ein blitzendes Blaulicht, aber auch eine Radiomelodie, die man gehört hat, als man beispielsweise im Auto eingeklemmt war oder Gerüche. All das kann einen wieder in die erlebte Unfalllage hineinbringen und etwas retraumatisieren. Es müssen keine schrecklichen Dinge sein. Meist reichen Kleinigkeiten, die sich in der Unfallsituation so wahnsinnig intensiv eingeprägt haben.

Wie kann so ein Trauma auf längere Sicht überwunden werden?

Im Interview: Wilfried Echterhoff

76, ist Professor der Psychologie an der Universität in Wuppertal. Echterhoff gründete ein Institut für Psychotraumatologie in Köln und ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychologie.

Jedenfalls nicht durch Abwarten. Wenn man sich einen Fuß verrenkt, dann lässt man sich ja auch untersuchen und sagt nicht: das wird schon werden. Wenn man Albträume hat, nicht schlafen kann, die schrecklichen Bilder auch tagsüber aufgedrängt bekommt, bestimmte Dinge strikt vermeidet. Dann sind das alles Zeichen dafür, dass man dringend einen Psychotherapeuten aufsuchen und dann – falls notwenig – eine Therapie machen sollte.

Im gesellschaftlichen Rahmen: Wie werden Unfallopfer behandelt?

Wenn man die Gesellschaft auf Behörden, Verwaltung und Versicherungen herunterbricht, dann muss ich sagen, werden sie wirklich miserabel behandelt. Oft müssen sie mit diesen jahrelang kämpfen. Die Leistungen, gerade wenn es um gesundheitliche Probleme geht, werden sehr lange verschleppt oder sogar verweigert. Viele Opfer entwickeln mit der Zeit einen richtigen Hass auf dieses ganze System.

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12 Kommentare

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  • Zitat: „Keiner fragt vorher: Darf ich Sie mal erschrecken?“

    Verständlich. Wer sich so ankündigen würde, der könnte niemanden erschrecken. Ein Schreck ist schließlich „die Reaktion eines Organismus auf einen ÜBERRASCHEND wahrgenommen, potentiell bedrohlichen Reiz.“

    Die Frage ist also nicht, warum die Halloween-Fans kein Schild mit der Aufschrift „Überraschung!“ vor sich her tragen. Die Frage ist, warum sie überhaupt das Bedürfnis haben, Menschen zu erschrecken.

    Wenn man Albträume hat, nicht schlafen kann, bestimmte Dinge strikt vermeidet, weil sich „schreckliche[] Bilder auch tagsüber auf[]drängen“, wird man zum Psychotherapeuten geschickt. Wenn man gut schlafen kann, obwohl man gerade einem völlig unvorbereiteten Menschen schreckliche Bilder aufgedrängt hat, passiert das nicht. Warum eigentlich nicht? Ich meine: Das ist doch nicht normal, dass Menschen kein Gefühl dafür und vielleicht nicht einmal eine Vorstellung davon haben, was sie anderen antun (können)?

    Ich finde ja, auch das Bedürfnis, Angst und Schrecken zu verbreiten, ist therapiebedürftig. Ist ja nicht so, dass alle Traumatisierungen auf Unfälle zurückzuführen sind. Und selbst ein Teil aller Unfälle wäre nicht passiert, wenn die Verursacher weniger rücksichtslos gewesen wären. Warum also werden die Unfallopfer therapiert, die (Re-)Traumatisierer aber nicht?

    Ganz einfach, fürchte ich. Rücksichtslose Menschen leiden weniger unter ihrer Rücksichtslosigkeit, weil Rücksichtslosigkeit gesellschaftlich akzeptierter ist als jedes Rückzugsverhalten. Maß aller Dinge ist in unserer Gesellschaft noch immer der aktive, gern auch aggressive Mann, der anderen Angst machen kann.

    Nun denn. Bleibt eigentlich nur eine Frage: Wieso verkleiden sich die Leute eigentlich an Halloween? Sind die nicht unverkleidet schon schrecklich genug?

  • Ein typisch deutscher "Spaß? Nein danke." Artikel. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Bitte merken!

  • Ich sehe die Aussage und den Gruselfaktor eines solchen Kostüms erstmal als "Das kann auch dir oder mir passieren". Aber Halloween ist so sehr mit anderen Assoziationen aufgeladen, dass es komplizierter wird.

    Bei den meisten Halloween-Kostümen geht es spezifisch darum, mit Horror-Klischees zu spielen!



    Und in einer Umgebung, wo die anderen als Monster verkleidet sind, bekommt die Darstellung einer 'entstellten' Person einen üblen Beigeschmack; denn die Vorstellung, eine solche Person sei selbst monströs, hat üble Tradition.



    Angefangen bei diversen Slasherfilmen, über einige der Motive, die Julia Kristeva in ihrem Buch "Pouvoirs de l'horreur" untersucht, bis hin zu den überholten Vorstellungen eines Cesare Lombroso (der meinte, Kriminalität liesse sich an der Physiognomie ablesen), findet sich überall die Assoziation von andersartigen Körpern mit dem Bösen.

    Menschen haben eine Urangst vor Krankheit, die diesen Motiven z. T. zugrundeliegt, aber wir sollten kritisch und empathisch genug sein, diese nicht unserem respektvollen Umgang miteinander in die Quere kommen zu lassen.

    Wenn der 'markierte' Körper in einem Kontext präsentiert wird, bei dem es vorwiegend ums Abscheuliche und Bedrohliche geht, entsteht eine gewisse Freakshow-Atmosphäre, ob es beabsichtigt ist oder nicht.

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Meine Vorkommentatoren haben physische Gewalt(-einwirkung) auf menschliche und tierische Körper nicht erfahren, unterstelle ich einfach mal. Sie können sich überdies weder historische Situationen noch andere Lebens-Zusammenhänge vorstellen, in denen diese Art von Gewalt alltäglich und für jeden erfahrbar ist und physische Unversehrtheit alles andere als selbstverständlich ist (wenn man mal von "Imagination" jenseits von Videospiel-Niveau absieht). Sie selbst sind sozusagen lebenslang in Watte gepackt gewesen, so dass sie, bis zu einem gewissen Grad verständlich und folgerichtig, die Geschmacksverirrungen von Feiernden hier bei uns völlig normal finden und dem höchstens mit gelangweiltem Achselzucken begegnen.



    Es gibt andere Auffassungen dazu, das sei ihnen hinter die Ohren geschrieben

    • @61321 (Profil gelöscht):

      Halloween findet einmal im Jahr statt und nicht an jeder Straßenecke hängen Verkleidete rum. Einfach mal die Kirche im Dorf lassen.

      • @Andi S:

        In manchen Fällen, habe ich mir sagen lassen, genügt ein richtiger Schrecken alle paar Jahre, um einen Menschen außer Gefecht zu setzen.

        • @mowgli:

          Mir stellt sich da die Frage wo es hinführt wenn man anfangen würde bestimmte Kostüme zu verbieten, besonders wenn das Leitmotiv horror ist? Könnten da nicht quasi alle Kostüme für irgendjemanden ein Problem sein? Wer legt dann fest welche Kostüme OK und welche nicht zumutbar sind? Vielleicht sicherheitshalber Kostüme generell verbieten werden manche sagen, denen ich zwar nicht zustimme, die aber immerhin konsequent sind.

  • Befreien wir die Gesellschaft von allen Ecken und Kanten! Lasst uns auf leisen, weichen und plüschigen Sohlen durch die Straßen schleichen, knuddeln uns alle und erzählen jedem wie toll wir unsere Fettleibigkeit finden. Und jeder der stärkeres als verbale Wattebälchen von sich gibt, für den finden wir ein Plätzchen mit Zuckerstangen als Zaun drumherum. Oder wir machen ihn auf Twitter fertig!?!

    • @Andi S:

      Nun mal halblang! Wer will denn gleich "die Gesellschaft von allen Ecken und Kanten [befreien]"? Ihre Ecken und Kanten darf die Gesellschaft von mir aus gerne behalten. Befreien sollten wir sie nur von der geradezu zwanghaft scheinenden Fixierung auf die segensreiche Wirkung absichtlich und eigenhändig hervorgerufener Schrecken. Der Rest von ihr wäre dann gleich viel erträglicher, auch mit Milliarden Ecken und Kanten.

      • @mowgli:

        Legen sie fest was "berechtigt" schrecken auslöst und was nicht? Wenn wir wissen dass Sirenen dies manchen Menschen antun, lösen wir das dann nicht auch eigenhändig und absichtlich aus?

  • Man kann es auch übertreiben. Solange es die Verkleideten nicht gezielt darauf anlegen, Unfallopfer etc. aufzusuchen und zu erschrecken, ist doch alles ok.

    99% der Leute da draußen sind keine Brandopfer.

    • @modulaire:

      Wieviel war gleich nochmal 1% von 6 Milliarden?