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Grüner FreiheitskongressDie neue Burger-Partei

Die Grünen bemühen sich, die neue liberale Kraft zu werden. Kann die Versöhnung von Veggie-Aposteln mit grünen Porschefahrern klappen?

Darum lieb ich alles, was so grün ist, weil mein Schatz ein Jäger ist. Bild: dpa

BERLIN taz | Vergangene Woche war es wieder so weit. Die Falle schnappte zu. „Ich dachte, die Grünen hätten ihren Status als Verbotspartei hinter sich gelassen“, ätzte die CSU-Staatssekretärin Dorothee Bär in der Bild-Zeitung. Wer „unter dem Deckmantel des Liberalismus“ surfe, aber Menschen nach ihrem Äußeren betrachte, sei „der wahre Spießer“. Vorausgegangen war ein Schlagabtausch auf Twitter zwischen ihr und der grünen Atompolitikerin Sylvia Kotting-Uhl über die Frage, ob Bärs Dirndl das passende Outfit für die Regierungsbank im Bundestagsplenum sei. Er gipfelte in Kotting-Uhls Behauptung, außerhalb Bayerns gelte das Dirndl als „rückständig“.

Zu anderen Zeiten wäre das vermutlich keine Zeile wert gewesen, doch seit der Bundestagswahl stehen die Grünen unter Beobachtung. Wollen sie wieder originelle Vorschriften machen – wie 2013 im Wahlkampf mit der Idee, einen fleischlosen Donnerstag für Kantinen einzuführen? Taugt der Vorschlag zur Steilvorlage? So kam auch das „Dirndlgate“ in Schwung. Andere Blätter griffen das Wortgefecht auf. Und die Grünen? Steuerten eilig gegen. Parteichef Cem Özdemir erinnerte daran, dass die Grünen „mal mit langen Bärten und Turnschuhen in den Bundestag eingezogen“ seien. Claudia Roth stellte ein Dirndl-Foto von sich ins Netz und versicherte: „Ich mag’s bunt und frei.“

Seit Monaten versuchen die Grünen verzweifelt, aus der Verbotsecke herauszukommen. Statt weitere Abwehrschlachten gegen Oberlehrervorwürfe zu schlagen, wollen sie sich als liberale Kraft positionieren. Der erste Meilenstein, knapp ein Jahr nach der vergeigten Bundestagswahl: ein grüner „Freiheitskongress“ am Freitag im Bundestag. Die Partei ist verunsichert, ringt um ein zeitgemäßes Profil und sucht neue, zugkräftige Themen. Wie praktisch, dass das Image als Freiheitspartei wieder zu haben ist, seit die FDP in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Auch kommunikationstheoretisch spricht viel für den Themenschwerpunkt. Die Linguistin Elisabeth Wehling, Fachfrau für Parteidiskurse aus Berkeley, erklärt es so: „Wenn man einen Vorwurf der Gegenseite bestreitet, stärkt man ihn indirekt sogar noch.“ Man erreiche also das Gegenteil dessen, was man eigentlich bewirken wollte. Vom Dementi „Ich bin doch gar nicht geizig“, bleibe hängen: Geiz. Eine Partei müsse stattdessen klarmachen, welche Werte hinter ihrer Politik stehen – und ihre „Frames“ offensiv kommunizieren. Gerade konservative Thinktanks in den USA seien darin inzwischen sehr stark.

Die meisten sind scheißliberal

Und so verfassen die Grünen so viele besinnliche Essays über Liberalismus wie lange nicht mehr. Die Gastgeberin des Kongresses, Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, klingt zufrieden. Knapp 700 Anmeldungen haben ihre Mitarbeiter gezählt. Auch das Online-Quiz zur Selbsteinordnung („Welcher Freiheitstyp bist du?“) laufe super: Rund 10.000 Leute hätten mitgemacht, sagt die Fraktionschefin: „Die meisten sind ’scheißliberal‘ – so wie ich.“ Für sie steht bereits fest: „Über einen grünen Freiheitsbegriff zu diskutieren, ist etwas, das sich wirklich lohnt.“

Bei einigen in der Partei löst das Thema allerdings auch Unwohlsein aus. Soll unter dem Freiheitslabel auch ein Kurswechsel in der Steuerpolitik eingefädelt werden? Liberalismus – als Freiheit von hohen Steuern und Regulierungen für Unternehmen?

Die Debatte verläuft bisher unübersichtlich – das bildet auch das Kongressprogramm ab: Freiheit von digitaler Überwachung, Stress im Job, tradierten Rollenbildern – unter der Gummivokabel lässt sich viel diskutieren.

Eine Kernfrage zieht sich durch viele Thesenpapiere: Wie lassen sich Liberalismus und Ökologie überhaupt vereinbaren? Müssen nicht gerade die Grünen dem Planeten zuliebe für Grenzen eintreten?

Freiheit müsse über die Generationen hinaus wirken – deshalb könne man sie nicht ohne Schutzauftrag für die Umwelt denken, lauten die Antworten in vielen Beiträgen. Statt beim Konsumenten anzusetzen, solle man die Bedingungen ändern – beispielsweise in der Agrarpolitik. „Wir wollen das System verändern, nicht die Menschen“, versichern der grüne Parteirat Malte Spitz und Fraktionsvize Konstantin von Notz in einem Thesenpapier. Dem Wähler könne nicht die Verantwortung für die Lösung globaler Probleme „aufgebürdet“ werden.

Für viele grüne Parteistrategen sind Anleitungen zum besseren Leben inzwischen Sperrgebiet. Seine Partei solle sich „vor Lebensstilgeboten hüten“, warnt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Auch die Sprecherin der Grünen-Jugend, Theresa Kalmer, sagt: Die Grünen sollten den Leuten „nicht vorschreiben, was sie einzukaufen haben“. Allerdings: Der Staat könne dafür sorgen, dass Veggie-Kost selbstverständlich werde. Dafür hätten öffentliche Einrichtungen sogar eine Verantwortung.

Der Freiheitskongress soll ein Startschuss sein, die Grünen wollen raus aus der Defensive, in die sie geraten sind. Ob das luftige Freiheitsthema so weit trägt? Zumindest taugt es zur Selbstverortung und -vergewisserung. Und das kann angesichts der allgemeinen Verunsicherung in der Partei nicht schaden. Selbst wenn dabei manche Klarheit zur These theoretisiert wird. Wenn etwa Fraktionsvize Notz feststellt, dass ein „guter‘ Grüner“ nicht unbedingt im Biomarkt einkaufe, sondern auch „Jäger, Burgeresser oder Porschefahrerinnen“ grüne Ziele teilten.

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13 Kommentare

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  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Der Begriff Liberalismus stand ursprünglich für die besten Werte von Demorkatie, Freiheit und gesellschaftlich-sozialer Verantwortung.

     

    Dass der Begriff "liberal" durch die reaktionären Kräfte fälschlicherweise (aber bewusst) nur noch auf die Wirtschaftspolitik angwendet wird hat der demokratischen Bewegung in Deutschland und Europa erheblich geschadet.

  • "Die Grünen bemühen sich, die neue liberale Kraft zu werden." - Wieso "werden", sie sind es doch spätestens seit ihrer "liberalen" Entscheidung für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Serbien. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal einem CDU-MdB voll stimmen könnte: "Die Grünen sind ja schon in einer fast widerlichen Weise zur Kriegspartei geworden." (Willy Wimmer: http://www.jungewelt.de/2014/09-13/007.php?sstr=wimmer)

  • Die Frage, wo die Freiheit endet, muss eigentlich jede Partei immer wieder beantworten und die einen setzen die Schwerpunkte anders als die anderen. Als ich die Grünen noch gewählt habe, fand ich wichtig, dass der Satz nicht nur auf Menschen angewendet wird "sie endet dort, wo die Rechte anderer verletzt werden" - sondern auch auf die Natur. Das ist inzwischen auf einem guten Weg, m.e. wird sogar heute oft genug die Natur als Vorwand genommen, unliebsame Projekte zu bremsen.

    Bei der Kriminalitätsbekämpfung finde ich erstaunlich, wie manche den Begriff "liberal" verwenden, als gäbe s ein Grundrecht, Straftaten zu begehen und nicht verfolgt zu werden. Aber das ist ja nicht das Thema.

    Sondern eigentlich ist es Käse, eine Partei als "Verbots-" oder "Freiheits-"Partei zu bezeichnen, denn jede Partei will in bestimmten Bereichen Verbote und in anderen Freiheit.

  • Es wird noch ein paar Jahre dauern, bevor die Grünen den Weg der FDP gehen, aber sie werden ihn gehen, denn diese Partei braucht niemand mehr.

  • Grüne Liberalismuskampagne ... das klingt wie eine Demokratiekampagne der NPD

     

    Die Grünen sollten sich wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren.

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Die Grünen waren mal grün, das ist aber an die 30 Jahre her. Ob die jetzt endgültig gelb, schwarz oder braun werden... wen juckt´s?

  • Was ist Freiheit? Interessanterweise gibt es im Englischen zwei Worte dafür: liberty und freedom. Liberty bezieht sich auf die Grundrechte und Wahlmöglichkeiten, die wir in einem demokratischen Staat haben oder haben sollten.

     

    Ich weiß nicht, was Briten und Amerikaner demgegenüber genau unter freedom verstehen; ob sie es einfach als gleichbedeutend mit liberty ansehen oder nicht. Ich persönlich glaube jedenfalls, dass Freiheit noch mehr ist als liberty.

     

    Der zweite Aspekt der Freiheit, neben den Wahlmöglichkeiten, ist nämlich der der Verantwortung. Ich bin verantwortlich dafür, meine Rechte so zu nutzen, dass die Rechte der anderen gewahrt bleiben, und auch die Wahlmöglichkeiten zukünftiger Generationen. Das schränkt meine eigenen Möglichkeiten ein, ist aber dennoch meines Erachtens ein essentieller Bestandteil von Freiheit.

     

    Freiheit ist mehr als "Egal, mach doch was du willst!" Ich denke, dass wir das wieder stärker herausstellen sollten. Es geht dabei nicht um Verbote; es ist schlicht ein Missverständnis, dass frei zu sein bedeutet, alles machen zu können ohne Rücksichtnahme auf andere und zukünftige Generationen.

    • @Smaragd:

      Um Freiheit leben zu können braucht es Gerechtigkeit. Die wird in Deutschland und Europa zunehmend abgeschafft durch CDU-CSU-FDP-SPD-GRÜNE-AFD.

    • 9G
      90191 (Profil gelöscht)
      @Smaragd:

      Mehr Freiheit als "Egal, mach doch was du willst!" geht nicht.

       

      Alles andere ist nur eine klägliche, bürokratisch vergewaltigte Karikatur dessen.

  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    So lange man unter Liberalismus einen rein kapitalistischen Neoliberalismus und eben keinen gesellschafts-politischen und sozialen Liberalismus, so lange wird keine (sogenannte) liberale Partei in Deutschland eine Zukunft haben.

    • 9G
      90191 (Profil gelöscht)
      @4845 (Profil gelöscht):

      Eine Partei braucht es dafür sowieso nicht.

    • @4845 (Profil gelöscht):

      na das will ich aber auch stark hoffen

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @muds0r:

        Da hat leider die Tastatur geklemmt, hätte natürlich KEINE heißen sollen. Liberalismus in seiner urspünglichen Bedeutung ist ein gesellschaftlicher und sozialer Liberalismus.