Grundsatzdebatte zu Land und Bezirken: Entgegenlaufende Vorstellungen
Der Streit um das Schneller-Bauen-Gesetz ist an sich schon bedeutsam. Er bedroht aber auch das wichtigere Großprojekt Verwaltungsreform.
D ie Kritik der Grünen am Schneller-Bauen-Gesetz von Mitte der Woche ist an sich schon heftig. Dahinter deutet sich aber eine noch viel grundsätzlicherer Streit zwischen der schwarz-roten Regierung und der Opposition an.
Das Gesetz werde seinem Namen nicht gerecht, „mit ihm wird keine Wohnung schneller gebaut“, äußerte sich Fraktionschef Werner Graf via Mail, kaum dass Bausenator Christian Gaebler (SPD) den Entwurf dafür in einer Pressekonferenz vorzustellen begonnen hatte. Für Graf führt das, was Gaeblers Senatsverwaltung da konzipiert hat, trotz aller vom Senator angeführten Beteiligungen von Verbänden und Interessengruppen zu Betonwüsten und Kiezen, „die kaum bewohnbar sind.“
Das ist an sich schon die denkbar größte Kluft. Zumal die Grünen von sich behaupten, durchaus bauen und der Wohnungsnot begegnen zu wollen. Graf verwies in einem vertiefenden Pressegespräch am folgenden Tag darauf, dass grün-geführte Bezirke anderen bei Baugenehmigungen nicht nachstünden. Er pocht aber darauf, dass das SPD-Mantra „bauen, bauen, bauen“ nicht über allem stehen dürfe.
In Grafs Lesart sind die vorgesehenen Lockerungen beim Arten- und Naturschutz – auch wenn die weiterhin bundesgesetzlichen Vorgaben entsprechen müssen – nicht bloß eine Möglichkeit, im Einzelfall auf Kosten einiger Bäume schneller hunderte Wohnungen zu bauen. Vielmehr werde das nun zur Regel. Aus Grünen-Sicht rückt der Gesetzentwurf Pflanzen-Grün weit hinter Beton-Grau.
Die entscheidende Frage der Landespolitik
Das aufzulösen, wird schon schwer genug, wenn es überhaupt gelingt. Am Rande wurde aber auch klar, dass der Streit über das Schneller-Bauen-Gesetz ein noch bedeutsameres Projekt der schwarz-roten Koalition bedrohen könnte, das bislang auch die Grünen mitgetragen haben: die Verwaltungsreform.
Das Thema klingt bei schlichterer Betrachtung nach bürokratischer Nebensächlerei. Tatsächlich aber, und das sehen von Wirtschaftsverbänden bis zur Opposition im Wesentlichen alle so, steht dahinter die entscheidende Frage der Landespolitik: Ist Berlin in der Lage, seine Verwaltung und seine Entscheidungsabläufe so zu reformieren, dass sich damit die Gegenwart, aber noch mehr die Zukunft der Stadt gestalten lassen?
Dass dabei am Ende schnellere Termine im Bürgeramt stehen könnten, ist der vielleicht populärste, aber trotzdem bloß ein nachgeordneter Effekt. Im Kern geht es darum, Abläufe in einer Fast-4-Millionen-Stadt, die zugleich Bundesland ist, angesichts eines immer schnellen getakteten Alltags aufrechterhalten und sicherstellen zu können.
Seit Jahrzehnten ist unstrittig, dass die Verwaltung einer Reform bedarf. Ebenso lang ist der Satz zu hören, Berlin habe hier „kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem“. Viele Gutachten liegen dazu vor. Zuletzt, in der Zeit des vor-vorigen Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD), beschäftigte sich eine hochkarätig besetzte Kommission damit.
Doch auf dieses Gutachten von 2018 ist wenig gefolgt. Das liegt weniger an Details. Im Mittelpunkt steht die Machtfrage, die zwischen der Landesebene – den Senatsverwaltungen – und der Bezirksebene neu auszuhandeln ist. Misstrauen auf beiden Seiten über alle Parteigrenzen hinweg erschwerte lange jeden Fortschritt.
Verwaltungsreform könnte in weite Ferne rücken
Dass das plötzlich anders aussah, gehörte zu den Pluspunkten, als Ende April ein Jahr schwarz-roter Koalition zu bilanzieren war. Regierungschef Kai Wegner (CDU) hatte es offenbar geschafft, bei allen Beteiligten das Gefühl zu wecken, zumindest gehört und nicht über den Tisch gezogen zu werden. In diese Richtung äußerten sich nach ersten Treffen führende Vertreter von Grünen und Linkspartei eindeutig, auch auf die Gefahr hin, für solches Wegner-Lob Kritik von ihren eigenen Leuten zu bekommen.
Für die Grünen war dabei stets wichtig, den Weg der Verwaltungsreform zusammen mit den zwölf Bezirken zu gehen und nicht über sie hinweg zu entscheiden. Vor diesem Hintergrund zeigten sie sich auch für eine Verfassungsänderung offen, mit der Wegner eine Reform dauerhaft und nicht bloß als schnell wieder zu änderndes Gesetz festschreiben will. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit bräuchte es dafür. Auf die käme Schwarz-Rot aber nur, wenn im Abgeordnetenhaus entweder die Fraktion der Grünen oder die der Linkspartei zustimmt.
Das aber, so hörte es sich in dieser Woche bei Werner Graf an, könnte in weite Ferne rücken. Denn das Schneller-Bauen-Gesetz mit veränderten Zuständigkeiten und beschleunigten Abläufen lässt sich als eine Verwaltungsreform im Kleinen betrachten. Bausenator Gaebler stellte es am Dienstag auch als eine Art Pilotprojekt dafür dar, aus dem sich auch Hinweise für die große Reform ableiten lassen könnten.
Genau davor aber gruselt es Fraktionschef Graf. Für ihn steht der Gesetzentwurf den Zielen des Großprojekts Verwaltungsreform „diametral entgegen“, läuft also in die ganz andere Richtung. Für Graf geht es bei der Verwaltungsreform darum, Zuständigkeiten genau festzuschreiben. So soll es kein Hickhack und Hin-und-her-Geschiebe bei unangenehmen oder Kompetenzgerangel bei attraktiven Themen und Projekten geben.
Die Gefahr des Aneinander-Vorbeiredens
Der Entwurf des Schneller-Bauen-Gesetzes aber – so zumindest Grafs Interpretation – sieht vor, dass die Landesebene Dinge von den Bezirken an sich ziehen können, wann immer sie es für nötig hält. Dass das eine personelle Parallelstruktur erfordert, für die weder die Leute noch die Finanzen da sind, ist da fast noch nachrangig.
Dass Graf sich in dieser Weise äußerte, überraschte. Zu begeistert schien auch er in den vorangegangenen Monaten davon, dass sich in Sachen Verwaltungsreform endlich etwas bewegte. Er wie seine Co-Fraktionschefin Bettina Jarasch und auch die Spitze der Linksfraktion lobten Wegners Ansatz, in den Treffen dazu seinen Gesprächspartnern auf Augenhöhe zu begegnen. Die gemeinsamen anschließenden Stellungnahmen legten nicht nahe, dass es völlig unterschiedliche Auffassungen gibt.
Wieso es vor diesem Hintergrund beim Schneller-Bauen-Gesetz nun zu solchem Frust bei den Grünen kommt, jenseits aller inhaltlichen Kritik, ist nur auf zweierlei Weise erklärbar. Entweder ist der vorliegende Gesetzentwurf aus Gaeblers Verwaltung komplett an Regierungschef Wegner vorbei entstanden. Das aber ist nicht sonderlich plausibel. Genauso wenig liegt nahe, dass die Grünen den Gesetzentwurf völlig falsch lesen – Gaebler hatte am Dienstag Grafs Kritik daran mit der Annahme gekontert, dann habe der Grünen den Text wohl gar nicht gelesen.
Was bleibt, ist die Möglichkeit, dass Wegner und all jene, die wie Graf mit ihm bei den bisherigen Spitzentreffen zur Verwaltungsreform über Stunden zusammensaßen, schlicht aneinander vorbeigeredet haben. Das aber wäre in Sachen politischer und zwischenmenschlicher Kommunikation gerade in Zeiten, in den genaues Zuhören statt gegenseitigem Zutexten das A und O sind, ein zutiefst bedauerlicher Befund.
Dann wäre es immer noch besser, Graf hätte sich schlicht verlesen oder wäre, wie Gaebler am Dienstag vermutete, „Opfer seiner eigenen Vorurteile“ geworden. Klären könnte sich das ziemlich schnell. Denn der Senator hat dem Grünen-Fraktionschef auf dessen Kritik hin gleich ein Treffen angeboten – und Graf kündigte tags darauf vor Journalisten an, diese Einladung anzunehmen.
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