Haftars Niederlage in Libyen: Die Söldner ziehen ab
Über 1.000 Russen und Syrer verlassen die Kriegsfront im Westen Libyens. Haftars Belagerung der libyschen Hauptstadt geht zu Ende.
Auf Handyvideos ist zu sehen, wie uniformierte Männer in Bani Walid Propellermaschinen besteigen. Augenzeugen berichten der taz, dass russische Kampfflugzeuge die Evakuierung begleiteten. Mohamed al-Haddat, der regionale Kommandeur der in Tripolis amtierenden Regierung von Ministerpräsident Fajis Sarradsch, hatte am Morgen den Befehl erteilt, nicht auf die Flugzeuge zu schießen.
Insgesamt, so berichtete Haddat seinen Offizieren in Misrata, haben 400 LNA-Fahrzeuge die Front vor Tripolis verlassen. Sie werden auf dem Landweg nach Bengasi fahren, ohne angegriffen zu werden, sagte er nach Angaben aus Teilnehmerkreisen.
Die drei Luftabwehrsysteme des russischen Typs Pantsir am Flughafen von Bani Walid sind ebenfalls per Landstraße auf dem Weg nach Bengasi. Bani Walids Bürgermeister, Salem Alaywan, sprach von 1.500 russischen Söldnern, die bis Dienstag abziehen.
Der Krieg in Westlibyen ist entschieden
Damit stellt Haftar nach über einem Jahr Kampf und Millioneninvestitionen in ausländische Rüstung und Söldner die Belagerung von Tripolis ein, die er im April 2019 begonnen hatte, um die Macht in Libyen zu ergreifen. Fast alle der von Haftars Verbündeten kontrollierten Orte im Nordwesten Libyens haben in den letzten Tagen ohne Blutvergießen die Seite gewechselt – an erster Stelle die große Luftwaffenbasis Watia, die mit Haftar verbündete Kräfte Anfang vergangener Woche aufgaben.
Obwohl weiterhin einige libysche LNA-Einheiten und sudanesische Kämpfer entlang der 80 Kilometer langen Front ihre Stellungen halten, ist der Krieg in Westlibyen entschieden.
Mit dem russischen Abzug wurde erstmals öffentlich bestätigt, dass ausländische Kämpfer und Experten der entscheidende Faktor im Krieg um Libyens Hauptstadt waren. In den letzten Monaten war Haftars Allianz aus Stadtmilizen, Söldnern aus dem Sudan, Kämpfern aus Russland und regimetreuen Syrern bis auf acht Kilometer auf das Zentrum von Tripolis vorgerückt.
Von den Arabischen Emiraten gelieferte chinesische Wing-Loong-Drohnen kontrollierten den Himmel, Haftars Überlegenheit motivierte viele Stämme und Städte im Westen und Süden Libyens, sich der LNA anzuschließen.
Doch türkische Drohnen und Luftabwehrsysteme brachten für die Regierung die Wende. Immer wieder zerstörten die türkischen Bayraktar-Drohnen Waffen- und Treibstofftransporter der LNA auf der 800 Kilometer langen Nachschubroute aus Ostlibyen. Mindestens fünf russische Luftabwehrpanzer vom Typ Pantsir wurden in den letzten beiden Wochen von den Drohnen zerstört. Auf der Seite der Sarradsch-Regierung sind laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte außerdem mindestens 5.000 syrische Rebellen im Einsatz.
Nach der Einnahme des Militärflughafens Watia vor einer Woche fielen mehrere weitere Städte an die Sarradsch-Truppen. Wäre auch die letzte Versorgungsroute über Bani Walid und Tarhuna gefallen, wären die LNA-Einheiten und die russischen Kämpfer am südlichen Rand von Tripolis eingekreist worden.
Vereinbarung zwischen den Großmächten?
Die Ausschaltung der russischen Pantsir-Systeme hat wohl Moskau zu einem Umdenken bewogen, nehmen regierungstreue libysche Kommandeure an. Sie gehen davon aus, dass Haftars Rückzug Ergebnis einer Vereinbarung zwischen Russland, der Türkei und den USA ist.
Donald Trump und Recep Tayyip Erdoğan hatten sich in einem Telefonat am Sonntag geeinigt, ihre „enge politische und militärische Zusammenarbeit“ fortzusetzen, und sich „besorgt über die zunehmende ausländische Einmischung“ in Libyen gezeigt.
Von Generälen wie al-Haddat wird abhängen, ob in Libyen eine ostlibysche russische und eine westlibysche türkische Einflusssphäre entstehen. Vorbei ist der Krieg sicher nicht. Solange Haftar den sogenannten Ölhalbmond Libyens bei Bengasi hält, kontrolliert der 76-jährige Feldmarschall über 70 Prozent der Ölvorkommen Libyens.
Am Sonntag rief US-Außenminister Mike Pompeo in Tripolis an und forderte Premier Sarradsch zu einer politischen Lösung des Konflikts auf. Kommandeure der Einheitsregierung verstehen dies als Warnung, nicht nach Bengasi zu marschieren. „Viele von uns glauben jedoch, dass ein solcher Kompromiss zur Verlängerung des Krieges führt“, fasst ein Kämpfer aus Tripolis die Stimmung am Telefon zusammen.
Auch Haftar gibt sich weiter siegesgewiss. Über seinen TV-Sender Karama rief er dazu auf, die „türkischen Invasoren“ aus Libyen zu werfen. Doch es wird wohl längst nicht mehr in Libyen entschieden, wie der Konflikt um Afrikas größte Ölvorräte weitergeht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr