Häufiger Bleiberecht gewährt: Härtefallkommission zeigt Erbarmen

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat den Jahresbericht der Härtefallkommission vorgestellt. Sie gewährte öfter ein Bleiberecht.

Hat für einen Paradigmenwechsel in der Asylpolitik gesorgt: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). Bild: dpa

HAMBURG taz | Friedlich und recht kurz war der Protest. Nur zwei Stunden lang blockierten laut Flüchtlingsrat rund 65 Unterstützer das Eingangstor und das Treppenhaus einer Flüchtlingsunterkunft in Burgdorf bei Hannover – dann war die Abschiebung eines sudanesischen Flüchtlings verhindert. Morgens um sechs Uhr hatte der 29-Jährige Abdelgani H. in sein Erstaufnahmeland Italien abgeschoben werden sollen.

Olaf Strübing vom Flüchtlingsrat war bei der Aktion dabei und hat den Flüchtling getroffen. „Es geht ihm sehr schlecht“, sagt er. H. habe psychische Probleme, sei traumatisiert. Die bevorstehende Abschiebung habe dem Flüchtling weiter zugesetzt. Umso größer war die Erleichterung, als die Polizei unverrichteter Dinge wieder abzog.

Den Zeitpunkt der geplanten Abschiebung kannten der Sudanese und seine Unterstützer schon im Vorfeld. Die frühe Information ist Teil des Paradigmenwechsels in der Asylpolitik von Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). Überraschende Nachtabschiebungen sollen der Vergangenheit angehören und die Belastung für die Flüchtlinge so gering wie möglich gehalten werden. Die innenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Angelika Jahns, sieht die frühzeitige Ankündigung kritisch. „Irgendwann wird man keine Abschiebungen mehr durchführen können.“

Teil des Paradigmenwechsels, den Pistorius diverse Male angekündigt hatte, sollte auch ein erweiterter Spielraum für die Kommission sein. Zahlen zur Arbeit der Härtefallkommission stellte Pistorius am Montag vor.

Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wurde, können ihren Fall in Niedersachsen von der Härtefallkommission prüfen lassen.

Liegen dringende persönliche oder humanitäre Gründe vor, die gegen eine Ausreise sprechen, beispielsweise wenn Menschen schon seit vielen Jahren integriert sind, verweist die Kommission die Entscheidung über die Abschiebung an das Innenministerium.

Im September 2013 wurde die Kommission reformiert. Nun sind auch ein Arzt mit psychotherapeutischer Erfahrung und der Flüchtlingsrat Niedersachsen vertreten.

Nicht zuständig ist die niedersächsische Härtefallkommission für Flüchtlinge, die nach dem Dublin-Verfahren in ihr europäisches Erstaufnahmeland abgeschoben werden.

Die Kommission war im September 2013 reformiert worden. Flüchtlinge werden seitdem mehrfach über die Möglichkeit informiert, ihren Fall bei der Härtefallkommission vorzustellen und so eine Abschiebung zu verhindern. Laut dem nun vorgestellten Jahresbericht hat sich die Zahl der als Härtefall anerkannten Flüchtlinge in Niedersachsen im vergangenen Jahr fast verdoppelt.

„Positive Tendenz in der Flüchtlingspolitik“

200 Asylbewerber, die nach Ansicht der Ausländerbehörden abgeschoben werden sollten, können aus humanitären Gründen in Niedersachsen bleiben. Zwei Drittel der anerkannten Härtefälle betreffen Kinder. Knapp die Hälfte der Härtefallersuchen kam zuletzt von Menschen aus Serbien, dem Kosovo und Mazedonien.

Im Jahr 2012 – vor der Reform – wurden 103 Flüchtlinge als Härtefälle anerkannt. Menschen, die schon mehrere Jahre integriert seien, hätten nun eine gute Chance, ihre Abschiebung zu verhindern, sagt eine Sprecherin des Innenministeriums. Doch nicht nur die verbesserte Information, auch die steigenden Flüchtlingszahlen und die damit ebenfalls steigende Anzahl der Anfragen erklären die höhere Zahl der positiven Entscheidungen. Von September 2013 bis August 2014 seien 804 Härtefall-Eingaben bei der Geschäftsstelle eingegangen. Im Jahr 2012 waren es insgesamt 437 Eingaben.

Vor der Entscheidung durch die Kommission findet eine Vorüberprüfung statt, in der entschieden wird, ob der Fall überhaupt in der Kommission beraten werden darf. So wird nicht über die Abschiebung von Flüchtlingen, die unter die Dublin-Verordnung fallen, entschieden. Hier wurden im SPD-geführten Ministerium prozentual weniger Fälle in die Kommission weitergeleitet als unter Pistorius’ Vorgänger Uwe Schünemann (CDU). Die Fälle, die beraten wurden, beschied die Kommission nach der Reform im September 2013 zu 87,7 Prozent positiv – zuvor waren es 60 Prozent.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen lobt die „positive Tendenz in der Flüchtlingspolitik“. Es gebe trotz aller Bemühungen aber Verbesserungsmöglichkeiten, sagt Strübing. Wenn jemand hier ein Privat- und Familienleben habe, müsse der eine Aufenthaltserlaubnis bekommen.

Das sieht Pistorius ähnlich und unterstützt einen Vorstoß von Bundesinnenminister Thomas De Maizière (CDU) für ein dauerhaftes Bleiberecht für Asylbewerber, die ihren Lebensunterhalt weitgehend selbst sichern und nicht straffällig geworden sind. „Wer will, dass sich Menschen hier integrieren, der muss ihnen auch sagen, dass lohnt sich für dich und für unsere Gesellschaft“, sagt Pistorius.

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