Haiyti über Berlin und ihren Rap: „Ignorieren ist das neue ‚Nutte‘“

Ihre Ware ist „Glitzerpop mit Weltschmerz“, der Titel ihres neuen Albums ein Spiel mit dem Wort Suicide: die Rapperin Haiyti alias Ronja Zschoche.

Die Rapperin Haiyti hat metallicblond gefärbte Haare und trägt ein silbernes Oberteil. Sie liegt in einem Schwebestuhl aus Plexiglas.

Haiyti alias Ronja Zschoche Foto: André Wunstorf

taz: Frau Zschoche, waren Sie nun schon mal im Berghain?

Ronja Zschoche: Nein, immer noch nicht, ich warte auf den richtigen Moment. Ich habe auch gemerkt: Man kann solche Abende nicht planen, das muss einfach passieren. Also: Ich plane nicht, ins Berghain zu gehen. Aber ich werde irgendwann sicher mal da landen – und das wird dann ein legendärer Abend.

Im Moment geht es ja eh nicht wegen Corona, aber vor dem Lockdown haben Sie es versucht.

Ja, zweimal sogar. Einmal haben die Türsteher mich nicht hineingelassen, das zweite Mal kam ich immerhin bis zur Kasse, hatte aber kein Geld dabei. Ich verstehe bis heute nicht, wie ich so weit kommen konnte.

In Ihrem Song „Berghain“ rappen Sie: „Ich war noch nie im Berghain – bitte lass mich da nicht rein“.

Ja, aber der ist ja schon alt.

Alt? Der ist von 2018.

Mittlerweile habe ich mit den ganzen Berghain-DJs schon Silvester gefeiert, aber ich war halt noch nicht drin. Ich war jahrelang ein It-Girl und in Hamburg immer dabei bei allen Partys. Aber seit fünf Jahren sind Party, Feiern und Wachbleiben doch Mainstream geworden. Heute trifft man da alle möglichen Uni-Leute, aber früher waren daab einer gewissen Zeit in den Hamburger Clubs nur noch die krassesten Spezialisten versammelt, da war man unter Künstlern, Luden und Kleinkriminellen. Das ist vorbei, und das kannte ich auch nur in Hamburg. Das mag es in Berlin auch geben, hab ich aber noch nicht gefunden.

Sie sind vor zwei Jahren aus Hamburg nach Berlin gezogen – das Berghain war offensichtlich nicht der Grund.

Eigentlich wollte ich nicht nach Berlin. Ich musste in Hamburg aus meiner Wohnung raus, aber was ich da angeboten bekam, war alles nichts. Dann hatte ich ein Angebot in Berlin, und es hat mich nichts mehr in Hamburg gehalten. Ich kann ja von überall aus arbeiten. Klar ist es am besten, in Hamburg, Berlin oder Köln zu sein, da kann man schnell mit jemandem ins Studio gehen. Ich sollte auch nicht in London oder New York wohnen, weil die deutsche Sprache mein Metier ist, aber wo ich in Deutschland lebe, ist eigentlich egal.

Die Frau Ronja Zschoche alias Haiyti wird in Hamburg geboren. Wann genau, will sie nicht sagen. Ihr Großvater ist der Defa-Regisseur Hermann Zschoche. Ihren Vater, einen Musiker, der 1985 unter dem Künstlernamen Vitale mit „Komm doch noch mal (Gefühl ohne Ende)“ einen Hit landet, besucht sie regelmäßig in dessen Heimat Kroatien.

Die Musikerin Als Jugendliche beginnt Zschoche zu rappen, nennt sich zuerst Miami, dann Rendezvous, Ovadoze und Robbery. „Havarie“, ihr erstes Album als Haiyti, erscheint 2015. „Montenegro Zero“ ist drei Jahre später ihr Debüt bei einem großen Label und wird gefeiert von der Zeit („Aufladung der Zivilisationskulissen mit einer nicht naiven Empfindsamkeit“) bis zur Süddeutschen Zeitung („Das deutsche Popgenie der Stunde“).

Die neue Platte „Sui Sui“ ist das vierte Album von Haiyti in nur fünf Jahren, dazu sind noch vier sogenannte Mixtapes, diverse EPs, unüberschaubar viele Singles und Kollaborationen erschienen. „Sui Sui“ stieg trotz solcher potenzieller Hits wie „Toulouse“ und „La la land“ und euphorischer Kritiken nur auf Platz 34 und fiel nach einer Woche schon wieder aus den Charts. (taz)

Dann sind Sie bloß hierhergekommen ist, weil Sie eine billige Wohnung bekommen haben?

Wenn die wenigstens billig gewesen wäre! Inzwischen habe ich aber die Mietpreisbremse gezogen, jetzt geht's. Vor allem hatte ich das Gefühl, man muss, um sich weiterzuentwickeln, auch mal die Stadt gewechselt haben. Und dann ist nach Hamburg das nächste Upgrade nun mal Berlin.

Ist Berlin wirklich ein Upgrade? Hat der Umzug hierher Sie weitergebracht?

Schwere Frage. Bisher nicht, jedenfalls nicht beruflich. Jetzt, wo ich in Berlin bin, bekomme ich ständig in Hamburg Studio-Angebote.

Was bedeutet das?

Ich brauche Studio-Sessions, um mich weiterzuentwickeln. Oder ich mache mein eigenes Studio auf und produziere selber, aber so weit bin ich noch nicht. Im Moment ist es so: Ich schreibe die ganzen Lieder, aber teile mir dann den Song mit dem Producer, der den Beat macht und mich aufnimmt. Deshalb braucht man in der Stadt, in der man lebt, Leute, die an einen glauben und einen ins Studio holen. Das hatte ich in Hamburg nicht, und ich hab es jetzt in Berlin auch nicht. Absurderweise krieg ich jetzt solche Angebote aus Hamburg, die ich nicht bekommen habe, als ich dort gelebt habe. Aber das passiert nicht nur mir. Auch Jan Delay – oder war's jemand von Deichkind? – hat mir erzählt, dass viele Projekte losgehen gerade in dem Moment, wenn man aus Hamburg weggeht.

Haben Sie den Umzug bereut?

Für mein Image war er auf jeden Fall schädlich. Ich komme nun mal aus Hamburg. Ich will zwar nicht immer HamburgHamburgHamburg sagen, das ist ja auch lächerlich. Find ich ja auch dumm, wenn die Berliner das machen. Aber die Stadt ist schon wichtig als Rapper, meine Texte spielen nun mal eher in Hamburg. Jetzt langsam werden sie aber allgemeiner.

Das ist das Image, aber ansonsten?

Ich muss jetzt was Gutes über Berlin sagen.

Von mir aus nicht.

Meine halbe Familie kommt aus der DDR, mein Opa war ein bekannter Defa-Regisseur …

Hermann Zschoche.

Genau. Deshalb war Berlin immer meine zweite, coole Stadt, ich war jahrelang ein Pendler. Schon als Kind saß ich im Linienbus nach Berlin – und wenn der hier ankam, konnte ich immer ein Kribbeln spüren. Diese Aufregung ist jetzt leider weg.

Berlin scheint Sie depressiv zu machen. „Sui Sui“, der Titel Ihres neuen Albums, ist ein Spiel mit dem Wort „Suicide“.

Als ich aus Hamburg wegging, haben alle die Läden, die ich mochte, dichtgemacht. Auch die Schanze hat sich verändert. Ich wollte aber nicht jemand werden, der immer heult, dass früher alles besser war. Und jetzt macht hier der Karstadt am Leopoldplatz dicht – und das nimmt mich wirklich mit, da bin ich seit meiner Kindheit, ich mag den Karstadt.

Das ist der Grund für eine Depression?

Nein, vor allem schon, dass das hier ein härteres Pflaster als in Hamburg ist. Die Leute hier scheinen kälter zu sein, man wird nicht so schnell aufgenommen, alle sind eher so unter sich. Die Prenzlauer-Berger sind unter sich, die Charlottenburger sind unter sich. Alle sind freundlich und cool und weltoffen, aber die Sensibilität finde ich hier nicht. Hier in Berlin ist man so anonym, dass es fast wehtut, den Weltschmerz halte ich manchmal kaum aus.

Was machen Sie dagegen?

„Hier kriegt man noch ein WG-Zimmer für 300 Euro, und deshalb gibt es so viele Möchtegernkünstler, die es sich nur hier leisten können, abzugammeln“

Nichts. Vielleicht mich schnell in Arbeit stürzen. Das ist aber auch nicht immer einfach, weil ich ständig den Leuten hinterherrennen muss. Alle sind so lahmarschig, alle haben immer schon zu tun. Weil Hamburg so ein Dorf ist, wusste man immer genau, wer wo wann chillt. Hier muss man sich ewig verabreden, bis man mal jemanden trifft. Und dann reden alle immer nur davon, dass sie mal was machen müssten, anstatt einfach zu machen. Berlin ist wohl doch noch zu billig, deswegen hast du hier alle diese Wannabe-Bands, die sich niemals leisten könnten, in London oder selbst in Hamburg zu leben. Hier aber kriegt man noch ein WG-Zimmer für 300 Euro, und deshalb gibt es so viele Möchtegernkünstler, die es sich nur hier leisten können abzugammeln.

Sie dagegen scheinen extrem fleißig zu sein. In den letzten fünf Jahren haben Sie vier Alben, vier Mixtapes und drei EPs herausgebracht, dazu einen Haufen Singles und Gastauftritte bei anderen. Warum arbeiten Sie so viel?

Ich mache halt das allein, was sonst ein Label mit fünf Leuten macht. Das war mir aber auch nicht klar bis vor Kurzem. Was ich erst lernen musste: Wenn ich mich nicht selbst drum kümmere, dann macht es kein anderer. Die ganze Zeit geht es in meinem Kopf ab, ich denke nach, was noch ansteht, was ich noch machen muss, wie es gut wird, was mein neuer Albumtitel sein soll …

Ein neues Album? Das aktuelle ist doch erst erschienen.

Aber das nächste ist schon fast fertig.

In den vergangenen Jahren haben Sie wahrscheinlich alles veröffentlicht, was Sie aufgenommen haben …

Ja, so ziemlich.

Gibt es etwas, das Sie bereuen?

Ja, anstatt immerzu irgendwas zu machen, hätte ich mich besser um mein Image kümmern sollen. Ich habe über nichts nachgedacht, nicht über mein Image, nicht über Melodien, nicht über meine Texte, nicht über meine Außendarstellung. Das mache ich erst seit anderthalb Jahren.

Das Bild zeigt einen so genannten Nosegrill, ein metallenes Schmuckstück, das über dem Nasenrücken getragen wird.

Haiytis Nosegrill Foto: André Wunstorf

Was hat dazu geführt, dass Sie das jetzt hinterfragen?

Der Erfolg bleibt aus. Und da habe ich mich halt gefragt, woran das liegen könnte. So langsam macht man sich da schon Gedanken – und meine Erklärung ist: Die Leute können mich nicht greifen. Die können nicht verstehen, wer ich bin, diese Frau aus der zerbrochenen Prollwelt, eine Mischung aus Emotionalität, Ironie und Ignoranz.

Wenn man in die Presse guckt, hat man nicht den Eindruck, Sie hätten keinen Erfolg. Vor allem das Feuilleton hat einen Narren an Ihnen gefressen.

Davon weiß ich nichts, ich lese das ja nicht. Ich denke, die Leute in den Redaktionen finden mich vielleicht interessant, weil ich ein Widerspruch bin. Ich bin zwar in dieser Gangsta-Rap-Welt unterwegs, aber ich bin kein Kanake mit Lederjacke. Ich bin ein halbgebildeter Vollproll in einem Frauenkörper. Vielleicht sind meine Texte auch ganz gut. Eigentlich ist es mir ein Rätsel. Aber eins weiß ich: Die Jungs, die hier gegenüber aus dem Fitnessstudio kommen, die kennen mich alle nicht.

Woran messen Sie Erfolg?

Am Kontostand. An Klickzahlen, an Instagram-Followern, am Kollegium.

Kollegium?

Daran, wie ich im Verhältnis zu anderen Rappern stehe. Ja, der Mainstream hat schon mal von mir gehört, aber es ist nicht so, dass die Masse sagt: Die ist cool, der folge ich mal. Das funktioniert wie das Mitläuferprinzip, aber da bin ich noch nicht drin, dafür bin ich zu eigen.

Jetzt, da Sie darüber nachdenken: Wie sieht der Erfolgsplan aus?

Der wird gerade wieder aufgelöst. Eigentlich hatte ich mich vor einem Jahr dazu entschlossen, der düstere Popstar Deutschlands zu werden. Aber auf den Trichter sind jetzt auch alle anderen gekommen. Das Ziel ist natürlich, einen eigenen Stil zu prägen. Daran arbeite ich noch. Ich finde ja, vom Image her ist mir „Sui Sui“ schon gut gelungen. Es ist düster, aber nicht zu sehr, es ist prollig, aber auch nicht zu Devil, nicht zu 666. Ich finde, ich habe ganz gut die Mitte getroffen: poppig, aber auch Gangster. Dabei will ich bleiben, das ist meine Ware: Glitzer-Pop mit Weltschmerz und eine Rolex oben drauf.

Wie authentisch ist dieser Spagat zwischen Pop und Gangster-Rap? Es heißt, Sie seien in Hamburg „in prekären Verhältnissen aufgewachsen“. Was bedeutet das konkret?

Meine ersten Erinnerungen habe ich an die Zeit, als wir in Bramfeld gewohnt haben. Das war zwar eine Reihenhausgegend, aber billig – und wir waren Untermieter einer Prostituierten und ihres Zuhälters. Eigentlich war das ein Privatpuff. Danach sind wir nach Hummelsbüttel in eine Sozialwohnung gezogen, und ich war immer die Letzte, die aus der Kindertagesstätte abgeholt wurde. Meine Mutter ist oft nachts Taxi gefahren, und ich war allein. Später habe ich im Flora-Park rumgegammelt, und aus der Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistentin bin ich rausgeflogen, weil mir gesagt wurde, mir würde die Sozialkompetenz fehlen. Ich wollte einfach nichts machen. Bis Anfang zwanzig habe ich ein Party- und Kleinkriminellenleben geführt, bis meine Mutter fast ausgeflippt ist und mich zum Arbeitsamt geschleppt hat. Ich war dann in einer AB-Maßnahme, wurde da als große Künstlerin entdeckt und durfte auch ohne Abi an die Hochschule.

Könnte die taz nicht einen Aufruf für mich machen: Rapperin will malen, sucht Atelier, will Rap-Karriere beenden!

Sie haben Malerei studiert. Malen Sie heute noch?

Wenn ich ein Atelier hätte, würde ich malen, denke ich. Aber wie kommt man an Räume ran? Könnte die taz nicht einen Aufruf für mich machen: Rapperin will malen, sucht Atelier, will Rap-Karriere beenden!

Fällt Ihnen die Zeit auf der Kunsthochschule im Rap auf die Füße?

Ja klar. Eine Straßen-Rapperin studiert keine Kunst. Ich war zwar vom richtigen Studieren weit weg, aber hätte ich verhindern können, dass es bekannt wird, hätte ich es verhindert.

Haben Sie trotzdem etwas gelernt an der Kunsthochschule?

Ich habe durch die Kunsthochschule Künstler wie Schlingensief oder Kippenberger kennengelernt. Das waren die Bosse, von denen habe ich gelernt, dass man Risiko eingehen muss, wenn man auffallen will. Dass man immer versuchen muss, etwas Neues zu schaffen und Revolution zu machen. Das ist mein Motor bis heute. Was die Vermarktung angeht, hat Jonathan Meese meinen Respekt. Seine Kunst finde ich nicht gut, aber er macht das mit Leidenschaft und er kann sich vermarkten. Das ist leider eine Sache, die ich nicht kann.

Sie haben aber gut gelernt, mit den Rap-Klischees zu spielen. Sie benutzen Rap-Standards wie Hennessy und Bentley, aber brechen sie...

Vielleicht, aber das ist mir nicht bewusst. Ich schreibe meine Texte einfach runter – wie ein Artur Rimbaud: Es geht mir darum, das runterzuschreiben, was gerade ist. Aber man überspitzt natürlich Dinge, man bricht sie. Ich habe zwar schon mal in einem Bentley gesessen, aber ich besitze keinen. Ich habe diese ganzen Szenarien mit Nutten und Luden und Gangstern erlebt, wenn auch nicht jeden Tag. Ich kann diese Freak-Show authentisch verkaufen – auch wenn ich selbst kein Rick-Ross-Leben führe.

Was immer noch außergewöhnlich ist: dass Sie diese Geschichten aus der Perspektive einer Frau erzählen. Über Ihr Dasein als Frau in einer männerdominierten Branche sprechen Sie allerdings nicht gern...

Ja, ich bin eine Frau. Ja, ich bin eine Minderheit im Rap. Aber muss man das so groß schreiben? Ich mache das nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil der Drang in mir so mächtig ist. Ich muss auf die Bühne, weil ich etwas zu sagen habe – auch wenn ich nicht immer weiß, was. Ich wäre auch als Mann ein Rapper geworden – und wahrscheinlich sogar erfolgreicher. Ja, am liebsten würde ich das gar nicht zum Thema machen.

Wird es aber automatisch. Haftbefehl hat über Sie gesagt: „Die hat Eier.“

Ich sage jetzt mal: Es gibt keinen Sexismus im Rap

Wann hat er denn das gesagt? Ich krieg einfach nichts mit. Aber ich sage jetzt mal: Es gibt keinen Sexismus im Rap.

Nein?

Es gibt die Ästhetik, und die Ästhetik ist sexistisch. Und da bin ich auch dabei.

Auf dem neuen Album kommen die Wörter „bitch“ und „schwul“ nicht mehr vor.

Ich hab mich eben weiterentwickelt. Man kann ja auch nicht immer dasselbe sagen. Dafür sage ich auf meinem nächsten Album: Ich schieß dir ins Gesicht, du Penner. Das ist die beste Line auf dem ganzen Album. Es geht halt ums Provozieren.

Wie gehen Sie damit um, wenn ein Kollege backstage Wörter wie „Hure“ oder „Bitch“ benutzt?

Ah, die Zeiten sind doch vorbei. Das sagen die doch nur noch in ihren Raps. Ich würde mich freuen, wenn jemand zu mir sagt „Du Bitch!“ Das wäre wenigstens ehrlich. Heute werden Frauen subtil unten gehalten – durch Ignorieren. Ignorieren ist das neue „Du dumme Nutte“.

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