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Grünen-Kandidatin über Wahl in Görlitz„Es braucht endlich ein Kümmern“

In Görlitz wäre fast ein AfDler Oberbürgermeister geworden. Grünen-Kandidatin Franziska Schubert sieht nun eine klare Aufgabe für die kommenden Jahre.

„Die soziale Frage ist in Görlitz sehr stark vernachlässigt worden“: Grünen-Politikerin Schubert Foto: dpa
Thomas Gerlach
Interview von Thomas Gerlach

taz: Frau Schubert, im ersten Wahlgang vor drei Wochen erreichten Sie mit knapp 28 Prozent der Stimmen Platz drei. Zugunsten des Zweitplatzierten Octavian Ursu von der CDU zogen sie dann Ihre Kandidatur zurück. Wie bewerten Sie das Wahlergebnis?

Franziska Schubert: Ich bin sehr erleichtert. Es ist natürlich recht knapp gewesen und die 44,9 Prozent, die für AfD-Kandidaten Sebastian Wippel abgegeben worden sind, sind eine Aufgabe, die ich ganz klar sehe für die nächsten Jahre.

Görlitz hat eine feste AfD-Wählerschaft. Wie soll man damit umgehen?

Ich glaube, die Wege, die bisher gegangen wurden, sind vielleicht nicht mehr angezeigt. Es sollte darum gehen zu gucken, welche neuen Formate finden wir, welche Art der Ansprache finden wir. Und es braucht endlich ein Kümmern um die Fragen und die Aufgaben, die es gibt.

Welche zum Beispiel?

Die soziale Frage ist in Görlitz – und in Ostdeutschland insgesamt – sehr stark, auch im Landkreis, und die ist in der Landes- und Stadtpolitik stark vernachlässig worden.

Woran liegt das?

Die sächsische CDU war noch nie gut darin, Sozialpolitik zu machen, und das rächt sich irgendwann. Wenn wir uns um die soziale Frage nicht kümmern oder um das Thema Jugend und Bildung, dann werden wir nicht weiterkommen.

Im Interview: Franziska Schubert

Franziska Schubert, geb. 1982 in Löbau, Studium der Internationalen Beziehungen in Osnabrück und Budapest, Mitglied von Bündnis 90/ die Grünen, seit 2014 im Sächsischen Landtag. Die grüne Politikerin, unterstützt von zwei Bürgerbündnissen, hat im ersten Wahlgang mit 27,9 Prozent der Stimmen das drittbeste Ergebnis bei den OB-Wahl in Görlitz geholt. Im zweiten Wahlgang ist sie nicht mehr angetreten.

Octavian Ursu hat nur siegen könne, weil Sie mit Ihrem Verzicht nach dem ersten Wahlgang den Weg frei gemacht haben. Nun hat die CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Tweet den Erfolg für die Christdemokraten als „bürgerliche Kraft“ reklamiert. Wie empfinden Sie das?

Ich habe bei mir gedacht: „So far away from here.“ Sie ist so weit weg. Eigentlich wäre Demut angebracht. Das ist genau der Stil, der die Menschen wütend macht. Es geht nur ums Thema Macht. Und genau das ist es eben, was die Menschen nicht mehr sehen wollen und so unerträglich finden. Das ist in Sachsen bei der CDU genauso, wie wir es auch auf Bundesebene sehen. Das schadet auch ihren Leuten vor Ort ganz klar.

Was bedeutet das denn für das Verhältnis zwischen CDU und Grüne? Es könnte passieren, dass die Sachsen-CDU nach den Landtagswahlen am 1. September auf Bündnis 90/Die Grünen zugehen muss.

So wie die Sachsen-CDU sich im Moment benimmt, kann man mit ihr nicht koalieren wollen. Das ist ganz klar. Außerdem reist Ministerpräsident Michael Kretschmer durchs Land und behauptet immer, die Grünen sind die Verhinderer und die Blockierer. Ich glaube, mit meiner Entscheidung, in Görlitz nicht mehr in den zweiten Wahlgang zu gehen, habe ich einen Gegenbeweis geliefert. Und den wird er nicht so ohne Weiteres entkräften können. Wir Grünen machen unser Angebot, wir haben seit Jahren eine klare Haltung in den Themen, die wir setzen, und ich glaube, da liegen wir gar nicht so falsch, wenn wir uns die Wahlergebnisse auch in Sachsen angucken.

Michael Kretschmer hat erst heute wieder die Wichtigkeit ökologischer Themen betont. Ist das ein Versuch, auf die Grünen zuzugehen?

Er ist halt wie ein Chamäleon, heute so, morgen so. Es ist schwer, ihn zu fassen zu bekommen, auch für die Menschen. Ich weiß nicht, ob das ein Versuch ist, auf die Grünen zuzugehen. Ich bin da mittlerweile sehr, sehr vorsichtig geworden, was die Lernfähigkeit oder Beratungsfähigkeit der sächsischen CDU angeht.

In Görlitz hat am Sonntag eine Art ganz große Koalition von CDU bis Linkspartei den AfD-Kandidaten verhindert. Das war eine Bündnis gegen etwas. Ist das eine Perspektive für die Zeit nach dem 1. September 2019?

Ich mache diese Gegenrhetorik nicht mit. Das ist nicht mein Stil. Meine politischen Entscheidungen beruhen nie darauf, was ich verhindern möchte. Mir geht es darum zu sagen, wofür ich stehe, was mein Angebot ist und was ich mir für einen Politikstil vorstellen kann. Diese Gegenrhetorik – das verhärtet die Fronten und das wird nicht das Zukunftsmodell sein.

Sondern?

Es geht darum, andere Formen zu finden, wie wir miteinander sprechen. Es geht darum, in der Gesellschaft wieder einen Grundkonsens zu diskutieren, wie wir miteinander leben, was Anstand ist, was Werte sind. Es geht darum, Politik zurückzuholen in die Lebensrealität der Menschen. Da bin ich wahrscheinlich sehr bodenständig. Ich denke, dass Sprache, also Kommunikation, und der Bezug zum Leben Dinge sind, die in Sachsen ein Weg sein können, um dieser Wut, dem Ärger, dem Trotz, auch ein Stück weit Verunsicherung, etwas entgegenzusetzen. Es geht ja darum, ein anderes Angebot zu machen.

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13 Kommentare

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  • Besonnene Töne statt regressiv verkürztes Wählerbashing.



    Jede Wette: Hätte Sahra Wagenknecht die identischen Antworten gegeben, so hätte man ihr glatt AfD-Nähe unterstellt...

  • Einer, Ursu (CDU, sPD, Grüne, Linke, Klerus, Kultur, Wirtschaft) gegen alle



    - Wippel (AfD) .

    Das ist mal eine Erzählung... .

    • @Frank Erlangen:

      Na, da fühlen sich Identitäre doch so richtig wohl in ihrer Wagenburg!

  • Wer einmal bei einer CDU Veranstaltung in Sachsen war, bekommt sehr schnell mit, dass die CDU`ler in Sachen die AfD – Ideologie bereits einverleibt und vollzogen haben. Ich selbst war zweimal auf einer solchen CDU Veranstaltung in Sachsen. Wäre an den Wänden nicht die Parteilogos der CDU angebracht gewesen, hätte dies auch eine AfD Veranstaltung sein können, incl. den „Merkel muss weg“ rufen.

    Die Grünen-Politikerin Schubert meint, man müsse sich um die sozialen Fragen kümmern, also mehr Geld für Ostdeutschland. Ich glaube, dass ist nicht die Lösung. Ich glaube, man könnte für ganz Ostdeutschland das allgemeine Freibier einführen, die Fremdenfeindlichkeit und der Rassismus würden nicht verschwinden. Die Leute fühlen sich einfach besser, wenn der Sündenbock benannt ist.

    Ich kenne die Gegend um Görlitz, die Oberlausitz gut. Die Deutsche Einheit hat in den letzten 30 Jahren solche tiefen Furchen eingeschlagen, dass diese mindestens weitere 30 Jahre brauchen, bis sie verheilt sind. Einer dieser Furchen ist, dass den älteren Menschen, meist im Rentenalter ihre Kinder sehr stark fehlen, die wegen der vorherrschenden Perspektivlosigkeit in den Westen ausgewandert sind und nicht mehr zurück kommen werden. Teilweise fehlt den Dörfern eine ganze Generation. Das wird man mit Geld nicht ausgleichen können. Faktisch ist der Osten für Jahrzehnte verloren.

  • @Alfred/Wellmann Was für ein Unsinn, als wäre die AfD die einzige Partei, die für eine andere Politik als die CDU steht. Und als hätte sie außer ihrer Sündenbockrhetorik irgendetwas anderes zu bieten, als autoritäre Schikane und freundliche Angebote für Gleichgesinnte und Faschistoide.

  • Die Nachricht an den Wähler ist glasklar: Was immer Du tust, es bleiben die Gleichen an der Macht.

  • Ich denke auch: Man manifestiert die einzige wirkliche Alternative. In der Opposition befindet sich nunmehr genau eine Partei. Und die muß ein jeder wählen, der sich in der Opposition verortet.

    • @Wellmann Juergen:

      Sie wiederholen nur die von allen AfD-Wählern praktisch in Dauerschleife abgespulte Selbstrechtfertigung. Die Wahl dieses Vereins wird zur Notwehrmaßnahme stilisiert, als letzter Ausweg in einer apokalyptischen Endzeitsituation.

      Wie sehr müssen selbst herbeifantasierte Szenarien von "großem Austausch" und "Merkel-Diktatur" doch die letzten Reste des politischen Urteilsvermögens zerrüttet haben!?

      • @esgehtauchanders:

        OK. Bitte nennen Sie eine wählbare Alternative, wenn man das Folgende wünscht: Abschiebung Ausreisepflichtiger, kein Fahrverbot für Diesel, mehr Parkplätze in Innenstädten, weniger staatliche Umverteilung, mehr Selbstverantwortung für den Einzelnen, Einhaltung der EU-Verträge (Maastricht, Dublin, Schengen), Sicherung der Grenzen gegen illegale Einwanderung, Freie Rede im Netz.

        Bin gespannt, was Sie da in Petto haben...

        • @Wellmann Juergen:

          Wie alle seriösen empirischen Untersuchungen zeigen, wählen Leute die AfD aufgrund tief verinnerlichter Ressentiments gegen bestimmte Gruppen, auch als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bezeichnet .

          Wobei rassistische Motivlagen hierbei klar im Vordergrund stehen. Das Thema Geflüchtete vermischt mit rechtsextremen "Umvolkung"wahnvorstellungen überlagert alle anderen Themengebiete um Längen.

          Ihr Spickzettel bietet als Wahlalternative stets noch die CDU aber vor allem CSU und die FDP an. Die NPD, die Rechte, Petrys Blaue ebenso

          Nur AfD-Mitläufer fallen noch auf die eigene AfD-Propaganda rein, nach der sich seit Herbst 2015 nichts an der Politik von CDU/CSU/SPD geändert hat. Der politisch/mediale Einfluss der AfD war zu der Zeit gegen Null, also nix mit "AfD wirkt".

          Merkel selbst hat seit Winter 2015/16 massiv an der Abschottungsspirale mitgedreht (Asylrechtsverschärfungen u.v.a)

          Bei den oben genannten Parteien hat sich die "verrohte Mitte" vor der AfD-Existenz doch auch versteckt.

          Autoritär-strukturierte mit DDR-Nostaligieanwandlungen im Osten hatten sich früher auch bei der "Linke" eingehakt (oder wie plakatiert doch AfD sinngemäß stets im Osten? "Früher war alles so schön sicher hier!") Solche Charaktere sind heute auch bei euch gelandet.

          Da sich die Linke rein biologisch von diesem Menschenschlag löst, fällt die tatsächlich weitgehend aus für Untertanengeister, die gerne nach unten treten..

          Halt, Ihr Stichwort "mehr Selbstverantwortung für den Einzelnen"... im Osten schnitzt die AfD ja an ihrem national-sozialen Image mit dem völkisch-nationalen Rentenprogramm von Höcke & Pohl mit der "Deutschen-Zusatzrente". Versorgungsmentalität per se. Dass das Ding EU-rechtswidrig ist ... wumpe! Also scheint das EU-Recht wohl eher vorgeschoben zu sein).

          "Grenze zu, Festung Europa" wie es jeder Identitäre, Breivik oder Christchurch-Killer in sein Manifest reinkritzelt...

          .... da bleibt Ihnen tatsächlich nur noch die zur politischen Partei mutierte Kloake übrig.

          • @esgehtauchanders:

            Sie haben zwar über die AFD und ihre Wähler geschimpft, aber eine Alternative /Opposition nennen Sie nicht.

            • @Wellmann Juergen:

              Innerlich gefestigte, überzeugte Demokraten haben schon aus Gründen der Eigenhygiene eine eingebaute Hemmschwelle Rechtsaußen zu wählen.

              Es gibt vielfältige Möglichkeiten seinen Widerspruch auf grundgesetzkonforme Weise zum Ausdruck zu bringen. Fragen Sie bei der CSU an, wenn's Ihnen um Verteidigung "bis zur letzten Patrone" geht wie Seehofer.

              Treten Sie der "F. A Hayek-Gesellschaft" bei, die wie deren Mitglieder Weidel, von Storch einem Modell eines marktradikalen Kapitalismus huldigt, bei dem wie Meuthen propagiert bis hin zur Rentenversicherung alles privatisiert wird. Hayek hatte sich noch Pinochet (dem Schlächter aus Santiago) angedient als Berater. Die private "eigenverantwortliche" Rentenversicherung hat dort allerdings die Gesellschaft dermaßen zerrüttet, dass dort Jahrzehnte nach der faschistischen Junta noch die sozialen Verwerfungen zu spüren sind.

              Herr Lucke oder Frau Petry sind sicher auch dankbar für Mitstreiter. Die haben sich allerdings von Rechtsextremisten wie Höcke, Kalbitz, Bystron, Fronmaier oder Curio längst anstandshalber distanziert.

              Wer AfD nach all dem jetzt noch unterstützt ist Überzeugungstäter und kein Mitläufer mehr.

              Engagieren Sie im demokratischen Spektrum. Wenn Sie inhaltlich überzeugen, machen noch ein paar mehr mit auf Rechtsaußen und dann



              werden Sie vielleicht auch noch die Kurve kriegen.

  • Also eine Sternstunde der Demokratie war die Bürgermeisterwahl sicherlich nicht.



    Die Altparteien sollten sich wohl überlegen ob und wie oft sie durch solche "Zweckehen" die eigentlich demokratische Alternative (so wenig man sie auch liebt) ausblenden. Diese Hilfslosigkeit (...egal was ich wähle, es bleibt beim Alten) kommt bei den Bürgern auf Dauer sicherlich nicht so gut an.