Haft wegen Berichten aus Wuhan: Die Frau, die China demaskiert
China hat die Bürgerjournalistin Zhang Zhan zu vier Jahren Haft verurteilt. Sie hatte über die Lage in Wuhan zu Beginn der Coronapandemie informiert.
Anfang Februar berichtete Zhang auf eigene Faust aus der zentralchinesischen Stadt Wuhan, dem damaligen Epizentrum des Coronavirus. In verwackelten Videoaufnahmen, die sie unter anderem auf den in China gesperrten Plattformen Twitter und Youtube hochlud, zeigte sie die chaotischen Zustände in völlig überfüllten Spitälern, interviewte Bürger und kritisierte immer wieder die Regierung – unter anderem dafür, dass sie kritische Blogger verschwinden ließ.
Im Mai wurde die 37-jährige Zhang selbst verhaftet, was erst im Juni bestätigt wurde. Laut ihrem Anwalt leidet Zhang unter den katastrophalen Haftbedingungen und einem sich rapide verschlechternden Gesundheitszustand – physisch wie psychisch. Seit Monaten soll sie sich im Hungerstreik befinden und per Magensonde zwangsernährt werden.
Chinas Staatsmedien griffen das Thema jetzt nicht auf, wohl weil die Angelegenheit mit einem Verbot belegt ist. Dennoch lassen sich auf Weibo, dem chinesischen Twitter, persönliche Meinungen zu Zhang Zhan finden.
Sie sprach mit ausländischen Medien
„Im derzeitigen politischen Umfeld kann das Gesetz seine Unabhängigkeit nicht behalten. Selbst die Staatsanwaltschaft gibt ihr Urteilsvermögen auf“, schreibt ein Nutzer vage. Ein anderer formuliert direkter: „Ich habe lange versucht, im Netz überhaupt etwas über den Fall Zhang Zhan herauszufinden. Natürlich hat es mich schockiert und geängstigt.“
Doch wird die verurteilte Bürgerjournalistin auch vielfach kritisiert – teilweise persönlich etwa für ihren christlichen Glauben, oder dass sie wirr und konfus spreche. Andere prangern an, dass Zhang voller Vorurteile nach Wuhan gereist sei: „Natürlich hat es Konsequenzen, wenn man in einer Stadt während des Lockdowns herumrennt, Falschinformationen im Inland als auch in ausländischen Medien verbreitet“, meint eine Userin.
Tatsächlich eignet sich die einstige Anwältin, die vor ihrem Aufenthalt in Wuhan keine journalistische Erfahrung hatte, keineswegs zur Stilisierung als „idealistische Reporterin“ in einem autoritären Regime. Ihre 122 Videoclips, die noch immer auf Youtube zu sehen sind, bestehen meist aus kurzen, verwackelten Straßenaufnahmen – profan, unprofessionell und manchmal nur wenige Sekunden lang.
Zwischendurch filmt sie sich in ihrem Hotelzimmer in Selfie-Pose und wettert gegen die Regierung. In einer Aufnahme etwa nennt sie Sars-CoV-2 ein „kommunistisches Virus“. Ein anderes Motiv, das sich durch Zhangs Videos zieht, sind lautstarke Auseinandersetzungen mit Polizisten, die sie immer wieder auffordern, das Filmen zu lassen.
Was letztlich zu ihrer Verhaftung geführt hat, ist wegen der Intransparenz von Chinas Rechtssystem nicht ganz klar. Denn es gab etliche Online-Zeugenberichte von Chinesen, die kritisch berichteten, wie etwa die „Wuhan-Tagebücher“ der Autorin Fang Fang.
Deren Posts wurden zwar auch zensiert, sie selbst aber nicht verhaftet. Zhang wird unter anderem vorgeworfen, ausländischen Medien Interviews gegeben zu haben. Gleichzeitig enthielt ihre Kritik an der Regierung überaus drastische und diffamierende Worte.
Blogger seit Februar verschwunden
Neben Zhang gibt es eine Handvoll weiterer Blogger, die wegen ihrer Berichte aus Wuhan verhaftet wurden. Chen Quishi sitzt seit September im östlichen Qingdao im Gefängnis. Ebenso hatten die Behörden Li Zehua für zwei Monate festgenommen. Der wohl tragischste Fall ist Fang Bin: Seit dem 9. Februar ist er spurlos verschwunden.
Die Videoaufnahmen dieser wenigen Blogger wurden weltweit von Sendern aufgegriffen und von Millionen wissbegierigen Chinesen in sozialen Medien geteilt. Das Verlangen nach ungefilterten Informationen war groß, schließlich hielten viele die offiziellen Verlautbarungen für unglaubwürdig.
Mittlerweile hat Peking das Narrativ des Viruskampfs längst wieder unter Kontrolle. Die Staatsführung hat den „Sieg über Covid“ zur Heldengeschichte unter Führung von Parteichef Xi Jinping erklärt. In Wuhan lässt sich dies in einem Messezentrum besichtigen. Selbstreflexion oder das Eingeständnis von Fehlern gibt es dort nicht, dafür eine Überdosis an Pathos und Nationalstolz. Kritische Stimmen wie die von Zhang passen nicht ins Bild.
Ommer aufmüpfigere Aktionen
Dass Zhang überhaupt wochenlang in Wuhan von den lokalen Behörden toleriert wurde, hat wohl auch damit zu tun, dass sie vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit generierte. Viele ihrer Videos wurden nur von wenigen Tausend Menschen geschaut. Doch mit der Zeit wagte sie immer aufmüpfigere Aktionen – einmal etwa betrat sie eine Polizeistation, um nach dem Verbleib von verschwundenen Bürgerjournalisten zu fragen.
Die Teilnahme an ihrem eigenen Prozess soll sie laut ihrem Anwalt aus Protest verweigert haben. Bei der Urteilsverkündung am Montag hatten sich etliche Fernsehjournalisten vor dem Gerichtsgebäude eingefunden. Sie wurden jedoch am Filmen und Betreten des Gebäudes gehindert, auch europäischen Diplomaten wurde der Einlass verweigert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund