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Grüne Vorsitzende im EuropaparlamentHarms geht! Harms bleibt

Rebecca Harms scheitert daran, die Nörgler der Fraktion auf Pro-EU-Kurs zu bringen. Den linken Parteiflügel freut der Rücktritt der Realo-Grünen.

„Vive l'Europe“, twittert Rebecca Harms trotzdem Foto: dpa

Rebecca Harms will nicht mehr: Die 59-Jährige aus dem Wendland gibt den Posten als Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament auf. Grund ist der Flügelstreit in der Fraktion, in dem sich die Realo-Vertreterin Harms offenbar nicht mehr durchsetzen konnte. Nach der Ankündigung ihres Rückzugs klagte sie am Wochenende über Nörgeleien, Fundamentalopposition und EU-Skepsis innerhalb der europäischen Grünen.

„Mein Eindruck ist, dass es mir nicht geglückt ist, die Fraktion so bedingungslos pro Europäische Union aufzustellen, wie das in diesen Zeiten gefragt ist“, sagte Harms am Samstag im Deutschlandfunk. Zwar sei Kritik an System und Kurs der EU berechtigt. Einige ihrer Fraktionskollegen würden es damit aber oft übertreiben: „Ganz stark aus dem Süden wird die Idee gespeist, dass die Europäische Union Opfer des Neoliberalismus ist, dass globale Konzerne übernehmen.“

Für den Fundi-Flügel ist Harms' Rückzug ein verspäteter Erfolg. Vor der Europawahl 2014 entschied der Dresdner Parteitag in einer Kampfabstimmung über die Spitzenkandidatur. Harms konnte sich damals gegen die 25 Jahre jüngere Ska Keller durchsetzen, die aus dem linken Flügel der Partei stammt. Keller könnte nun an die Spitze der Fraktion rücken.

Ganz aus dem Europaparlament zurückziehen will sich Harms indes nicht. „Ich gebe den Fraktionsvorsitz ab, aber ich gebe keinesfalls auf. Vive l'Europe!“, schrieb sie auf Twitter. Als einfache Abgeordnete mache sie weiter.

Konzentrieren kann sie sich dabei ab sofort auf eines ihrer liebsten Themen: Osteuropa, die Ukraine und Russland. Die langjährige Anti-Atom-Aktivistin Harms reiste 1988 erstmals in das Sperrgebiet um Tschernobyl und kehrte ab da immer wieder in das Land zurück. Im Konflikt um die Krim und die Ost-Ukraine stellte sie sich dann auch klar auf die Seite von Kiew und gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin. In einem gemeinsamen Schreiben mit den Fraktionschefs der Konservativen (Manfred Weber) und der Liberalen (Guy Verhofstadt) forderte sie zuletzt außerdem, auch wegen des Syrienkriegs Strafmaßnahmen gegen Russland zu verhängen.

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13 Kommentare

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  • "Für die Menschen in den Folterkammern Assads ... haben sie keine Antwort."

     

    Frau Harms/ die EU hat -tragfähige- Antworten?

     

    Die Erkenntnis, keine tragfähigen Antworten für Probleme zu haben, hat doch auch schon einen Wert.

  • Einige dieser Kommentare zeigen haargenau, warum wir eine u.a. in jahrzehntelangen Kampagnen in Gorleben und Osteuropa erfahrene Frau wie Harms brauchen:

    Wir haben starke antidemokratische Entwicklungen in den Visegrad-Staaten, besonders Ungarn, eine starke Nationale Front in Frankreich, eine nach dem Putsch gestärkte AKP in der Türkei, wir haben den Brexit, faschistische Überfälle auf Flüchtlingsheime, und ihr fragt euch noch, warum wir bedingungslos für die europäische Demokratie eintreten sollen?

    Es gehört zur Schande der im eigenen Brei erstickten deutschen Linken, dass ihnen zu Syrien und Irak so gut wie nichts einfällt, zur Revolution der Würde in der Ukraine nur nostalgische Anti-Natoversatzstücke aus den 70ern. Erstarrt in Hilflosigkeit angesichts Mio. von Vertriebenen, für die diesmal nicht die USA verantwortlich sind, konnte sie sich im entscheidenden Moment (arab Frühling) nicht einmal für eine Flugverbotszone aufraffen, geschweige denn sich massenhaft solidarisieren.

    Für die Menschen in den Folterkammern Assads, für die Opfer von Giftgas, Hinrichtungen im Iran, getötete Journalisten und zivile Opfer der Übergriffe im Donbass haben sie keine Antwort. Diese Krittelei ist abgeschottet und provinziell.

  • 6G
    628 (Profil gelöscht)

    Jaja, die bösen Fundis, immer am rumnörgeln und nicht 'bedingungslos' Pro-EU. Was denken die sich eigentlich? Immer wieder schön, wenn taz sich genauso liest wie FAZ.

  • Merle Groneweg , Autor*in ,

    „Ganz stark aus dem Süden wird die Idee gespeist, dass die Europäische Union Opfer des Neoliberalismus ist, dass globale Konzerne übernehmen.“

     

    na wenn das ein Zitat von Harms ist, dann frage ich mich tatsächlich auch, ob sie sich mal intensiver etwa mit TTIP und CETA befasst hat. Das System der internationalen Schiedsgerichte beispielsweise - das bei CETA trotz Nachverhandlungen mitnichten vom Tisch ist - geht doch genau in diese Richtung.

  • Nicht nur die EU ist - wie hier bereits richtig bemerkt, in der vorliegenden Form als "Demokratievernichtungsmaschine" anzusehen - weitreichend Opfer des Neoliberalismus geworden - auch die Neo-Grünen sind in der Majorität servile Systemdiener geworden.







    Da ist die aktuelle Nachricht eher eine gute - auch wenn es Frau Harms zuzutrauen ist daß sie auf dem Feld der Russland-Politik noch beträchtlichen Schaden anrichten wird.







    Allein ihre Formulierung es sei ihr nicht geglückt "die Fraktion so bedingungslos pro Europäische Union aufzustellen, wie das in diesen Zeiten gefragt ist“ sollte die Alarmglocken schrillen lassen.

     

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.







     

  • Von wegen Realo-Grüne, eine verbal 300%tige, die in der Praxis immer mit der EVP kuschelt und Anträge aus der Fraktion untergräbt. Frau Harms hat einfach keine Glaubwürdigkeit.

  • Eine Formulierung wie "... die Fraktion so bedingungslos pro Europäische Union aufzustellen, wie das in diesen Zeiten gefragt ist" lässt vermuten, daß Harms ihre Fraktionskollegen wohl gerne etwas stärker bevormundet hätte. Das deckt sich durchaus mit ihrer Sicht auf die Wahlbürger (https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5293840&s=rebecca+harms/).

    Glücklicherweise scheinen solche Allüren (zumindest auf europäischer Ebene) nicht einmal bei den Grünen gefragt zu sein.

  • Interessante Begriffe im Artikel:

     

    "Nörgler der Fraktion", "Nörgeleien, Fundamentalopposition und EU-Skepsis innerhalb der europäischen Grünen", "dass es mir nicht geglückt ist, die Fraktion so bedingungslos pro Europäische Union aufzustellen, wie das in diesen Zeiten gefragt ist"

     

    Nur der letzte Begriff ist ein Zitat. Der Rest stammt vom Autor.

    • @Huck :

      ich dachte auch sofort, dass da offensichtlich große sympathien für meinungsvielfalt und demokratischen diskurs bestehen... vielleicht finden sich bei genauester analyse gar spuren von toleranz. ;-) aber hauptsache , frau harms gibt ihre versorgungsansprüche nicht auf. alles andere hätte mich doch bitter enttäuscht.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Harms versteht nicht, was wichtig ist für die Bevölkerung. Sie versteht offenbar besser, was gut ist für Wirtschaftsprofite. Bislang hat die EU sich als Wirtschaftsgemeinschaft hervorgetan, nicht als Demokratieförderer. Länder wie Bulgarien oder Rumänien sind nur deshalb Mitglied, weil dort wesentlich billiger produziert werden kann ohne den Binnenmarktzugang zu verlieren. Das Schicksal der Menschen steht nicht zur Debatte - und da erwartet die Dame, dass man "bedingungslos zu Europa steht" ??? Wie sonst will man die augenfällige Mißachtung der Meinung von hunderttausenden Demonstranten zum Thema Ceta sehen, wenn nicht als Wurschtigkeit gegenüber der Bevölkerung? Gut dass sie weg ist - leider nicht weit genug...

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Ich bezweifle allerdings, dass mit Ska Keller jetzt jemand kommt, der mehr Ahnung davon hat "was für die Bevölkerung" wichtig ist.

    • 3G
      31878 (Profil gelöscht)
      @1714 (Profil gelöscht):

      Endlich ist sie weg, da kann ich nur zustimmen! Nicht weit genug? Sehe ich ebenso!

      Warum nur werden Andersdenkende als Nörgler bezeichnet, die auf Linie gebracht werden müssen? Was sind dies für absurde Vorstellungen von Demokratie?

    • @1714 (Profil gelöscht):

      Die Dame hat sclicht die Erwartungshaltung, dass die Bürger ihr Handeln und dass Handeln der anderen Europapolitiker gut finden, weil sie uns doch alle lieb haben und nur unser Bestes wollen.

       

      Erich-Mielke-Syndrom.