Gutachten vom Expertenrat Klima: Klimaschutz quält sich voran
Bei der Energiewende läuft es gut, aber Gebäude und Verkehr emittieren noch zu viel CO2. Der Expertenrat Klima empfiehlt mehr soziale Gerechtigkeit.
![Der Auto-Verkehr staut sich im auf der Autobahn, beide dreispurigen Fahrbahnen sind verstopft Der Auto-Verkehr staut sich im auf der Autobahn, beide dreispurigen Fahrbahnen sind verstopft](https://taz.de/picture/7512159/14/37269814-1.jpeg)
„Klimapolitisch wurden die Anstrengungen deutlich verstärkt“, sagt Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats und Direktor des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme. Ob die deutschen und europäischen Klimaziele zu erreichen sind, ohne die Klimapolitik „wesentlich anzupassen“, sei aber fraglich.
Besonders in den Sektoren Gebäude und Verkehr geht der Klimaschutz nicht voran. Im vom Expertenrat betrachteten Zeitraum von 2021 bis 2023 gingen die Emissionen des Gebäudesektors nur um 1,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zurück. Damit der Sektor seinen Beitrag zum deutschen Klimaziel 2030 leistet, müsste er pro Jahr 8,3 Millionen Tonnen CO2 einsparen.
Noch schlechter sieht es im Verkehrssektor aus. Hier sind zwischen 2021 und 2023 die Emissionen sogar leicht um 500.000 Tonnen CO2 gestiegen. Dramatisch schlechter als lange angenommen ist die Lage bei den CO2-Emissionen aus der Natur: Eigentlich sollen Wälder, Moore und Co 2030 etwa 20 Millionen Tonnen CO2 binden. Durch ihren schlechten Zustand stoßen sie stattdessen gerade etwa 70 Millionen Tonnen pro Jahr aus.
Habecks Bilanz „gemischt“
Dafür ist die Bundesregierung auf gutem Kurs bei der Energiewende: Läuft es so gut wie zwischen 2014 und 2023, unterschreitet der Energiesektor sogar das 2030-Ziel. Ein großer Teil des Rückgangs der vergangenen Jahre geht aber auf die Schwäche der Industrie zurück.
Dementsprechend sei die Bilanz von Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck „gemischt“, urteilt Expertenratsvorsitzender Henning. Aber der Grünen-Politiker sei „eine Reihe von Maßnahmen beherzt angegangen“, zum Beispiel bei der Genehmigungen von Windrädern an Land und der Photovoltaik.
Auch das umstrittene Heizungsgesetz habe „großes Potenzial“, gemeinsam mit den Gesetzen zu Wärmeplanung der Kommunen und Sanierungsförderung zum Klimaschutz beizutragen. Henning warnt deshalb davor, die Maßnahmen der Ampel im Gebäudesektor rückgängig zu machen, wie es die CDU durch die Abschaffung des Heizungsgesetzes tun will.
Die Ampel habe die Sanierungsförderung viel effizienter gemacht, lobt Brigitte Knopf, Vizechefin des Expertenrats und Direktorin der Denkfabrik Zukunft Klimasozial. 2021 habe der Staat noch 374 Euro ausgeben müssen, um durch Sanierungen eine Tonne CO2 einzusparen, jetzt seien es 82 Euro.
Nicht nur auf hohe CO2-Preise verlassen
Das liegt Knopf zufolge unter anderem daran, dass die Förderung nach Einkommen gestaffelt wurde. So konnte vermieden werden, dass Haushalte die Förderung abgreifen, die sowieso saniert hätten und das Geld nicht brauchen. Den sogenannten Umweltbonus, mit dem neue E-Autos bis zu seinem Auslaufen Ende 2023 gefördert wurden, hätten dagegen vor allem Wohlhabende in Anspruch genommen.
Um die europäischen Klimaziele in den Sektoren Gebäude und Verkehr einzuhalten, sollte sich die nächste Bundesregierung nicht auf den Emissionshandel verlassen, warnt der Expertenrat. Fürs Heizen und Autofahren greift der europäische Emissionshandel ab 2027 und könnte Heizen mit Öl, Gas oder Kohle sowie Tanken mit Benzin, Diesel oder Gas deutlich teurer machen.
Ergänzend sei ein „umfassender Ansatz“ nötig, sagt Brigitte Knopf. Dazu gehöre ein Ausbau von ÖPNV und Wärmenetzen genauso wie Ordnungsrecht, damit Mieter*innen nicht unter Sanierungen leiden, sozial gestaffelte Förderprogramme und ein Klimageld.
Der Expertenrat fordert ganz grundsätzlich eine „erheblich bessere Einbettung“ der Klimapolitik in andere Politikfelder. Zum Beispiel könnte Klimapolitik das Leben von Normalverdiener*innen verbessern, wenn Heizen billiger und der ÖPNV attraktiver wird. Die Wirtschaft könnte sicherer vor externen Schocks werden, wenn wir weniger fossile Brennstoffe importieren und mehr Energie in Deutschland produzieren. Und neue Technologien können gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen.
Klimaschützer*innen fordern Milliardärssteuer
Um die Wirtschaft auf Kurs zu bringen, die Klimaziele einzuhalten, sind dem Expertenrat zufolge mindestens 100 Milliarden Euro Investitionen pro Jahr durch Bund, Länder und Kommunen nötig, davon die Hälfte allein für Bahn und ÖPNV. Das ist etwa das Doppelte dessen, was die öffentliche Hand ohnehin in den Erhalt der Infrastruktur stecken müsste.
Die Klima-Allianz, ein Zusammenschluss von Naturschutzorganisationen, Sozialverbänden und Gewerkschaften, fordert angesichts des Gutachtens des Expertenrats eine sozial gerechte Klimapolitik. Dazu sei eine „Investitionsoffensive für die Schiene und den öffentlichen Verkehr“ nötig, sowie für „mehr kleine und effiziente E-Autos und eine langfristig gesicherte Förderstrategie für klimaneutrales, bezahlbares Heizen“.
Um das zu bezahlen, brauche es eine Reform der Schuldenbremse sowie eine angemessene Besteuerung von extrem reichen Menschen. Dieser Forderung schließt sich Greenpeace an und ergänzt, dass zu konsequentem Klimaschutz im Verkehr auch ein Tempolimit gehöre.
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