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Gynäkologin zu §219a-Entwurf„Wo bleibt die Informationsfreiheit?“

Nora Szász hält den Entwurf der Bundesregierung für unzureichend: Ihren Patientinnen würden weiterhin wichtige medizinische Details vorenthalten.

Lange wurde gekämpft – noch ist das Ziel nicht erreicht Foto: imago/Carsten Thesing
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Szász, was halten Sie vom Regierungsentwurf zur Änderung des Paragrafen 219a?

Nora Szász: Ich bin überrascht, dass uns angeklagten ÄrztInnen schon zum Erfolg gratuliert wird. Wir freuen uns zwar darüber, dass sich etwas bewegt. Aber das Gesetz ist noch nicht in Kraft. So, wie es jetzt formuliert ist, bleibt der Paragraf im Strafgesetzbuch enthalten. Allein diese Tatsache ist ein Problem. Der Paragraf stigmatisiert uns, er tabuisiert den Schwangerschaftsabbruch. Er spaltet uns ÄrztInnen in jene, die Abbrüche vornehmen, und die, die es nicht tun.

Künftig sollen ÄrztInnen darüber informieren dürfen, dass sie Abbrüche vornehmen – mehr aber auch nicht.

Die Frage ist schon, wo die Informationsfreiheit bleibt. Ich bin gerade in meiner Praxis. Eine Patientin fragte mich eben, wieso sie künftig auf Listen zugreifen soll – ich bin doch diejenige, die sie informieren sollte; ich sollte doch ihre Ansprechpartnerin von vornherein sein! Soll ich Frauen künftig tatsächlich nur im persönlichen Gespräch hinter verschlossenen Türen informieren dürfen? Eine gute Lösung kann ich darin nicht sehen.

Sie informieren auf Ihrer Website darüber, dass Sie die medikamentöse Methode mit Mifegyne anwenden, was weiter verboten bleiben soll.

Meine Kollegin und ich haben nicht vor, die Informationen von der Seite zu nehmen. Wir halten das für wichtig und sinnvoll und wollen uns vorbehalten, eher noch ausführlicher zu informieren als weniger. Wir halten es für ein Grundrecht, dass wir frei über unsere Arbeit informieren – und wir möchten darin unabhängig sein von staatlichen Stellen. Ich möchte nicht, dass es jetzt heißt, die ist undankbar. Aber dass ich schreibe: „Der Schwangerschaftsabbruch findet statt“, ist für mich keine tragfähige Lösung.

Im Interview: Nora Szász

Nora Szász, 56, ist Gynäkologin in Kassel. Sie und ihre Kollegin informieren im Netz darüber, dass in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche möglich sind.

Was wäre eine?

Ich möchte die Frauen mit den medizinischen Details versorgen, die ich für nötig halte. So ist es bei jedem anderen medizinischen Eingriff auch: Jeder Mensch möchte wissen, wie er sich vorbereiten kann, was auf ihn zukommt. Der Gesetzentwurf transportiert ein Frauenbild, das sagt, uns muss vorenthalten werden, was eigentlich wichtig für uns ist, weil wir keine verantwortungsvollen Entscheidungen treffen können.

Ich möchte die Frauen mit den medizinischen Details versorgen, die ich für nötig halte.

Ihr Prozess hätte am vergangenen Montag stattfinden sollen, ist aber ausgesetzt. Wie geht es für Sie weiter?

Wir sind angeklagt und im Gegensatz zu Kristina Hänel noch nicht verurteilt. Der Richter wartet jetzt offenbar die politische Entscheidung ab. Dann sehen wir weiter.

Wird nach neuer Rechtslage geurteilt?

Das weiß ich nicht. Aber unser Prozess wird der Prüfstein sein, inwiefern wir straffrei über unsere Arbeit informieren dürfen, wie tragfähig das neue Gesetz ist. Zufrieden bin ich erst, wenn Frauen keine Schwierigkeiten mehr haben, an die für sie relevanten Informationen zu kommen – und wenn die Verfahren gegen uns ÄrztInnen eingestellt werden. Es ist ja auch unklar, wie es für Kristina Hänel weitergeht. Ich fände richtig, wenn sie den Weg zum Bundesverfassungsgericht weitergeht. Dass die Möglichkeit bestehen bleibt, dass AbtreibungsgegnerInnen sie oder uns verklagen, scheint mir doch im Widerspruch zur Freiheit der Berufsausübung zu stehen.

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13 Kommentare

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  • Nach wie vor ist nicht einleuchtend dargelegt, warum der Bauch den Frauen erst gehört, wenn das Kind im Bauch ist?!



    Es gibt so viele Optionen der Verhütung, die verantwortungsvolle, erwachsene Menschen nutzen können.



    Und auch an Adoptionsinteressenten hat es nie bemängelt!

    • @Achtsamer:

      1. Der Anspruch ist ein anderer. Gebährfähigen Personen sollen in möglichst allen Situationen über ihren Körper bestimmen können. Allerdings wird ihnen das durch Staat, vielen Konservativen usw. bezüglich Schwangerschaft verwehrt.



      2. Der Punkt ist doch, dass es keine 100%ige Verhütungsmethode gibt und verschiedene Umstände, wie auch Verg"§%$Ä'§ zu einer ungewollten Schwangerschaft führen können. Schwangerschaftsabbrüche sind jedenfalls dann nötig, wenn gebährfähige Personen kein Kind austragen möchten. Da ist Adoption keine Option.



      3. An sich sollte die Verantwortung für Verhütung nicht bei gebährfähigen Personen allein liegen. Wer keine Kinder haben möchte und fruchtbare Spermien produzieren kann, die*der kann auch Vasektomie durchführen lassen.

  • Es ist also unzumutbar Patientinnen in einem persönlichen Gespräch zu beraten. Gut zu wissen, wenn es um die Arztwahl geht. Verantwortungsvolle Entscheidungen sind nur durch die Trefferquote bei Google möglich? Das wirkt alles sehr konstruiert.

    • @finches:

      Wirkt es das? Sie sollten bedenken, dass hier eine Frau und Gynakologin interviewt wird, und davon ausgegangen werden muss, dass ihre Position/Darlegungen sich auch aus ihre Erfahrungen mit Patient*innen und der Perspektive als kriminalisierte Betroffene speist.

      • @Uranus:

        ...und weil Sie Frau und Gynäkologin ist, muss das, was sie sagt, auch keinen Sinn ergeben, und sie ist darüber hinaus per se immun dagegen, ihre Werbemaßnahmen zum wohlmeinenden Dienst an der Menschheit zu verklären (wie das andere Leute, die von ihrer Arbeit und der Nachfrgage danach leben, auch gerne mal tun)?

        Das zu hinterfragen, sollte auch besser als mit einem Verweis auf Geschlecht und halbgöttliche Berufswahl zu beantworten sein. Und die ärztliche Beratungspflicht bezieht sich GANZ BEWUSST auf die persönliche und natürlich vertrauliche Beratung des individuellen Patienten "hinter verschlossenen Türen", nicht auf einen öffentlichen Lehrauftrag.

        • @Normalo:

          Dass sie bzw. ihre Aussagen nicht hinterfragt werden können, will ich damit nicht sagen. Ich wollte daraufhin weisen, dass sie (mehr) Wissen und Erfahrung hat, worauf sie eine Position bzw. Darstellungen aufbauen kann. Darüberhinaus ist sie ja nicht die einzige Ärzt*in, die die Schwangerschaftsabbruchbedingungen so kritisiert. Ihr (Normalo) Abheben auf "Werbemaßnahmen" verdreht die Tatsachen. Derzeit ist es so, dass Ärzt*innen bereits dafür angeklagt werden können, weil sie die Möglichkeit bekanntgeben, bei ihnen einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. Dass dafür nicht das alleinige "ob" als Information sondern weitere Informationen über die verschiedenen Methoden und jeweiligen Bedingungen, erforderlich sind, lese ich aus der Debatte um § 219a und Aussagen von Ärtz*innen wie Frau Szász heraus. Zumal die Bedingungen, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, in Deutschland flächendeckend nicht gut sind. Siehe auch:



          "Immer weniger Ärzt*innen. Der lange Weg zur Abtreibung



          Die Lage von ungewollt Schwangeren ist in einigen Regionen Deutschlands katastrophal. Zu wenig Ärzt*innen machen Abbrüche."



          taz.de/!5487589/

  • Emanzipation mit Konsequenz: Abschaffung von §§218 und 219! Gegen die Kriminalisierung und Entrechtung von gebährfähigen Personen!

    • @Uranus:

      *§§ 218-219b



      Die Vorschläge der Jusos sind im Vergleich zur SPD erstaunlich progressiv ;)

  • Allzu genaue Informationen zur Abtreibung würden die Frauen, die sich zu diesem schweren Schritt entschlossen haben, nur abschrecken und könnten vielleicht sogar noch ihre Meinung ändern, den Embryo abtreiben zu lassen.

    Auch wenn die Abtreibung in Deutschland nur bis zum dritten Schwangerschaftsmonat erlaubt ist, also nicht bis zum sechsten, wie Teilen der USA, oder bis zur Geburt, wie in New York, sind die Bilder doch nicht gerade schön.

    Beschreibungen davon, wie dem Embryo beim Herausreissen mit der Saugglocke das Genick gebrochen oder gar der Kopf abgerissen und der verbliebene Rest des Körpers ausgeschabt wird, wobei dem Torso auch noch Ärmchen und Beinchen abgetrennt werden könnten, sollten besser unterbleiben und auch, dass der Embryo die Tortur bei Spätabtreibungen überleben könnte.

    US-amerikanische Abtreibungsgegner haben Fotos dazu ins Netz gestellt, die in der Google-Bildersuche leider nur allzu leicht gefunden werden können. Diese Propaganda schränkt die Freiheit der Frau, selbst über ihren Körper zu bestimmen, empfindlich ein. Wir brauchen diese Information nicht!

    • @Mareike:

      Ja, es ist schon bezeichnend, wie die Realität verschwiegen wird.



      Eine Abtreibung ist - vorsichtigst formuliert - die Tötung eines werdenden Menschen. Das ist kein Zellhaufen oder eine krankhafte Wucherung, die da entfernt wird.

    • @Mareike:

      Diese Bilder sind so oder so schon im Netz. Niemand braucht sie anzusehen. Es gibt auch medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche, die eine Abstossung des Embryos bzw. der Gebärmutterschleimhaut verursachen. Das ist sicher auch nicht schön anzusehen. Aber einfach zugängliche Informationen, was einem bei einem Schwangerschaftsabbruch erwartet und wie er durchgeführt wird, können doch nicht kriminalisiert werden. Das ist der Punkt.



      Zudem ist es auch nicht schön zu sehen, wenn Mütter zu Mörderinnen werden und die ungewollten Babies in Kühltruhen oder Blumenkästen gefunden werden, der Partner immer ungeschoren davon kommt, weil er ja nie etwas mitbekommen hat und die Frau im Gefängnis landet.

      • @ecox lucius:

        Ich stimme Ihnen zu: Man sollte alles tun, damit Babys, bei denen das - aus welchen Gründen auch immer - sinnvoll ist, schon vor der Geburt abgetrieben werden.

        Durch den in Deutschland florierenden Drogenhandel werden immer mehr Crystal- oder Crack-Babys geboren, von denen viele ihr Leben lang drogensüchtig sein werden.

        An Zwangsabtreibungen darf man zwar nicht mal denken, ein sanfter Druck der Behörden würde der drogensüchtigen Mutter und ihrem Kind aber viel Leid ersparen.

  • "Ich möchte die Frauen mit den medizinischen Details versorgen, die ich für nötig halte."



    Sollte ein Arzt nicht vollumfänglich informieren? Das erscheint mir etwas komisch formuliert.

    "Der Gesetzentwurf transportiert ein Frauenbild, das sagt, uns muss vorenthalten werden, was eigentlich wichtig für uns ist, weil wir keine verantwortungsvollen Entscheidungen treffen können."



    Soweit mir bekannt, beeinflussen Menschen jegliche Information. Da beratende Ärzte zumindest Geldinteresse an den Eingriffen haben, sollte zumindest der beratende Arzt den Eingriff nicht durchführen.

    Ansonsten sehr informativer Artikel!