Gutachten Enteignungs-Volksbegehren: Enteignung zum Schnäppchenpreis
Bei einer Enteignung der Wohnungskonzerne muss nicht der Verkehrswert gezahlt werden. Auch das Interesse der Allgemeinheit ist zu berücksichtigen.
Das hatte vergangene Woche auch der Wissenschaftliche Dienst des Abgeordnetenhauses gesagt. Wielands Studie hat aber eine Überraschung parat: Demnach könnte die Vergesellschaftung deutlich günstiger werden als bislang angenommen.
Seit 25 Jahren beschäftigt sich Wieland, so sagt er es am Mittwoch bei der Vorstellung seines Gutachtens, mit dem Artikel 15 des Grundgesetzes, der die Vergesellschaftung unter anderem von Grund und Boden regelt. „Als „reine Rechtstheorie“ habe er das verstanden, nun aber freue er sich, dass der Artikel erstmals „praktische Bedeutung bekommt“. Die Vergesellschaftung ist für Wieland ein „Prüfstand“, ob die Marktwirtschaft wirklich sozial sei. Mit der Einführung des Sozialismus habe sie nichts zu tun, „auch wenn das Grundgesetz das zulassen würde“.
Weil der Bund vom Artikel 15 bislang keinen Gebrauch gemacht habe, stehe der Überführung in Gemeineigentum durch das Land Berlin nichts im Wege. „Ein milderes Mittel zur Erreichung der Vergesellschaftung ist nicht ersichtlich“, heißt es in dem Gutachten. Zumutbar für die Betroffenen wird der Akt durch die zwingend zu erfolgende Entschädigung.
Unter dem Verkehrswert
Diese müsse nicht nach dem aktuellen Verkehrswert erfolgen, so Wieland. In seiner Studie zitiert er das Bundesverfassungsgericht. Demnach sei „eine ‚starre, allein auf den Marktwert orientierte Entschädigung‘ dem Grundgesetz fremd“. Vielmehr müsse die Höhe der Entschädigung ein Interessenausgleich zwischen Eigentümern und der Allgemeinheit sein. Diese Abwägung obliegt dem Senat im Enteignungsgesetz.
Den Verkehrswert gab dieser bislang mit bis zu 36 Milliarden Euro an. Darin enthalten sind die spekulativen Preissteigerungen der vergangenen Jahre, denen „keine eigenständige Leistung der Wohnungsunternehmen zugrunde liegt“, wie Wieland sagt. Eine Entschädigungssumme könne sich vielmehr an dem Wert der Wohnungen vor einigen Jahren orientieren. Auch die ab 2020 geltende Schuldenbremse sei für das Vorhaben kein Problem, denn die zu gründende Anstalt öffentlichen Rechts ist dieser nicht unterworfen.
Linksfraktionschef Udo Wolf nannte die Studie „wichtig für den Meinungsbildungsprozess der Koalitionspartner“. Die Linke hat unterdessen bei den Grundbuchämtern das Eigentum der Deutsche Wohnen abgefragt. Einzig das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg habe sich geweigert, die Daten herauszugeben. Dagegen werde nun geklagt. Michal Prütz von Deutsche Wohnen und Co. enteignen sprach auf Twitter von einem „Bomben-Gutachten“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen