Grünen-Politikerin über ihr Mandat: „Olaf Scholz gut im Auge behalten“
Emilia Fester ist die jüngste Abgeordnete im neu gewählten Bundestag. Ein Gespräch über ihre neue Rolle, Klimaschutz und mögliche Koalitionen.
Frau Fester, Sie sind die jüngste Abgeordnete des neuen Bundestags. Wie sehen Sie Ihre Rolle?
Ich bin angetreten für Jugendpolitik und Generationengerechtigkeit. Bei dieser Wahl ging es für uns als junge Generation um unfassbar viel: bei der Klimakrise, in Fragen der sozialen Spaltung und Perspektiven mit Blick auf den Arbeitsmarkt oder auch die Rente. Deswegen freue ich mich, dass ich als jüngste Abgeordnete den Auftrag habe, die jungen Leute in diesem Land zu vertreten, die jugendlichen Bewegungen von der Straße ins Parlament zu tragen und die Forderungen der jungen Generation nach vorne zu stellen.
Trotzdem sind Sie jetzt nicht auf der Straße, sondern im Parlament. Wo ist der Unterschied?
Die Bewegungen sind dafür da, die wichtigen und durchaus auch radikalen Schritte, die wir zur Bewältigung der Klimakrise brauchen, gesellschaftsfähig zu machen. Sie sind anschlussfähig und haben dafür gesorgt, dass Klimaschutz eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf war. Sie sorgen aber noch nicht dafür, dass das auch wirklich umgesetzt wird – mit Anträgen, die wir im Bundestag beschließen können. Da braucht es die Übersetzung von den lauten Stimmen auf der Straße in das Parlament hinein.
Emilia Fester ist Grünen-Politikerin und mit 23 Jahren die jüngste Abgeordnete im 20. deutschen Bundestag. Bisher arbeitete sie als freischaffende Regieassistentin im Kinder- und Jugendtheater.
Wie wollen Sie das übersetzen?
Als grüne Fraktion wollen wir zuallererst das Klimaschutz-Sofortprogramm auf den Weg bringen. Dafür brauchen wir zeitnah ein abgestecktes CO2-Budget. Wir dürfen maximal noch 6,6 Gigatonnen CO2 ausstoßen und müssen das bei allen Gesetzesvorhaben berücksichtigen, sonst haben wir uns schlicht und ergreifend nicht an das Pariser Klimaabkommen gehalten. Außerdem ist mir die Teilhabe von jungen Menschen wichtig. Wir müssen über Zukunftsthemen wie die Klimakrise, Fluchtbewegungen oder Ressourcenknappheiten diskutieren. Daran hat die Jugend ein Interesse und das erklärt auch, warum die Wahlergebnisse zwischen den U18-Wahlen und den jungen Wähler:innen zwischen 18 und 24 auf der einen Seite und dem Gesamtergebnis auf der anderen Seite so unterschiedlich sind.
Sie wollen die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen. Die Maßnahmen im Wahlprogramm der Grünen reichen dafür aber nicht aus.
Für diese Legislatur ist das Grünen-Wahlprogramm das mit Abstand progressivste und radikalste, weil wir jetzt eine Wende einleiten müssen und noch nicht wissen, welchen Einfluss neue Technologien dabei haben können. Natürlich hoffen wir auch auf die Technologie, aber anders als bei FDP und CDU ist das nicht unsere einzige Hoffnung. Wir müssen in den nächsten zwei Jahren, am liebsten schon in den ersten hundert Tagen der Legislaturperiode, unseren derzeitigen CO2-Ausstoß reduzieren.
Trotzdem reicht das Wahlprogramm der Grünen nicht aus. Müssten Sie jetzt nicht mit stärkeren Forderungen in die Koalitionsverhandlungen gehen?
Wenn wir in den Koalitionsverhandlungen alle unsere vorgeschlagenen Maßnahmen erreichen können, haben wir für die nächsten vier Jahre unfassbar viel vor und können das 1,5-Grad Ziel noch erreichen, wenn wir in den kommenden Legislaturperioden weitermachen. Klimaschutz ist ein Langzeitprojekt. Ich würde gerne sagen: Lasst uns so radikal sein wie möglich. Ich habe gerade aber eher die Angst, dass wir das mit der FDP nicht verhandelt bekommen. Was wir vorschlagen, ist das Minimum von dem, was passieren muss.
Der neu gewählte Bundestag wird jünger und weiblicher als zuvor.
Der Frauenanteil liegt mit 255 Frauen und 480 Männern bei 35 Prozent. Den höchsten Frauenanteil haben die Grünen mit 58 Prozent, den geringsten die AfD mit 13 Prozent.
Der Altersdurchschnitt liegt bei 47,3 Jahren. Die beiden jüngsten Abgeordneten sind Emilia Fester und Niklas Wagener von den Grünen.
Was kommt in den Verhandlungen mit der FDP auf die Grünen zu?
In vielen Fragen stehen wir konträr zueinander. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht einigen können. Beides sind demokratische Parteien und ich erwarte von der kleineren FDP, dass sie Zugeständnisse machen kann. Klar ist: Wir können Klimaschutz nicht komplett dem Markt überlassen. Das wäre keine Lösung, sondern eine Verschiebung des Problems. Gerade in Klima- und Gerechtigkeitsfragen sind sich die Grünen mit der SPD einig und deswegen hoffe ich, dass wir in der SPD eine starke Koalitionspartnerin finden.
Ein Bündnis mit FDP und CDU wäre rechnerisch auch möglich.
Ich halte nichts davon, den abgewählten Armin Laschet zum Kanzler zu machen. Die CDU gehört in die Opposition.
In einem Ampel-Bündnis würde wohl Olaf Scholz Kanzler. Wie beurteilen Sie das als Hamburger Politikerin?
Wir müssten ihn gut im Auge behalten. Ich begrüße sehr, dass sich die SPD in den letzten Jahren sukzessive auch wieder linker und progressiver aufgestellt hat. Im Gegensatz dazu hat sich die Partei einen sehr konservativen Kanzlerkandidaten gesucht. Aber er hat einen großen Rückhalt in der Gesellschaft dafür, jetzt Kanzler zu werden.
Befürchten Sie, dass Sie aufgrund Ihres Alters im Bundestag nicht ernst genommen werden könnten?
Ich habe das auch schon im Wahlkampf erlebt. Einige Menschen fühlen sich dazu berufen, mich als junge Frau zu diskreditieren. Da gibt es einige Kommentare im Internet. Zum Beispiel, dass ich noch nie gearbeitet hätte, was im Übrigen falsch ist. Oder Forderungen, dass ich bestimmte Sachen gemacht haben sollte, bevor ich mich anbiedere, überhaupt in den Bundestag reinschauen zu wollen. Natürlich gibt es auch sehr viel Sexismus. Ich glaube, zum einen haben diese Menschen nicht verstanden, was eine repräsentative Demokratie ist. Ich habe jedes Recht, im Bundestag zu sitzen. Als junge Frau vertrete ich eine große Masse von Menschen, die in der Bundesrepublik leben und bestimmte politische Anliegen haben. Solche Kommentare zeigen mir erst recht, dass es etwas gibt, wogegen man kämpfen muss: das Patriarchat. Jede Stimme im Parlament, die der Vorherrschaft von weißen, älteren Männern etwas entgegensetzt und sie provoziert, ist eine Stimme in die richtige Richtung.
Seit einigen Tagen gibt es Gerüchte, dass nicht Annalena Baerbock sondern Robert Habeck Vizekanzler werden soll. Sehen Sie da einen Widerspruch?
Ich glaube, als grüne Partei ist es grundsätzlich nicht unsere Vorstellung, dass wir am Ende eine Regierung haben, in der drei Männer vorn stehen. Als feministisches Parteimitglied gehe ich sehr stark davon aus, dass wir unsere feministischen Werte nicht verraten werden.
Gerade SPD und Grüne haben viele junge Politiker:innen ins Rennen zur Bundestagswahl geschickt, das Durchschnittsalter ist so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Stimmt Sie das hoffnungsvoll?
Es ist auf jeden Fall ein Zeichen von Aufbruch. Ein Zeichen, dass die jungen Bewegungen der letzten Jahre Früchte tragen und wir als Generation endlich politisches Gehör bekommen. Ich freue mich auch auf eine Ria Schröder von der FDP. Sie kommt aus dem gleichen Stadtteil wie ich und ist dort als eine der jüngsten FDPlerinnen angetreten. Sie bringt einen ähnlichen Druck mit und sucht nach ähnlichen Lösungen für die Probleme unserer Zeit. Mit ihr kann ich mich eher einigen als mit der Gesamtfraktion der FDP. Insgesamt sehe ich eine hohe Solidarität unter den jungen Menschen, weil wir für ähnliche Ziele sprechen. Da klammere ich einen Philipp Amthor und etwaige junge Abgeordnete der AfD natürlich aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen