Grüne wählen grünen Bürgermeister ab: Von Dassel muss gehen
Das Bezirksparlament von Mitte entzieht Stephan von Dassel mit großer Mehrheit das Vertrauen – ein bislang einzigartiger Vorgang in Berlin.
Damals hatte sich eine deutliche Mehrheit für die Abwahl ausgesprochen, die von den Fraktionen von CDU und FDP beantragt worden waren. Das voraussichtliche Ende der politischen Karriere des 55-Jährigen im rund 385.000 Einwohner*innen zählenden Bezirk ist daher keine Überraschung – aber ein in Berlin bislang einzigartiger Vorgang.
Und der ging in Rekordzeit über die Bühne: Gerade mal neun Minuten dauerte die Sondersitzung. Zu deren Beginn forderte die CDU erneut die Abgeordneten auf, für die Abberufung zu stimmen – was die 47 anwesenden Bezirksabgeordneten ohne weitere Wortmeldung taten.
Von Dassel verfolgte die Sitzung mit ungerührter Miene. Nachdem das Ergebnis verkündet war, trat er ans Mikrophon: Er wünsche den verbleibenden fünf Stadträten viel „Fortune“; die Mitglieder der BVV forderte er auf, „gnädig zu sein mit den Stadträten, deren Entscheidungen oft kein leichtes Ja oder Nein zulassen“ würden. Der Applaus danach fiel verhalten aus.
Stephan von Dassel war seit 1999 Mitglied des Bezirksparlaments, 2016 wurde er als Bürgermeister gewählt und erst 2021 im Amt bestätigt. Ihm wird sein Verhalten in einem Verfahren zur Besetzung einer für ihn zentralen Stelle im Bezirksamt vorgeworfen. Von Dassel soll versucht haben, einen bei der Stellenbesetzung unterlegenen Bewerber mit Hilfe einer Geldzahlung davon abzubringen, gegen die Entscheidung zu klagen. Von Dassel bestreitet, dem Mann Geld angeboten zu haben; eine öffentlich gewordene SMS von ihm lässt sich aber so interpretieren. Darin spricht er von einer „privatrechtlichen Vereinbarung“.
Von Dassel wollte nach eigener Aussage einen außergerichtlichen Vergleich möglich machen, um einen langwierigen Rechtsstreit zu verhindern. Ihm sei es darum gegangen, die betreffende Stelle möglichst schnell zu besetzen. Das Rechtsamt hatte zuvor eine Entschädigungszahlung aus haushaltsrechtlichen Gründen abgelehnt.
Einen Rücktritt lehnte von Dassel mehrfach ab
Von sich aus zurücktreten wollte der Bezirksbürgermeister nicht. Sein Argument: Ein Rücktritt wäre eine Bestätigung der Vorwürfe, die so nicht wahr seien. Stattdessen hatte er von sich aus ein Diziplinarverfahren bei der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) beantragt; das Verfahren läuft bereits und wird auch nach seiner Abwahl fortgesetzt. Von Dassel hatte an die Fraktionen von Grünen und SPD appelliert, das Ergebnis dieses Verfahrens abzuwarten und solange von einer Abwahl abzusehen.
Doch selbst seine eigene Fraktion wollte da nicht mehr mitgehen. Von Dassels Verhalten widerspreche den „grünen Grundwerten“, hieß es in der Sondersitzung des Bezirksparlaments vor zwei Wochen. Die SPD wiederum sprach von einer „irreparablen Grenzüberschreitung“, die Linke von einem „irreparablen Schaden“.
Schon zuvor hatte von Dassel die Grünen im Bezirk mit seinen politischen Positionen immer wieder strapaziert. So hatte er unlängst ein nächtliches Alkoholverbot in Parks verhängt, um dortige Partyexzesse zu unterbinden – das Verbot ist vor kurzen vor Gericht gescheitert. Im Umgang mit Obdachlosen und Straßenprostitution vertrat er ebenfalls mehrfach Law-and-Order-Politik, die zumindest auf Unverständnis an der Basis und in der Fraktion stießen. So kamen von Dassels Fehler seinen Kritiker*innen zumindest nicht ungelegen.
Die SMS sei eine „Dummheit“ gewesen, so von Dassel
In der Debatte im Bezirksparlament damals hatte von Dassel diese Fehler auch selbst eingeräumt. Die SMS nannte er „in höchstem Maße missverständlich“ und eine „Dummheit“. Niemals hätte sie von einem Bezirksbürgermeister kommuniziert werden dürfen. Er habe damit das Vertrauen in seine Person und in das Amt des Bezirksbürgermeisters gefährdet und dem Ansehen der grünen Partei geschadet, was er bedaure.
Die Weigerung, zurück zu treten, dürfte auch finanzielle Gründe haben. In diesem Falle hätten dem 55-Jährigen weder ein Ruhegehalt noch andere Versorgungsbezüge zugestanden. Nach der Abwahl ist das anders. Dadurch wird von Dassel auch nicht aus dem Beamtenverhältnis entlassen, sondern in den einstweiligen Ruhestand versetzt.
Seine Nachfolgerin könnte Stefanie Remlinger werden. Die langjährige grüne Bildungsexpertin im Abgeordnetenhaus ist seit 2021 Stadträtin für Bildung. „Wenn die grüne Basis es möchte, stehe ich zur Verfügung“, hatte die 51-Jährige der taz am Wochenende erklärt. Wann sie gegebenenfalls gewählt wird, ist unklar, eine formale Frist dafür gibt es nicht.
Von Dassels Aufgaben übernimmt vorübergehend der jetzige stellvertretende Bezirksbürgermeister Ephraim Gothe (SPD). Er dankte von Dassel am Ende der Sondersitzung für dessen langjährige Arbeit für die Menschen in Mitte. Er hinterlasse ein gut aufgestelltes Bezirksamt, auch in finanzieller Hinsicht. Von Dassel selbst hat seine politischen Ambitionen noch nicht aufgegeben. „Ich stehe weiterhin für jedes öffentliche Amt zur Verfügung“, sagte er der taz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Innereuropäische Datenverbindung
Sabotageverdacht bei Kabelbruch in der Ostsee
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört