Gutachten von Forschenden: Gesunde Umwelt, gesunde Menschen
Im Auftrag der Regierung untersuchten Forscher*innen den Zusammenhang zwischen Umwelt- und Gesundheitspolitik. Nun fordern sie konkrete Maßnahmen.
Pünktlich zum Hitzeaktionstag stellte ein Expert*innengremium am Mittwoch ein Gutachten zum Zusammenhang zwischen Umweltschutz und Gesundheit vor, das nicht weniger als „ein fundamentales Umdenken im Umgang mit Gesundheit“ einfordert. Tags zuvor hatte bereits Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einen nationalen Hitzeschutzplan verlangt. Allein 2022 sind laut Robert-Koch-Institut 4.500 Menschen aufgrund von Hitzewellen verstorben.
In dem nun vorgelegten Gutachten mit dem Titel „Gesund leben auf einer gesunden Erde“ ist Hitzeschutz nur eines von vielen Themen. Die Autor*innen fordern unter anderem ein gesetzlich verankertes Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt.
Verfasst wurde das über zweieinhalb Jahre erarbeitete Gutachten vom 1992 gegründeten Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Der WBGU ist ein unabhängiges Gremium aus Wissenschaftler*innen der Bereiche Ökologie, Umweltrecht, Wirtschaft, Nachhaltige Entwicklung und Umweltmedizin.
Die Autor*innen nennen Beispiele für den Zusammenhang zwischen Umwelt- und Gesundheitspolitik: Eine stärker pflanzenbasierte Ernährung könne nicht nur die klimaschädlichen Auswirkungen des aktuellen Ernährungssystems reduzieren, sondern auch jährlich 11 Millionen vorzeitige Todesfälle weltweit verhindern. Die Förderung aktiver Mobilität durch Politik für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen ist nicht nur ein Beitrag für die individuelle Gesundheit, sondern reduziert eben auch den Autoverkehr. Und wenn global bis zur Mitte des Jahrhunderts für 2,5 Milliarden Menschen zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden muss, gehen auch da gesundheits- und umweltgerechte Stadtplanung Hand in Hand.
Dringliche Bedrohungslage
Um das Thema Nachhaltigkeitspolitik als Gesundheitspolitik stark zu machen, empfehlen die Autor*innen konkrete Maßnahmen: Überwachungs- und Berichtspflichten im Rahmen der Europäischen Gesundheitsunion sollten auf umweltbedingte Krankheiten und deren Risikofaktoren ausgedehnt werden. In der Finanzierung von Gesundheitssystemen sollte sich eine auf die Umwelt der Menschen ausgerichtete Gesundheitsvorsorge widerspiegeln. Die ökologischen Folgen des Gesundheitswesens sollten dabei stärker in den Blick genommen werden – man denke an den hohen Energieverbrauch oder den Einsatz klimaschädlicher Stoffe und Einmalmaterialien in Krankenhäusern.
Die Autor*innen schätzen die Bedrohungslage für die individuelle Gesundheit als so dringlich ein, dass sie empfehlen, das Recht auf eine gesunde Umwelt im Grundgesetz und in der EU-Grundrechtecharta zu verankern. Die Ausrichtung auf den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Nachhaltigkeit müsse in allen Politikressorts bestimmend sein.
Bei der Vorstellung des WBGU-Gutachtens am Mittwoch war allerdings nur Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zugegen. Der Zusammenhang zwischen planetarer und menschlicher Gesundheit sei durch die Pandemie besonders offensichtlich geworden und dürfe angesichts anderer Krisen wie dem Ukrainekrieg nicht wieder aus dem Blick verloren werden, so Lemke. Man werde das Gutachten in der Tiefe analysieren, hieß es weiter aus dem Umweltministerium.
„Die drei großen Umweltkrisen unserer Zeit: Klima-, Biodiversität- und Schadstoffkrise sind im Kern Gesundheitskrisen“, sagt Politiker und Arzt Armin Grau (Grüne), Mitglied im Umwelt- und im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Sie zu bekämpfen sei „kein Selbstzweck, sondern die Grundlage für unseren Wohlstand, unsere Freiheit und Sicherheit und für ein gesundes Leben“.
Die Gelegenheiten, das Thema Gesundheit auch in den Mittelpunkt internationaler Umweltschutzdebatten zu rücken, stehen vor der Tür: Bei der UN-Klimakonferenz COP28 im November 2023 sind erstmals Gesundheitsfragen auf der Tagesordnung. Eine zentrale Rolle sollte das Thema auch beim UN-Reformgipfel „Summit of the Future“ im September 2024 spielen, sagt Sabine Schlacke, eine der Vorsitzenden der WBGU.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm