Grüne Umweltsenatorin zum Entscheid: „Klimaschutz ist kein Selbstläufer“
Viele Berliner*innen stimmten mit „Nein“, weil ihnen der Veränderungsdruck Angst mache, sagt Bettina Jarasch. Sie müssten ernst genommen werden.
taz: Frau Jarasch, sind Sie überrascht vom Ergebnis des Klima-Volksentscheids?
Bettina Jarasch: Ich hatte nicht mit so vielen Nein-Stimmen gerechnet. Offensichtlich hat das Thema Klimaschutz mobilisiert, aber eben auch polarisiert.
Man könnte sagen: Für Sie als Klimasenatorin war das Ergebnis eine Bestätigung ihrer bisherigen Arbeit. Mehr Klimaschutz, als Sie geliefert haben, will fast die Hälfte der Berliner*innen gar nicht.
(überlegt) So einfach will ich es mir nicht machen. Es gibt viele Menschen, die wissen, dass wir mehr tun müssen für den Klimaschutz, und das war die Mehrheit bei dem Entscheid. Und es gibt viele, die mit Nein gestimmt haben: Da müssen wir genauer hinschauen.
Was könnten Ursachen für ein Nein gewesen sein?
Sehr viele Gegner*innen des Gesetzes sind extra abstimmen gegangen. Zum Teil waren die schlicht nicht überzeugt, dass das Gesetz mit dem Zieljahr 2030 allein mehr Klimaschutz bringt. Zum Teil gibt es Ängste, die durch den steigenden Veränderungsdruck ausgelöst werden. Das Traurige ist allerdings, dass der Veränderungsdruck nicht hausgemacht ist – der kommt unausweichlich durch den Klimawandel.
Das könnte zu einem unauflöslichen Widerspruch führen.
Bettina Jarasch
ist seit Dezember 2021 Berlins Senatorin für Verkehr, Klima- und Umweltschutz. Sie war Spitzenkandidatin der Grünen bei den Wahlen 2021 und 2023
Je dringlicher Veränderungen werden, weil wir die Auswirkungen des Klimawandels merken, desto mehr könnten die Ängste vor den Veränderungen steigen und Menschen sagen: „Wir haben noch ganz andere Probleme, hört uns auch!“ Das ist eine große Herausforderung für die Politik insgesamt, aber auch für uns Grüne.
Noch im September 2021 hatte eine Mehrheit für ein ebenso radikales Ziel votiert: die Enteignung von Wohnungen großer Unternehmen.
Ein Unterschied ist, dass es damals im Kern um eine soziale Frage ging: Wer kann hier noch wohnen? Die große Unterstützung hat mich daher nicht überrascht. Beim Klima ist es für viele leider noch nicht deutlich genug, dass auch dies eine soziale Frage ist: Wir müssen deutlich machen, dass es sich nur noch Reiche leisten können, hier gut zu leben, wenn der Klimawandel ungebremst so weitergeht.
War das Ergebnis für die Grünen eine Niederlage?
Nein, denn es gibt viel Unterstützung für mehr Klimaschutz: Das Ja-Lager hat mehr Stimmen bekommen als wir Grüne und sogar als die CDU bei der Wahlwiederholung. Da gibt's also ganz viel Potenzial. Aber wir müssen dringend weg von der Polarisierung, die es inzwischen in Berlin bei fast jedem großen Thema gibt. Wir brauchen daher ein breites Bündnis, das sich auf ein positives Ziel konzentriert.
Wie soll das aussehen?
Es soll ein Zusammenschluss sein aus der Zivilgesellschaft mit Menschen, die ein gutes, gesundes Leben, für sich selbst und auch für ihre Kinder und Enkel wollen. Und mit der Wissenschaft, der Wirtschaft, den Gewerkschaften – auch mit Autofahrer*innen übrigens.
CDU und SPD, die gerade Koalitionsverhandlungen führen, haben kurz vor dem Entscheid ein Sondervermögen von bis zu 10 Milliarden Euro für den Klimaschutz beschlossen, SPD-Chef Raed Saleh sagte der taz, man müsse sich am Klimaschutz messen lassen und klotzen. Sehen Sie beide Parteien als einen möglichen Teil dieses Bündnisses?
Ich glaube nicht daran, dass dieses Sondervermögen allein bedeutet, dass CDU und SPD auch wirklich mehr Klimaschutz machen werden. Es ist unklar, wofür sie das Geld einsetzen werden. Es ist auch unklar, ob das zusätzliches Geld ist oder ob sie damit einfach alles finanzieren, was im Haushalt in Sachen Klimaschutz sowieso schon vorgesehen ist. Ich habe weder die SPD in der Vergangenheit als Treiberin beim Klimaschutz erlebt, noch die CDU.
Nach Ansicht von CDU-Generalsekretär Stefan Evers ist unabhängig vom Ausgang des Volksentscheids mehr Tempo beim Klimaschutz unverzichtbar. Die CDU sei mit dem Anspruch in die Koalitionsverhandlungen mit der SPD gegangen, dass Klimaneutralität in Berlin schneller als 2045 erreicht sein müsse, sagte Evers im RBB-Inforadio. SPD-Landeschef Raed Saleh hat sich für mehr Anreize und weniger Verbote beim Klimaschutz ausgesprochen. "Wir müssen die Menschen mitnehmen, um das größte Vorhaben zu realisieren, das vor uns steht: die Stadt klimaneutral zu machen." (dpa)
Nicht wenige werfen den Grünen vor, mit ihren Klimavorstößen zu dieser Polarisierung beigetragen zu haben. Stichwort Verkehrspolitik.
Auch die Mobilitätswende polarisiert leider in Berlin. Aber es gibt übergreifende Ziele, auf die wir uns hoffentlich alle verständigen können. Da gehört Verkehrssicherheit dazu, dass also niemand mehr im Verkehr umkommen muss; da gehört bessere Luft dazu; da gehört auch mehr Klimaschutz dazu. Aber ich sehe, dass es unterschiedliche Bedürfnisse gibt, unterschiedliche Lebenssituationen, je nachdem, wo und wie man in Berlin wohnt. Wir müssen noch stärker zeigen, dass wir darauf Rücksicht nehmen und unsere Antworten stärker differenzieren.
Was ist Ihre Bilanz des Entscheids?
Ich hoffe, dass das Ergebnis für viele ein Stück weit ein heilsamer Schrecken war – nicht nur für die Klimabewegung, sondern für alle Berliner*innen. Es wurde sehr deutlich, dass Klimaschutz auch polarisiert und eben kein Selbstläufer ist. Nun geht es darum: Wie verbinden wir das mit der Erkenntnis, dass Klimaschutz die wichtigste Aufgabe dieser Zeit ist?
Glauben sie, der Entscheid wäre anders ausgegangen, wenn er parallel mit der Wahl im Februar abgestimmt worden wäre?
Alle Erfahrungen zeigen, dass die Wahlbeteiligung deutlich höher gewesen wäre. Die Polarisierung hätte es aber auch am 12. Februar geben. Umgekehrt fühlt sich das jetzige Ergebnis an wie eine Fortsetzung der Stimmung im Wahlkampf. Die Unzufriedenheit mit der Politik wirkt fort, und auch in der Mitte der Gesellschaft ist Klimaschutz lange kein Selbstläufer mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz