Gutachten der Wirtschaftsweisen: Weise Finger in der Wunde

Ein Bericht empfiehlt höhere Steuern für Besserverdienende, um die Krisenlast sozialer zu verteilen. Der Ampel droht neuer Krach.

Christian Lindner.

Rückenwind von den Wirtschaftsweisen sieht anders aus: Finanzminister Christian Lindner Foto: Markus Schreiber/ap

Es ist ein Bericht, der es in sich hat und für neuen Krach in der Ampelkoalition sorgen könnte. Die sogenannten Wirtschaftsweisen empfehlen der Bundesregierung, befristet einen höheren Spitzensteuersatz oder einen Energie-Soli einzuführen, um die Krisenlast solidarischer zu verteilen. So berichtet es die Süddeutsche Zeitung, die sich auf das Jahresgutachten des Gremiums beruft, das eigentlich „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ heißt. Zudem empfehlen die Wirtschaftsweisen eine Ausweitung der AKW-Laufzeiten.

Laut SZ verwerfen die Wirtschaftsweisen in der jetzigen Krise die Pläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner, die kalte Progression auszugleichen. Damit soll eigentlich verhindert werden, dass Menschen mit steigenden Löhnen in einen höheren Steuertarif rutschen, obwohl sie aufgrund der Inflation nicht mehr Geld zur Verfügung haben. Auch Vorgängerregierungen haben das bereits getan. Doch auch vor dem dritten Entlastungspaket gab es eine Diskussion darüber, ob der Abbau der Kalten Progression in der jetzigen Lage angemessen ist – denn nominell profitieren dabei vor allem Besserverdienende.

Diese Auffassung stützen nun offenbar die Wirtschaftsweisen. „In der aktuellen Situation, in der vor allem eine Entlastung unterer Einkommensgruppen geboten erscheint und die Lage der öffentlichen Finanzen angespannt bleibt, wäre eine Verschiebung dieses Ausgleichs auf einen späteren Zeitpunkt angezeigt“, heißt es laut SZ in dem Gutachten. Alle Empfehlungen berühren wunde Punkte in der Ampelkoalition. Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Grüne und FDP darauf geeinigt, dass es keine Steuererhöhungen geben soll. Diese rote Linie hatte die FDP durchgesetzt.

Insofern ist es nicht verwunderlich, dass der finanzpolitische Sprecher der FDP, Markus Herbrand, dem Vorschlag eines erhöhten Spitzensteuersatzes oder eines Energie-Solis für Besserverdienende skeptisch gegenübersteht. Die Forderung eines Energie-Solis werfe für ihn „die Frage nach einer rechtssicheren Definition“ auf, erklärte er der taz. Bei einer zeitlich befristeten Erhöhung des Spitzensteuersatzes befürchtet Herbrand zudem, „dass die Entfristung der nächste Punkt auf der Wunschliste sein wird“. Den Abbau der kalten Progression verteidigte er: Gerade in der Krise, gehe es darum, den Bür­ge­r*in­nen „nicht noch durch versteckte Steuererhöhungen höhere Belastungen aufzuerlegen“. Das Finanzministerium selbst wollte auf Nachfrage „einzelne Berichterstattung“ nicht kommentieren.

Bislang nicht durchsetzbar

SPD-Finanzpolitiker Michael Schrodi begrüßte die Empfehlungen der Wirtschaftsweisen, den Spitzensteuersatz temporär zu erhöhen oder einen Energie-Soli für Besserverdienende einzuführen. „Wir müssen in dieser Krise die soziale Balance wahren“, sagte er der taz. Es sei bemerkenswert, dass das fünfköpfige Gremium einstimmig entschieden habe: „Das kann man nicht einfach vom Tisch wischen mit dem Hinweis, dass man sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt hat, keine Steuern zu erhöhen.“

Grünen-Fraktionschefin Dröge klang vorsichtiger. Eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes wäre zwar nach Auffassung ihrer Partei richtig, aber in der Koalition schwer durchsetzbar: „Das war bislang nicht möglich, sich hier miteinander zu verständigen“ sagte sie am Dienstag in Berlin.

Für den Finanzexperten der Linkspartei, Christian Görke, haben die Wirtschaftsweisen „die Zeichen der Zeit erkannt“. „Die Teuer-Welle trifft kleine Geldbeutel und Mittelschicht viel härter als diejenigen mit dickem Geldbeutel“ erklärte er der taz. Es sei richtig, Spitzenverdiener stärker zu belasten, „erst recht, wenn Christian Lindner trotz Krise an der Schuldenbremse festhält“.

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