Gute & böse Einwanderer: "Sterbeflüchtlinge sind gute Flüchtlinge"
Anlässlich der Schweizer Volksinitiative „Gegen Massen-Einwanderung“ konzipierte Schauspielerin und Autorin Laura de Weck „Espace Schengen“.
HAMBURG taz |Aus rechten Parolen werden Schlager, aus Gerichtstexten Gedichte: So versucht die in Hamburg lebende Schweizerin Laura de Weck den Rassismus der juristischen, politischen, medialen, aber auch unserer Alltagssprache zu entlarven. In ihrem Stück „Espace Schengen“, das am Donnerstag auf Kampnagel Hamburg-Premiere feiert, seziert sie die unterschiedlichen Begriffe, mit denen in der Schweiz Einwanderer in gute und böse sortiert werden – also in wirtschaftlich nützliche und unnütze.
Anlass der Mischung aus Konzert und Performance, die im September 2013 in Zürich uraufgeführt wurde, war die zwei Monate zuvor initiierte Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP).
Am 9. Februar 2014 stimmten dann 50,3 Prozent der Schweizer für eine Begrenzung der Zuwanderung, vor allem die von sogenannten unqualifizierten Ausländern; gegen die Kampagne hatten sich nicht nur die konservativen und linken Parteien der Schweiz, sondern auch die Wirtschaft- und Wissenschaftsverbände gestellt. Der Erfolg der SVP-Initiative bedeutet die Änderung diverser EU-Verträge, vor allem die Aufhebung der Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und den EU-Staaten.
Ausgrenzung durch Sprache ist kein Witz
"Als das Stück in Zürich uraufgeführt wurde, haben viele Zuschauer es als Überhöhung oder als Satire verstanden", erzählt de Weck. "Mitte Februar haben wir 'Espace Schengen' in Freiburg aufgeführt. Da war den Leuten klar, dass die Ausgrenzung durch Sprache tatsächlich in unseren Köpfen feststeckt und unsere Realität prägt."
Ausländerfeindlichkeit, so beobachtet de Weck, sei in der Schweiz „salonfähiger“ als in Deutschland, ein Rechtsruck aber auch hierzulande zu beobachten. „Es gibt ja durchaus Meinungen, die vertreten, Spanier oder Griechen anders zu behandeln, weil sie der EU weniger wirtschaftlichen Ertrag bringen als zum Beispiel Deutschland.“
In „Espace Schengen“ untersucht sie die Unterscheidung zwischen Wirtschafts- und „richtigen“ Flüchtlingen, zwischen Asylanten und hochqualifizierten Einwanderern, zwischen guten Ausländern – wie den unterstellt fleißigen Chinesen – und schlechten – wie den angeblich zunehmend islamistischen Türken. „Außerdem gibt es bei uns noch die Sterbetouristen, die in die Schweiz gehen, weil Sterbehilfe dort legal ist. Aber auch das sind gute Ausländer, denn die bleiben ja nicht lange.“
Absurde Definition
Die Absurdität und den Zynismus dieser Definitionen führt sie an Texten aus, die sie aus dokumentarischem Material wie Gesetzestexten, Prospekten oder Ausländerstatistiken collagiert hat.
Am kuriosesten findet de Weck dabei den Begriff des Steuerflüchtlings: „Das Wort ’Flüchtling‘ suggeriert ja, dass jemand aus großer Not fliehen muss. Wenn jetzt mehrere deutsche Berühmtheiten sagen, die Politik ist in Deutschland so schlecht zu uns, dass wir keine andere Wahl haben, als unser Geld in die Schweiz zu flüchten, dann finde ich das schon ziemlich merkwürdig.“
Es ist schwierig, gibt die 32-Jährige zu, bei einer solchen Thematik nicht in Erhobener-Zeigefinger-Theater zu verfallen, zumal sie den „Sprachkitsch“ der Linken ebenso kritisiert wie die populistischen Parolen der Rechten: „Das seit Jahrzehnten verwendete Vokabular von der Menschenwürde berührt uns nicht mehr“, sagt de Weck. „Wir sind so sehr daran gewöhnt, zu hören oder auf Plakaten zu sehen, dass Menschen hungern, dass uns das nicht mehr antreibt.“
Musik als Mittel gegen die Moralität
Zusammen mit ihrem Team, den SchauspielerInnen Anna König und Christian Bayer, dem Sänger Bill Saliou sowie dem Musiker und Golden-Pudel-Club-Geschäftsführer Viktor Marek, setzt sie auf eine „Durcheinanderwirbelung“, so de Weck, „bis man hoffentlich nicht mehr über Begriffe, sondern wieder über Menschen nachdenkt. Musik ist dabei ein gutes Mittel, um nicht in die Moralität zu verschwinden. Man kann viele Dinge über einen Beat besser vermitteln als über Text oder Spiel.“ Mareks musikalischer Eklektizismus dürfte dazu entscheidend beitragen.
Gegen die Schweizer Abstimmung hatte sich Laura de Weck zusammen mit ihrer Schwester, der Völkerrechtlerin Fanny de Weck, eingesetzt, unter anderem mit dem Videoclip „1, 2 Discobei“: Darin werden alle Einwanderer aus einem Club herauskomplimentiert. Die Konsequenzen der Initiative sieht sie mit großer Sorge.
Die Reaktionen der Deutschen wiederum hat sie als gespalten erlebt: „Die meisten sagen: Ihr dreht doch komplett durch. Damit kann ich gut leben“, erzählt sie. „Andererseits bekomme ich auch immer wieder zu hören: Das klingt doch gar nicht so schlimm, das ist doch mutig von den Schweizern. Dabei ist gar nicht abzusehen, was die Abstimmung für Folgen haben wird, weder für die Eingewanderten noch für die Schweizer selbst.“
"Espace Schengen": 6. bis 8. März, Hamburg, Kampnagel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen