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Grüne nach Wahlniederlagen im Osten„Radikaler Kurswechsel“ – oder „endgültig irrelevant“

Mit einem Positionspapier wollen Grüne aus dem Osten ihre Partei wachrütteln. Sie fordern Ost-Kongresse, eine Ost-Taskforce und Quoten für Ost-Grüne.

Zerstörtes Wahlplakat der Grünen in Leipzig Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Berlin taz | Drei Landtagswahlen haben die Grünen im vergangenen Jahr in Ostdeutschland verloren. Gleichzeitig konnte die AfD ihre Macht weiter ausbauen. In einem Positionspapier fordert daher Madeleine Henfling, 2024 Spitzenkandidatin in Thüringen, zusammen mit zwei weiteren Grünen-Mitgliedern aus dem Osten einen „radikalen Kurswechsel“.

„Die Wahlergebnisse sind keine Warnsignale mehr – sie sind ein unmissverständlicher Beweis für das politische Versagen der letzten Jahre. Wenn wir nicht endlich begreifen, dass wir als Partei nicht nur für urbane Milieus im Westen Politik machen können, dann werden wir im Osten endgültig irrelevant“, heißt es in dem 23-seitigen Papier, das Henf­ling zusammen mit Luna Möbius und Thea-Helene Gieroska aus Sachsen-Anhalt verfasst hat und das der taz vorliegt.

Nicht als „Diskussionsvorschlag“, sondern als „Handlungsanweisung“ bezeichnen sie ihr Papier. Die Dringlichkeit ergebe sich auch daraus, dass Ostdeutschland ein „Seismograf für die gesamte Republik“ sei. Die zunehmenden Erfolge der AfD auch im Westen werten die Au­to­rin­nen als Beleg dafür. Ihre Schlussfolgerung: Die „gesamte Partei“ müsse „die Probleme, aber auch die Lösungen dazu als ihre Aufgabe begreifen und nicht weiter nur als ostdeutschen Sonderfall abtun“.

Hinweise aus den Ost-Ländern würden selten ernst genommen.

Als Ursache für die Misere führen die Au­to­r*in­nen in ihrer Analyse sowohl allgemeine als auch parteispezifische Gründe an. So habe die Deindustrialisierung nach 1990 in Ostdeutschland generell zu einem „grundlegenden Vertrauensverlust in staatliche Institutionen und wirtschaftliche Versprechungen“ geführt. Gerade in Krisenzeiten sei die Verunsicherung dadurch größer. Die mangelnde Repräsentanz in den Spitzen von Wirtschaft, Medien und Politik verursache zusätzliches Misstrauen.

Dazu werden in dem Papier etliche Versäumnisse der eigenen Partei angeführt. „Wichtige ostdeutsche Köpfe fehlen oder sind medial nicht präsent“, heißt es zum Beispiel. Der Gesamtpartei fehle eine ernsthafte Oststrategie und Hinweise aus den Ostländern würden „selten ernst genommen, geschweige denn in politisches Handeln übersetzt“. Die Landes- und Kreisverbände vor Ort im Osten würden es selten schaffen, Bündnisse mit der Zivilgesellschaft aufzubauen. Und auch durch Regierungsbeteiligungen auf Landesebene habe man sich nicht profilieren können: Grüne Erfolge seien gegen unpopuläre Maßnahmen wie Haushaltskürzungen untergegangen.

Ostkongress und Taskforce

Um gegenzusteuern, fordern die Au­to­r*in­nen unter anderem strukturelle Änderungen in der Partei. Ein „regelmäßiger Ostkongress auf Bundesebene“ soll Debatten, Vernetzung und Strategieentwicklung sicherstellen. Stimmen aus dem Osten sollen dort dominieren, aber auch westdeutsche Funk­tio­nä­r*in­nen teilnehmen, „um die gesamtparteiliche Verantwortung zu verankern“. Ergänzend soll eine „Taskforce Ost als ständiges Gremium“ direkt mit dem Bundesvorstand arbeiten. Auch die Bundestagsfraktion soll sich kümmern: mit einer jährlichen „Ost-Klausur“ zur „Festlegung von politischen Schwerpunkten für Ostdeutschland“.

Parteiinterne Schulungen sollen Wissen über die „Spezifika ostdeutscher Politik“ vermitteln. Für ostdeutsche Talente soll es ein gezieltes Förderprogramm geben. Und sogar eine Quote wird im Papier gefordert: „Eine Partei, die sich Vielfalt auf die Fahnen schreibt, muss auch regionale Repräsentanz ernst nehmen. Daher sollte für alle Bundesgremien eine Mindestanzahl ostdeutscher Mitglieder festgeschrieben werden.“

Neue Ansätze fordern die Au­to­r*in­nen auch in der Kommunikation. Spitzen-Grüne sollen, auch außerhalb von Wahlkämpfen, Exklusivinterviews in ostdeutschen Regionalmedien statt nur in überregionalen Medien geben. Für ostdeutsche Redaktionen sollen regelmäßige Hintergrundgespräche durchgeführt werden, Grüne aus dem Osten öfter auf den Social-Media-Kanälen der Partei auftauchen.

Nicht nur Klima

In weiten Teilen des Papiers geht es aber auch um die konkreten inhaltlichen Botschaften, die die Grünen senden. „Es stellt sich die Frage, ob wir allein mit unserem Fokus auf Natur- und Klimaschutz – ohne dem Thema seine Relevanz absprechen zu wollen – vor allem in den ostdeutschen Bundesländern noch wirkliche politische Handlungsspielräume schaffen können“, heißt es.

Stärken wollen die Au­to­r*in­nen stattdessen unter anderem sozialpolitische Themen wie Mieten, Rente und Tarifbindung. Die SPD hinterlasse dort „aufgrund schwindender Zustimmungsraten eine Lücke“, die derzeit durch die AfD gefüllt werde. Für die Wirtschaftspolitik schlagen die Au­to­r*in­nen Strukturförderung vor, zum Beispiel durch einen staatlich geförderten Innovationsfonds für ostdeutsche Start-ups sowie durch Steuererleichterungen für Hightech-Unternehmen – finanziert durch eine Sonderabgabe auf Spekulationsgewinne und hohe Vermögen.

In der Bildungspolitik fordern sie, die „Auseinandersetzung mit strukturellen Ungleichheiten zwischen Ost und West“ auf die Lehrpläne aller Bundesländer zu setzen. Und um der mangelnden Repräsentanz von Ostdeutschen entgegenzuwirken, fordern die Au­to­r*in­nen feste Vorgaben auch über die eigene Partei hinaus: „Eine Ostquote von 30 % in Ministerien und Bundesbehörden kann dazu beitragen, das Ungleichgewicht auszugleichen“, heißt es dazu im Papier.

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