Hafenexplosion im Libanon: Juristisches Limbo geht weiter
Ein korrupter Generalstaatsanwalt hat alle Verdächtigen im Fall der Explosion von 2020 freigelassen. In Beirut protestieren Angehörige der Opfer.
Im neusten Akt diese Woche hat der Ermittlungsrichter Tarek Bitar seine Ermittlungen nach einem Jahr des Stillstands wieder aufgenommen – und wurde durch einen Generalstaatsanwalt gleich sabotiert. Bitar hatte Anfang der Woche Anklage gegen acht Verdächtige erhoben – auch gegen Generalstaatsanwalt Ghassan Oweidat. Der wehrte sich und ließ alle 17 Verdächtigen aus dem Gefängnis frei. Außerdem schickte er einen Beamten zu Bitars Haus, um ihn vor Gericht zu laden, weil er ihn des „Verbrechens der Machtübernahme“ beschuldigte.
Der 49-jährige Bitar gilt bei den Angehörigen der Explosionsopfer als vertrauenswürdig. Der Untersuchungsrichter hat unter anderem den ehemaligen Premierminister Diab, den ehemaligen Innenminister Nouhad Machnouk, den früheren Finanzminister Ali Hassan Khalil und den Ex-Minister für öffentliche Arbeiten Ghazi Zaiter wegen Fahrlässigkeit mit Todesfolge angeklagt. Die Beamten hätten es versäumt, die Gefahr des potenziellen Sprengstoffs zu kommunizieren, angemessen zu untersuchen und zu entfernen.
Die schiitische Partei und Miliz Hisbollah bezichtigt den Ermittler, parteiisch zu sein. Deshalb klagten Khalil und Zeaiter, beide mächtige Männer in einer Schwesterpartei der Hisbollah, gegen den Richter.
Fahrlässige Tötung, Brandstiftung, Sabotage
Die Untersuchung lag brach, da ein Richter jenes Gerichts zurücktrat, das über mehrere solcher Beschwerden entscheiden muss. Weil die Behörden nichts unternommen haben, hat Bitar nun seine Arbeit auf eigene Faust wieder aufgenommen. Er soll insgesamt gegen 13 hochrangige Funktionäre ermitteln – wegen fahrlässiger Tötung, Brandstiftung und Sabotage.
Unter ihnen ist Oweidat. Er erhielt im Mai 2019 einen Bericht des Generaldirektors der Staatssicherheit über die Gefahr des Ammoniumnitrats. Seine Schwester ist mit dem angeklagten Zaiter verheiratet. Aus diesem Grund war er von seiner Position als Richter am Kassationsgericht zurückgetreten, ignorierte das nun jedoch, indem er beschloss, alle in der Ermittlungsakte festgenommenen Personen freizulassen – darunter der frühere Hafendirektor Hassan Koraytem und der Generaldirektor der Zollbehörde, Badri Daher.
Gegen diese Entscheidung protestierten die Menschen am Donnerstag vor dem Justizpalast. Sie befürchten, dass Bitar als Ermittler zurücktreten muss und die Ermittlung ohne Ergebnisse eingestellt wird. „Es ist, als würden sie uns immer wieder töten“, sagte Mireille Khoury, die Mutter von Elias Khoury, einem Jugendlichen, der durch die Explosion getötet wurde. „Es gibt keine Gesetze oder Ermittlungen im Libanon. Unsere einzige Hoffnung ist die internationale Gemeinschaft.“
Die Familien der Opfer der Explosion haben eine Klage im US-amerikanischen Texas eingereicht, unterstützt von der Stiftung Accountability Now. Sie klagen gegen das Unternehmen, das die tödliche Fracht in den Libanon gebracht hat – und versuchen so, auch die libanesischen Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.
Sicherheits-Chef setzt sich in USA ab
Oppositionelle Abgeordnete versuchten während der Proteste draußen, im Justizpalast selbst mit dem geschäftsführenden Justizminister Henri Chury zu sprechen. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten mit dessen Wachleuten. Sie sollen versucht haben, den Abgeordneten ihre Telefone zu entreißen, als sie das Gespräch filmten. Einige Abgeordnete berichteten, sie seien angegriffen worden, und forderten den Rücktritt des Ministers.
Der Oberste Justizrat des Landes wollte am Donnerstagnachmittag zusammenkommen, um über die Entwicklungen bei der Untersuchung der Explosion zu beraten. Das Treffen wurde jedoch aufgrund der Proteste abgesagt.
Währenddessen verbreitete sich in den sozialen Medien das Bild von Mohammad Ziad al-Owf. Der amerikanische Staatsangehörige saß in einem Flieger auf dem Weg in die USA, sein Anwalt sagte der Nachrichtenagentur AFP, sein Mandant werde nicht in den Libanon zurückkehren. Owf ist der Leiter der Sicherheitsabteilung des Beiruter Hafens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja