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Häusliche Gewalt in ArgentinienAngst vor den Tätern vor der Tür

Wegen der Coronapandemie werden in Argentinien Gefangene aus überfüllten Knästen freigelassen. Darunter auch verurteilte Gewalt- und Sexualtäter.

Schon vor Corona ein Thema: Demo gegen Gewalt gegen Frauen in Buenos Aires am 9. März Foto: reuters

Buenos Aires taz | In Argentinien geht die Angst um, die Peiniger der Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt könnten plötzlich vor der Tür stehen. Wegen der Covid-19-Pandemie haben einige Richter*innen damit begonnen, Insassen überfüllter Strafanstalten in den Hausarrest zu überstellen oder ganz freizulassen – darunter auch verurteilte Gewalt- und Sexualstraftäter.

Furcht und Zorn kommen aus der gesamten Bevölkerung und richten sich vor allem gegen die Regierung. „Wir haben ein ernstes Problem und viele Frauen sind besorgt, aber es liegt in der Verantwortung der Justiz“, wehrt sich Frauenministerin Elizabeth Gómez Alcorta.

Die Lage ist ohnehin angespannt. In den ersten vier Wochen der Quarantäne stieg die Zahl der Anrufe beim staatlichen Hilfstelefon für geschlechtsspezifische Gewalt um 40 Prozent, verglichen mit sogenannten normalen Zeiten.

Von den knapp über 10.000 Anrufen unter der Nummer 114 bezogen sich 7.530 auf Vorfälle mit körperlicher Gewaltanwendung. Bei über 90 Prozent dieser Fälle wurde der frühere oder derzeitige Partner als Gewalttäter angeben. „Die Wohnung ist kein sicherer Ort“, formuliert Frauenministerin Gómez Alcorta.

Geheimcode „Rote Maske“ als Hilferuf gegen Gewalt

Zwar sei die Zahl der Frauenmorde seit Verhängung der Quarantäne im Verhältnis zum Vorjahr gleich geblieben, „aber wir haben es auch nicht geschafft, sie zu senken“, so Gómez Alcorta. 80 Prozent der Frauenmorde geschehen in Wohnungen, zumeist in der des Opfers, so die Ministerin. 26 Frauenmorde wurden seit Verhängung der Quarantäne von der Nachrichtenagentur Telam gemeldet, ähnlich der Zahl im Vorjahreszeitraum.

Häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen waren schon vor der Pandemie ein großes Problem. „Wegen der Quarantäne haben wir jetzt einen weiteren Kanal geöffnet, durch den Betroffene auf sich aufmerksam machen können“, so Gómez Alcorta. Zusammen mit der Apothekenkammer wurde die Schutzaktion barbijo rojo eingerichtet.

„Wenn eine Frau in meine Apotheke kommt und eine rote Schutzmaske verlangt, ist das ein Hilferuf“, erklärte Graciela Bailo, die ihre Apotheke im Stadtteil Caballito von Buenos Aires betreibt. „Rote Schutzmaske heißt, diese Person ist wegen geschlechtsspezifischer Gewalt sofort mit der 114 zu verbinden“, sagte die Apothekerin.

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