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Grüne und Jamaika-SondierungenFrust über Finanzverhandlung

Grüne Finanzexperten ärgern sich über den Zwischenstand der Sondierungen. Ein Jugendverband nennt das Ergebnis „enttäuschend“.

Die Vorstellungen von Grünen und FDP sind dann doch sehr unterschiedlich Foto: dpa

Berlin taz | Grüne Finanzexperten kritisieren die Jamaika-Verabredungen zur Finanzpolitik. „Die Leerstelle zu Geldwäsche und Steuervermeidung im Sondierungspapier dürfen wir nicht akzeptieren“, sagte der Europaabgeordnete Sven Giegold der taz. Es seien grüne Kernanliegen, die florierende Geldwäsche in Deutschland und die internationale Steuervermeidung zu bekämpfen.

Sven-Christian Kindler, Haushaltsexperte in der Bundestagsfraktion, sagte der taz: „Eine künftige Regierung muss anders als Schwarz-Rot Steuerbetrug und Steuerdumping entschieden bekämpfen.“ Dafür müssten in Deutschland und Europa harte, konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. Giegold und Kindler gehören zum linken Flügel der Grünen.

Beide zielten mit ihrer Kritik auf ein Papier zur Finanzpolitik, das Verhandler von Grünen, Union und FDP gemeinsam formuliert hatten. Darin werden Ziele einer künftigen Koalition benannt. Davon, Steuerflucht von Großunternehmen zu bekämpfen, ist in dem Papier keine Rede. Die Parteien nehmen sich stattdessen zum Beispiel vor, Familien mit Kindern und Normalverdiener zu entlasten, die energetische Gebäudesanierung und den Mietwohnungsbau zu fördern oder den Solidaritätszuschlag abzubauen.

Besonders die Abschaffung des Soli ist umstritten. Die FDP wünscht sich einen schnellen Wegfall innerhalb der kommenden vier Jahre. Dem Staat würde dadurch viel Geld entgehen, der Soli spült von 2018 bis 2021 knapp 80 Milliarden Euro in die Staatskasse. Die Grünen plädieren dafür, solches Geld lieber anders zu investieren.

Die Kritik trifft auch das eigene Team

„Der Abbau des Soli nutzt vor allem Gutverdienern“, betonte Kindler. Es könne nicht sein, dass am Ende der Chefarzt bei der Steuer- und Finanzpolitik mehr profitiere als die Krankenschwester. Giegold sagte: „Wer den Soli abschaffen will, beschenkt die Spitzenverdiener und vergisst die Geringverdiener.“ Statt die Unterschiede zwischen armen und reichen Menschen zu verkleinern, verschärfe die Abschaffung des Soli die Kluft sogar noch.

Solche Kritik trifft auch das grüne Verhandlungsteam. Jenes hatte den Zwischenstand abgesegnet. Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir nannte das Papier eine „gemeinsame Arbeitsgrundlage“. Die Grüne Jugend sah das in Gänze anders. „Die Ergebnisse sind enttäuschend und lassen keine grüne Handschrift erkennen“, sagte ihr Sprecher Moritz Heuberger. Solange dringend nötigen Investitionen kein Vorrang vor Steuergeschenken gewährt werde, könne von einem grünen Verhandlungserfolg keine Rede sein.

Es müsse dringend nachverhandelt werden, betonte Heuberger. „Wenn keine gemeinsame Linie zustande kommt, um die weitere Spaltung zwischen Arm und Reich aufzuhalten, sehe ich keine Grundlage für eine gemeinsame Koalition.“

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6 Kommentare

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  • Das war doch klar. Selbst Geldwäsche ist nicht das Kernproblem, sondern die ungleiche Verteilung von Steuerlasten: In Deutschland bezahlen Durchschnittsverdiener die großen Rechnungen, viele wohlhabende und rieche Menschen zahlen sogar 0 Prozent.

     

    Und wenn entlastet wird, dann wird auch irgendwo belastet, solange der Staat nicht Wege findet, die Steuergerechtigkeit bei Reichen durchzusetzen.

     

    Und genau das tut der Staat nicht, weil es die Regierungen nicht wollen. Und so eine Regierung soll jetzt von den Grünen ins Leben gerufen werden.

     

    Tatsächlich müsste in Deutschland etwas gegen die Verarmung getan werden, müsste die Rentsenkungspolitik geändert werden. Das wäre dringend, aber genau hier wird nix passieren.

     

    Wenn die Grünen das so machen, dann werden sie das bei den nächsten Wahlen um die Ohren gehauen bekommen.

  • 3G
    33710 (Profil gelöscht)

    Und kein Mensch redete darüber, dass SPD, FDP, Grüne und Linke zusammen mehr Stimmen und Sitze haben, als CDU/CSU und AfD.

     

    Offensichtlich hatte die “Zäsur”, die “tektonische Plattenverschiebung” von der ARD, ZDF und die Hochrechner aller Anstalten am Wahlabend dauernd sprachen dazu geführt, dass durch dieses “Erdbeben” die Kunst der einfachen Addition verschütt gegangen war. Die hätte nämlich ergeben, dass Rot-Rot-Gelb-Grün über eine Mehrheit im Bundestag verfügt aber danach fragte am ganzen Abend niemand. Wenn nach einer Wahl die stärkste Fraktion den Auftrag der Regierungsbildung hat und damit scheitert können die anderen Parteien ja durchaus eine Koalition bilden. Doch kein Wort darüber, auch nicht in der “Berliner Runde”, weder von den Journalisten noch von den Parteioberen.

    • 7G
      78110 (Profil gelöscht)
      @33710 (Profil gelöscht):

      Wären Sie womöglich so freundlich, mir zu erklären, was die FDP in diese illustre Runde verschlagen sollte?

      Sie sehen nun bereits in Niedersachsen, wie sehr man sich auch nur ziert, mit SPD und Grünen eine Sohle aufs Parkett zu legen, geschweige denn mit der heimlichen Liebespartei, der LINKEN. Ich würde Neuwahlen (und daraufhin womöglich eine Mehrheit für Schwarz-Gelb) doch für deutlich wahrscheinlicher halten, sollten irgendeine Partei die Sondierungsgespräche platzen lassen (wonach es bislang aber nun wirklich nicht aussieht).

  • Oh nein...die Grünen schmeißen alle Prinzipien über Bord um an die Macht zu gelangen.......wie überraschend...ich bin schockiert! lol

  • Alles nur nachträgliches Wahlkampfgetöse & verbale Befriedigung der eigenen Lobby.

     

    Nur wer überhaupt Steuern zahlt, kann von Steuerentlastungen profitieren. Wer viele Steuern zahlt, kann viel entlastet werden. Umgekehrt treffen Steuererhöhungen und Sonderabgaben in der Regel auch nur Steuerzahler. Wer keine oder wenig Steuern zahlt, kann von Steuersenkungen nur indirekt profitieren.

     

    Was ist daran nun wieder schlimm? Nur wer ins Schwimmbad geht, kann von einer Temperaturerhöhung im Wasserbecken profitieren, oder so ähnlich ...

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @TazTiz:

      ...mit dem Ergebnis, die, die unten sind bleiben unten. Und, nur wer genügend Geld hat, kann in's Schwimmbad gehen.