Häusliche Gewalt im Profisport: Gewaltige Sportler
Jérôme Boateng ist nicht der einzige Profi, der seine Partnerin geschlagen hat. Was Gerichte ahnden, bleibt in der Sportwelt oft ohne Folgen.
Für den Richter am Landgericht München gab es keinen Zweifel. Am Mittwochabend verkündete er sein Urteil im Berufungsprozess gegen Jérôme Boateng. Der Fußballprofi, der mit der deutschen Nationalmannschaft 2014 den Weltmeistertitel gewonnen hat, wurde zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 1,2 Millionen Euro verurteilt. Letzteres entspricht 120 Tagessätzen zu je 10.000 Euro.
Sollte das Urteil Rechtskraft erlangen, gilt Boateng wegen Körperverletzung und Beleidigung als vorbestraft. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Fußballer seine ehemalige Lebenspartnerin während eines Karibikurlaubs verletzt und beleidigt hat. Der Prozess lieferte Einblicke in eine finstere Welt, voller Abhängigkeiten und Gewalt, in der Profisportler auch mit der Macht ihrer Prominenz gegen Frauen agieren.
Eine Recherche der Journalismusplattform correctiv.org und der Süddeutschen Zeitung hatte Ende Oktober gezeigt, dass der Fall Boateng kein Solitär in der archaischen Welt des Profifußballs ist. Die Recherche hatte auch deutlich gemacht, dass die Klubs und Verbände sich mit dem Thema häusliche Gewalt am liebsten gar nicht befassen wollen.
Bei Olympique Lyon, dem Klub bei dem Jérôme Boateng seit September 2021 unter Vertrag steht, waren die Vorwürfe gegen den Spieler nach dessen erstinstanzlicher Verurteilung nie ein großes Thema. Als sein Wechsel im Sommer 2021 verhandelt wurde, war auch Boatengs Rolle im Zusammenhang mit dem Suizid seiner zwischenzeitlichen Freundin Kasia Lenhardt schon bekannt. Die hatte Boateng kurz zuvor via Bild-Zeitung diffamiert, indem er behauptet hat, sie wolle seinen Ruf ruinieren und habe ihn erpresst.
Vorbild Boateng
Die weltweiten Schlagzeilen zu diesem Fall haben ihn ein paar lukrative Werbeverträge gekostet. Die Fußballwelt indes wollte sich nicht von ihm lossagen. Noch in der vergangenen Woche sagte Laurent Blanc, der Trainer von Olympique Lyon, er habe mit Boateng überhaupt noch gar nicht über den Prozess gesprochen. Auf die Frage der französischen Sportzeitung l’Equipe danach, betonte er vielmehr die Vorbildrolle des erfahrenen Verteidigers für seine jungen Mitspieler.
Wie schwer sich die Sportwelt im Umgang mit Sportstars tut, denen häusliche Gewalt vorgeworfen wird, zeigt sich längst nicht nur im Fußball. Mitte Oktober ist der ehemalige Radprofi Mario Cipollini von einem Gericht in Lucca wegen häuslicher Gewalt gegen seine Ex-Frau zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Die Vorwürfe sind seit Jahren bekannt. Doch am Ruf des Radstars, der öffentlich immer wieder damit kokettiert, welch unwiderstehlicher Womanizer er sei, hat das nicht kratzen können. Die Radsportwelt lachte munter weiter über den Schönling, der nicht müde wurde zu betonen, dass er wohl Pornostar geworden wäre, wenn es mit dem Radsport nicht geklappt hätte.
Die Zuneigung der Fans war auch dem georgischen Tennisprofi Nikoloz Basilashvili sicher, als er vor zwei Wochen einen Gerichtssaal in Tbilisi betrat. Auch Gerichtsangestellte baten um eine Foto mit dem georgischen Sportstar. Kurz darauf wurde er vom Vorwurf der häuslichen Gewalt, die seine Ex-Frau gegen ihn erhoben hatte, freigesprochen. Wie das News-Portal Open Caucasus Media berichtet, habe sich die Richterin bei der Urteilsbegründung gewundert, warum die Frau Basilashvili nicht früher angezeigt hat und angemerkt, dass die Bilder, die eine Verletzung an ihren Arm zeigten, auch davon stammen könnten, dass sie ihr Kind falsch gehalten habe. Auch wegen solcher Begründungen möchte die Anklage das Urteil anfechten.
Während der Dauer des Prozesses spielte der Georgier munter weiter auf der Profitour des Spielerverbands ATP. An den meisten Verhandlungen nahm er per Videoschalte teil.
In einem anderen Fall ist es noch zu gar kleiner Verhandlung gekommen und so konnte auch Alexander Zverev bis zu seiner Verletzung, die er sich bei den French Open im Frühjahr zugezogen hat, von Turnier zu Turnier reisen. Auch dem deutschen Olympiasieger wird häusliche Gewalt vorgeworfen. Zverev streitet die heftigen Vorwürfe seiner ehemaligen Freundin ab.
Immerhin hat sich die ATP dazu durchgerungen, den Fall zu untersuchen. Vor über einem Jahr war das. Was daraus geworden ist? Die Untersuchungen dauern an, teilte die ATP vor vier Wochen mit. Einem Comeback von Zverev im Tenniszirkus nach seiner Verletzung steht demnach nichts im Weg. Anfang Dezember möchte er wieder spielen – bei einem Einladungsturnier in Saudi-Arabien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter