Gutachten zu Freihandelsabkommen: Völkerrechtler gegen TTIP und Ceta
Die Freihandelsabkommen der EU verstoßen gegen das Grundgesetz. Zu diesem Ergebnis kommt ein von Attac in Auftrag gegebenes Gutachten.
MÜNCHEN taz | Ein neues Rechtsgutachten unterstützt die Kritiker der geplanten Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA (TTIP) sowie Kanada (Ceta). Völkerrechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano und sein Mitarbeiter Johan Horst von der Universität Bremen kommen in der von Attac München in Auftrag gegebenen Studie zu dem Ergebnis: Ceta ist rechtswidrig. Die Kritik gilt auch dem noch zu verhandelnden TTIP-Abkommen mit den Vereinigten Staaten, da sich dieses stark an Ceta orientiert.
Der Vertrag mit Kanada verstoße sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen Unionsrecht, sagte Horst. Etwa bei den internationalen Schiedsgerichten: Vor ihnen können dem Vertrag zufolge ausländische Konzerne klagen, wenn sie ihre Investitionen gefährdet sehen, zum Beispiel durch Umweltauflagen. Dabei würden die privaten Schiedsgerichte auch über EU-Recht entscheiden. Dies stünde aber ausschließlich dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu, argumentierte Horst.
Außerdem verstoße Ceta gegen die „im Grundgesetz verankerte Garantie der kommunalen Selbstverwaltung“. Hat eine Kommune ihre Wasserversorgung privatisiert, könnte sie dies laut Ceta nicht mehr rückgängig machen. Dazu kommt, dass das Abkommen eine Negativliste vorsehe. Alle Bereiche, die nicht ausdrücklich ausgenommen sind, unterlägen damit den Liberalisierungsvorschriften von Ceta. Die Kommunen wären verpflichtet, fast alle Aufträge auszuschreiben, und könnten mittelständische Unternehmen vor Ort nicht mehr unterstützen.
Ginge es nach der Europäischen Kommission, würde Ceta schon bald in Kraft treten, nur das EU-Parlament und der Rat der Mitgliedstaaten müssten noch zustimmen. Doch auch das sei nicht rechtens, so die Juristen, da es sich bei Ceta um ein „gemischtes Abkommen“ handle, bei dem auch die nationalen Parlamente ihr Einverständnis geben müssten. Damit würde es noch „mindestens zwei Jahre“ dauern, bis Ceta in Kraft tritt.
Kritik am Schiedsgericht
Zu dem gleichen Schluss war ein Gutachten gekommen, das Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Auftrag gegeben hatte. Nach massiver Kritik aus den eigenen Reihen äußerte der SPD-Politiker auch Bedenken in Bezug auf die umstrittenen internationalen Schiedsgerichte. Mit seiner Forderung, Ceta neu zu verhandeln, stieß er aber auf Kritik beim Koalitionspartner CDU/CSU.
Fischer-Lescano geht jedoch davon aus, dass nicht Parlamente, sondern das Bundesverfassungsgericht und der EuGH über die finale Version von Ceta und TTIP entscheiden werden. Dazu müsste ein Mitgliedstaat der Europäischen Union oder das EU-Parlament klagen.
Laut Ceta sollen 98 Prozent aller Zölle wegfallen, die Exportquoten steigen, Unternehmen leichteren Zugang zu öffentlichen Aufträgen bekommen, Investitionen angekurbelt und die Freizügigkeit hochqualifizierter Arbeitnehmer verbessert werden.
Leser*innenkommentare
mdarge
Statt immer wieder einzelne Punkte des Abkommens zu kritisieren, gilt es die zu erreichenden Ziele generell in Frage zu stellen.
Was passiert, wenn 98 Prozent aller Zölle wegfallen? Zahlreiche Branchen gibt es nur, weil sie von außen geschützt sind. Wenn Zölle wegfallen gewinnen die Großen, der Mittelstand verliert. Doch seit Jahren verliert der Mittelstand sowieso. Ich sehe dort verheerende Auswirkungen, wie schon bei den Fischern vor Afrika.
Wenn Unternehmen leichteren Zugang zu öffentlichen Aufträgen bekommen, verliert der Staat die Möglichkeit mit Beschäftigungsfirmen Einfluss auf den Arbeitsmarkt zu nehmen. Langfristig sinken soziale Standards, Umweltauflagen werden in Frage gestellt und die Qualität sinkt. Wo ist der Vorteil? Wirklich?
Investitionen werden angekurbelt, angeblich. Natürlich führt jede Gesetzesänderung zu Umbrüchen. Doch die Macher von TTIP sprechen von 0.05%. Das ist so lächerlich oder sollte man weinen? Jedem Statistiker müsste doch die Zornesröte kommen bei solchen Zahlen.
Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist das Letzte, das verbessert wird. Gerade gab es in England eine Umfrage, nach der zwar einer Mehrheit der Briten erlaubt werden soll, in anderen EU-Ländern zu leben, doch nur eine Minderheit will auch EU-Bürger in England dulden. So sagt es schon der EU-Vertrag. Für das Geld darf es keine Grenze geben, für Waren nur wenige, doch freies Reisen ist eigentlich unerwünscht. Richtig wäre es genau umgekehrt. Doch das Diktat des Geldes wird immer unbarmherziger.
Fantomas
Wieso sehen das nur "Völkerrechtler" so? Attac = Völkerrechtler? Wie sieht die Mehrheit der Mitbürger dieses Thema. Warum fasst sie dieses Thema mit soo langen Fingern und 3 Lagen Samthandschuhen an? Wer hat diesen Artikel für die Taz geschrieben? Steht ja nicht mal ein Autor drunter.
Vor allem der letzte Absatz ist doch eindeutig ein vorgefertigter Lobbytext. Sind etwa solche gefälligen Artikel die Gegenleistung für das Schalten von Bannerwerbung durch private Krankenversicherungen auf der Taz-Webseite? Soll das nun den Taz-Luxusbau finanzieren?
Frau Kirschgrün
"Wie sieht die Mehrheit der Mitbürger dieses Thema."
Sie "Troll", wer den Sumpf trocken legen will, darf nicht die Frösche fragen.
Diese Freihandelsabkommen sind nicht nur eine Gefahr für den Rest unserer Demokratie, sie sind die Totengräber dieses Restes unserer Demokratie.
Die Politiker verkaufen uns anstatt sich für die Bürger einzusetzen und deren Entscheidungen (Gentechnik, Patente auf Samen und Pflanzen, Atomausstieg, Erneuerbare Energien, usw., usw.) durchzusetzen.
Klientelpolitik nennt sich das.
Niveaulos und gefährlich.
Und nur weil es eine Mehrheit für irgendetwas gibt, ist es noch lange nicht richtig oder gut.
Und nur weil etwas Gesetz ist, ist noch nicht gerecht, freiheitlich oder sinnvoll.
Demokratie lebt von aktiver Beteiligung und dem Volk wohl gesinnten Volksvertretern. All das gibt es in Deutschland nicht (mehr).
Allen ist das Denken erlaubt, vielen bleibt es erspart.
Moderation
@Fantomas Die Autorin steht rechts oben. Ansonsten arbeiten Verlag und Redaktion getrennt, bitte halten Sie sich mit solchen Behauptungen zurück.
Fantomas
Sehr hilfreiche Infos zu dem im Artikel genannten Thema findet man/frau in dem Video von Campact:
"TTIP- Lassen Sie sich keinen Sand in die Augen streuen" unter
http://blog.campact.de/2014/10/die-schattenjustiz-der-konzerne-in-180-sekunden-erklaert/
APOKALYPTIKER
"Laut Ceta sollen 98 Prozent aller Zölle wegfallen, die Exportquoten steigen, Unternehmen leichteren Zugang zu öffentlichen Aufträgen bekommen, Investitionen angekurbelt und die Freizügigkeit hochqualifizierter Arbeitnehmer verbessert werden."
Jaja , und noch vergessen : Durch Ceta wird das Wachstum angekurbelt - um 0,5 % in zehn Jahren !
Nur dumm , dass wir in einem Zeitraum von 10 Jahren auch bei einem Wachstum von MINUS zehn Prozent angekommen sein können . Alles drin ! Die Wirtschaftsastrologie-Experten trauen sich ja kaum noch , Ein-Jahreshoroskope herauszugeben .
Gabriel Renoir
@APOKALYPTIKER Wirtschaftswissenschaften sind auch keine exakte Wissenschaft. Aber dafür haben wir ja die Kommentatoren hier, die wissen Bescheid. USA haben im Moment übrigens aktuell 3,5% Wachstum. Nicht übel im Vergleich zu den Apokalyptikern in Europa.
Ute Krakowski
@Gabriel Renoir Ganz toll. Vielleicht machen Sie sich auch mal die Mühe, dem geneigten Leser zu erläutern, wie das USA- Wachstum zustande kommt und was es mit den "Apokalyptikern in Europa" auf sich hat. Irgendwie ist das ein ziemliches Geschwurbel, was Sie hier von sich geben, ohne Substanz.
Gabriel Renoir
Die Kommunen wären verpflichtet, fast alle Aufträge auszuschreiben, und könnten mittelständische Unternehmen vor Ort nicht mehr unterstützen. Das geht gegen die lokale BauMafia. Die Mehrheit der Bundesbürger hat keine Probleme mit dem Abkommen. Einzelne Dinge sollten noch präzisiert werden, wie welche Politikänderungen rechtens sind. Eine ZickzackPolitik ist dagegen schwierig. Z B wurde Solarstrom gefördert. Wenn jetzt die Förderung abgeschafft wird, was bedeutet das? Oder wenn Solarstrom jetzt so billig ist, dann könnte man die Förderung abschaffen?
solde
Ein bisschen Stoff zum Nachdenken:
http://blog.campact.de/wp-content/uploads/2014/10/LawFirmsReport-DE.pdf
Ute Krakowski
"Die Mehrheit der Bundesbürger hat keine Probleme mit dem Abkommen."
Klar, weil die Mehrheit der Bundesbürger schlicht keine Ahnung hat, besonders nicht von den Konsequenzen eines solchen Bündnisses. Wenn die CDU sagt: "Das ist gut und schafft Arbeitsplätze", dann glauben die Leute das.
"Das geht gegen die lokale BauMafia." Frage: Ist Ihnen die internationale Baumafia lieber? Möchten Sie Elektizitäts- und Wasserwerke privatisieren? Ich möchte das nicht, weil ich befürchte, das Transparenz und Qualität darunter leiden. Und ich denke, es ist für die deutsche Wirtschaft besser, wenn deutsche Unternehmen (die auch hier Steuern zahlen) von öffentlichen Ausschreibungen profitieren.
Die Förderung von Solarstrom war ein Mittel, den Anteil umweltfreundlich erzeugten Stroms zu erhöhen und ganz nebenbei wurden damit auch deutsche Unternehmen dieses Sektors gefördert. Das Zurückfahren der Förderung, zusammen mit der chinesischen Konkurrenz hat auch einigen dieser Unternehmen Probleme bereitet. "dann könnte man die Förderung abschaffen?" - Das passiert gerade. Aber was hat das mit TTIP und CETA zu tun?