Hafenprojekt an der Nordsee vor Pleite: Der Geisterhafen
Der Jadeweserport in Wilhelmshaven droht zur Investitionsruine zu verkommen. Nur zwei Schiffe pro Woche legen hier an.
WILHELMSHAVEN taz | Schnurgerade. Ein klitzekleines buntgeschecktes Rechteck schleicht über den Horizont. „Da, ein Schiff von Maersk, 350 Meter lang“, sagt Mikkel Andersen. Der rechte Zeigefinger des Chefs des Jadeweserports zirkelt nach vorne. Gleichzeitig verzieht der 36-Jährige mit den silbergrauen Strähnen im Haar die Mundwinkel nach unten, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Der hochhausgroße Riesenpott könnte sein Schiff sein – ist es aber nicht.
Das Ungetüm hat gerade bei der Konkurrenz in Bremerhaven abgelegt. Nun schippert es in etwa 15 Kilometern Entfernung an einem der größten Infrastrukturprojekte Europas vorbei – mit rund 10.000 Containern an Bord.
Möwen ohne Ende, aber keine Ladung. Der Jadeweserport in Wilhelmshaven, eine Milliarde Euro teuer und groß wie 500 Fußballfelder, ist ein Geisterhafen. Die neue Autobahnzufahrt endet 100 Meter vor den Hafentoren, 16 Gleise wurden hier verlegt, acht der größten Containerbrücken der Welt aus Asien eingeschifft. Aber: Der Mega-Hafen ist eine Mega-Pleite.
Es gab jede Menge Verzögerungen bis zur Einweihungsparty des Tiefwasserhafens am 21. September 2012. Doch am Samstag wollte niemand das Einjährige feiern. Dabei hatten Politiker zuvor ständig von „Jahrhundertprojekt“ oder „Jobwunder“ fabuliert.
Zwischen den größten Häfen der Welt fahren Containerschiffe im Liniendienst - und die Frachter werden immer riesiger. Im Juni lief bei der Daewoo-Werft im südkoreanischen Okpo die "Mærsk McKinney" vom Stapel, das mit 430 Metern Länge und 16,5 Metern Tiefgang derzeit größte Containerschiff der Welt. Es fasst 18.000 Standardcontainer, die Frachteinheit der Weltmeere.
Standardcontainer (TEU) sind 6,10 Meter lang, 2,4 Meter breit und 2,60 Meter hoch. An den zehn größten Containerhäfen der Welt werden über 163 Millionen pro Jahr abgewickelt. (ksc)
Die geografische Lage des Hafens ist für Riesen-Containerpötte aus Übersee ja wirklich günstig: Der Weg von der Nordsee durch die Elbe in den Hamburger Hafen ist 78 Seemeilen lang, die Strecke nach Wilhelmshaven nur 23 Meilen (siehe Grafik). Und: Frachter mit bis zu 16,5 Metern Tiefgang können den Jadeweserport anlaufen. Derart große Gefährte könnten die Elbe selbst dann nicht passieren, wenn der Fluss wie geplant vertieft würde.
Mit Jadeschlick aufgespült
Doch das mit Jadeschlick aufgespülte Hafengelände gleicht einem verödeten Riesenparkplatz am Meer. Zwei Schiffe pro Woche legen an der 1,7 Kilometer langen Hafenkaje an. Im ersten Jahr wurden im Jadeweserport nicht mal 64.000 Container umgeschlagen – ein Zehntel der erwarteten Menge. Erst bei 2,7 Millionen wäre der Hafen ausgelastet.
Das Projekt rangiert also in der Debakel-Liga öffentlicher Bauprojekte ungefähr auf Augenhöhe mit dem Berliner Airport, dem Bahnhofsvorhaben Stuttgart 21 oder der Hamburger Elbphilharmonie. Betriebsrat Volker Göhlich beschreibt das Problem so: „Die Prognosen waren gut, die Realität ist aber anders.“
Schuld ist im Grunde die Exportweltmeisterei. Deutschland mischt da immer weit vorne mit. In der Planungsphase in den neunziger und nuller Jahren sah alles so lukrativ aus. Der Asienhandel boomte. Das wurde einfach hochgerechnet. Schwups erschienen die 600 Millionen Euro, die die Länder Bremen und Niedersachsen in die Hafeninfrastruktur steckten, nicht mehr viel Geld.
Das Ergebnis: Der Jadeweserport, eine 360 Hektar große Fläche für Terminals, Logistik, Industrie und Gewerbe, ist derzeit eine Art Steinwüste am Wattenmeer. Als Hafenbetreiber, der die Schiffe abfertigt, bewarb sich die Firma Eurogate. Teilweise ist sie in der Hand des Landes Bremen. Ihre Investitionen: ebenfalls gut 300 Millionen Euro.
Doch dann kamen der Zusammenbruch der Lehman-Bank, die Eurokrise. Seitdem wackelt der Welthandel. Das spüren große europäische Häfen wie Hamburg und Rotterdam, aber auch der niedersächsische Newcomer. „Seit 1990 gab es jährlich durchschnittlich 9 Prozent Wachstum beim Containerumschlag, seit 2008 sind es nur noch knapp 2 Prozent“, sagt Hafenchef Andersen. Und macht in Optimismus – was auch sonst: „Ich bin sicher, dass ich bald alle Mitarbeiter brauche.“
Nicht ganz so zuversichtlich ist der Betriebsrat: „Wenn Sie Glück haben, fährt hier ab und zu ein Ausflugsdampfer vorbei“, sagt Volker Göhlich. Und: „In Hamburg sitzen die großen Speditionen und Reedereien mit ihren Europazentralen, die Japaner, die Chinesen – wieso sollen die nach Wilhelmshaven umziehen?“
Der Mittvierziger mit dem Strubbelhaar und den vielen Ohrringen ist einer der 400 Mitarbeiter, die für die menschliche Tragödie des Hafendesasters stehen. Viele der Containerchecker, Decksleute und Kranfahrer wurden extra für den Hafen der Superlative umgeschult, darunter Langzeitarbeitslose. Davon gibt es in der siechen Region um Wilhelmshaven viele. Göhlich war Lagerist in der Gartenabteilung eines Supermarkts – bis dieser verkauft wurde. Jetzt ist er seit März in Kurzarbeit, wie 330 seiner Kollegen.
Ganz schön viel Freizeit
Das zermürbt. Auf monatlich drei bis vier Schichten kommt André G., der nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen will. Der 42-Jährige hat früher in der Kurierbranche gearbeitet, dann zwei Jahre zur Fachkraft für Hafenlogistik umgeschult. „Jetzt wird das immer zäher – wie so’n Kaugummi“, sagt G.
Er ist Straddle-Carry-Fahrer, bugsiert also die Container mit krakenartigen Gefährten huckepack auf dem Gelände herum – wenn denn welche da sind. Immerhin stockt Eurogate das Kurzarbeitergeld auf. „Ganz schön viel Freizeit“, sagt er, „aber das Geld ist in Ordnung.“
Trübe sieht es auch in der nigelnagelneuen „Logistikzone“ des Jadeweserports aus: Dort hat sich bislang erst eine Firma angesiedelt – Nordfrost baute ein 45 Millionen Euro teures Kühlhaus. Aber es läuft nicht gut. Konzernchef Horst Bartels droht seit langem mit einer Klage, weil er mangels Schiffen seine Waren, Obst und Gemüse, ständig per Laster nach Wilhelmshaven bringen muss. Andere Gerichtsverfahren laufen bereits: So zoffen sich Eurogate und das Land Niedersachsen um die Höhe der Hafengebühren.
Das Absurde: Trotz des Schlamassels ist inzwischen eigentlich niemand mehr gegen den Hafen. Jahrelang hatten Anwohner, Naturschützer und die Opposition im Landtag in Hannover gegen das Projekt getrommelt. Mal ging es um den Zuschlag für die Baufirma Hochtief, mal um Risse in Spundwänden. Dann um die Rohrdommeln und die Eingriffe in die Strömungsverhältnisse im Jadebusen, ein Schutzgebiet von europäischem Rang.
Konkurrenz durch die Elbvertiefung
„Wir können ja nichts mehr ändern“, sagt Beatrice Claus, Naturschutzexpertin beim WWF. Ihre Sorge gilt nun Hamburg. Die Hansestädter waren einst am Hafenprojekt beteiligt. 2001 stieg der frisch gekürte CDU-Bürgermeister Ole von Beust aus.
Nun gibt es eine teure und ebenso wenig umweltverträgliche Konkurrenzveranstaltung zum Jadeweserport: die Elbvertiefung. Schon heute können die richtig großen Containerpötte den Hamburger Hafen nicht mehr voll beladen anlaufen. Doch die Schiffe, gebaut auf Werften in Südkorea, werden immer gigantischer. Für solche Kolosse sollen die Elbe und auch die Außenweser ausgebaggert werden. Geschätzte Kosten: rund 600 Millionen Euro.
Und wieder gibt es jede Menge Umweltbedenken, Verbände klagten bis vor das Bundesverwaltungsgericht. „Wir brauchen nicht drei Tiefwasserstandorte in Deutschland“, sagt Claus. Ihr Vorschlag: Die großen Schiffe sollen in Wilhelmshaven statt in Hamburg abladen, die Fracht dann vom Jadebusen in den Ostseeraum oder Richtung Ruhrgebiet verschifft oder per Zug gebracht werden.
Doch die Hamburger machen nicht mit. Sie haben Angst um rund 150.000 Jobs, die der Hafen angeblich sichert. Ihr Argument: Wenn die Frachtschiffe nicht mehr über die Elbe nach Deutschland kommen, landen sie nicht etwa in Wilhelmshaven, sondern bei der Hafenkonkurrenz in Rotterdam oder Antwerpen. Im Mai wurde 40 Kilometer von Rotterdam entfernt die rund 2.000 Hektar große Hafenerweiterung „Maasvlakte II“ in Betrieb genommen – sie ist mehr als fünfmal so groß wie der Jadeweserport.
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