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Grüne Spitzenkandidatin Rheinland-Pfalz„Keine Zeit für Farbenspielchen“

Trotz mauer Umfragewerte gehen die Grünen in Rheinland-Pfalz optimistisch in die Landtagswahl, sagt die Spitzenkandidatin Anne Spiegel.

Anne Spiegel will starke Stimme für Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit sein Foto: Andreas Arnold/dpa

taz: Frau Spiegel, für die Grünen begann der Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz mit einem Fehlstart. Die grüne Umweltministerin Ulrike Höfken musste ihr Amt zum Jahresende aufgeben. Sie übernahm Verantwortung für eine rechtswidrige Beförderungspolitik in ihrem Ministerium. „Grüner Filz“ ätzt seitdem die CDU, und die bundesweit anerkannte Fachfrau fällt im Wahlkampf aus. Jetzt müssen Sie es alleine richten. Klappt das?

Anne Spiegel: Ich glaube, es läuft gut – trotz der merkwürdigen Bedingungen der Coronapandemie. Klar, können wir gerade nicht so viel unterwegs sein und mit Menschen in Kontakt treten, wie wir uns das gewünscht hätten. Aber wir Grünen machen einen selbstbewussten, eigenständigen Wahlkampf. Die Stimmung ist gut. Wir hatten noch nie so viele Mitglieder wie jetzt. Es sind vor allem junge Menschen, die für den Klimaschutz brennen. Die stehen jeden Tag irgendwo mit Flyern und machen Wahlkampf. Das zu spüren, tut gut.

In den aktuellen Umfragen liegen die rheinland-pfälzischen Grünen 8 Prozentpunkte hinter dem Bundestrend. Was läuft falsch?

In Rheinland-Pfalz waren wir schon immer auf einem anderen Umfrageniveau als im Bund. Aber es ist nicht so, dass wir im Sinkflug wären. Unsere Zahlen sind stabil. Aber uns war natürlich klar, dass es am Ende eine Zuspitzung geben wird zwischen SPD und CDU. Da halten wir dagegen.

Sie haben selbst vier Kinder im Grundschul- und Kitaalter – und gesagt, dass die Familien wegen Corona seit Monaten an der Belastungsgrenze sind. Haben Sie, hat die Landesregierung auch Fehler gemacht?

Die Pandemie hat uns alle überrollt. Sie war ein echter Stresstest. Rückblickend hätte man etwa die Spielplätze nicht schließen müssen, weil wir ja wissen, dass draußen das Infektionsgeschehen anders ist. Sie sehen, mein Blick ist sehr auf die Familien und Kinder gerichtet. Wir muten denen gerade wahnsinnig viel zu. Mein Sohn ist jetzt sechs geworden und ich habe ihn gefragt, ob er sich noch an die Zeit erinnern kann, als die Menschen keine Masken tragen mussten, und er hat gesagt, er weiß es nicht mehr.

Wie würden Sie die fünf Regierungsjahre in der Ampelkoalition bilanzieren? Was haben Sie an der Seite der FDP erreichen können?

Im Interview: Anne Spiegel

40, ist rheinland-pfälzische Ministerin für Familie, Frauen und Integration. Nach dem Rücktritt der Umweltministerin übernahm sie Anfang des Jahres auch deren Ressort. Spiegel startete ihre politische Karriere bei der Grünen Jugend. Seit 2011 gehört sie dem Landtag an, seit 2016 dem Kabinett der Ampelregierung aus SPD, FDP und Grünen unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Über den Bundesrat hat sie sich vehement für die „Ehe für alle“ eingesetzt. Die Politik für Familien, Kinder, für Klimaschutz und Integration nennt sie als ihre wichtigsten Ziele.

Es ist uns gelungen, grüne Projekte im Koalitionsvertrag zu verankern. Wir haben den Ökolandbau gestärkt, auch den Ökoweinbau. Wir haben den Artenschutz, den Natur- und Landschaftsschutz verbessert – und wir haben den Ausbau von Solar- und Windenergie vorangetrieben. Allerdings auf einem geringeren Niveau, als wir Grüne uns das gewünscht hätten.

Sie sind stolz darauf, dass in Rheinland-Pfalz jede zweite Kilowattstunde Strom aus erneuerbaren Energien kommt. Auf den Hochflächen des Hunsrücks steht eine Windkraftanlage neben der anderen. Sind als Nächstes der Bergrücken am Rand des Rheintals und der Pfälzer Wald an der Reihe?

Es gibt Ausschlussgebiete, und die soll es auch weiterhin geben. Aber wir werden mehr Energie brauchen, die aus Wind erzeugt wird. Dabei werden wir ein gutes Stück weiterkommen, indem wir alte Anlagen durch stärkere, neue ersetzen.

Windräder auch in Wäldern?

Wir haben ja leider massive Waldschäden zu beklagen, wegen des Klimawandels und der Borkenkäferplage. Ich möchte die Stellen, wo der Wald schon abgestorben ist, anschauen lassen, ob sie als Standorte geeignet sind.

Sie haben in dieser Legislaturperiode einige Kröten schlucken müssen. So wurde die Hochmoselbrücke fertiggestellt, ein milliardenschweres Bauprojekt, das die Grünen als unsinnig kritisiert hatten. Bei Sankt Goar, mitten im Unesco-Weltkulturerbe, wird eine neue Rheinbrücke gebaut. Ist das die Verkehrswende?

Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass es eine Welterbe-verträgliche kommunale Brücke über den Rhein geben soll. Da liegt der Ball jetzt beim Landrat, aber in der Verkehrspolitik haben wir tatsächlich einiges zu tun. Bei den großen Projekten ist der Bundesverkehrswegeplan maßgebend. Da haben wir als Land keinen Einfluss. Der Bund hat ein Hoheitsrecht und als Land müssen wir das umsetzen, ob wir wollen oder nicht.

Da wäre der erste Hebel, den Bundesverkehrswegeplan in einen „Mobilitätsplan“ umzuwandeln, um von dem einseitigen Blick auf Straßen wegzukommen und auch den Schienenausbau und -verkehr einzubeziehen. Aber wir müssen auch im Land viel tun. Wir wollen den massiven Ausbau des Bus- und Bahnverkehrs. Wir wollen die Verdopplung des Ausbaus des Radwegenetzes. Wir wollen ein E-Car-Sharing-Angebot in jeder Verbandsgemeinde. Und wir wollen ein 365-Euro-Jahresticket für junge Leute, weil der ÖPNV bezahlbar sein muss.

Sind die Grünen nicht oft zu defensiv? Ich denke an die Diskussion um Einfamilienhäuser. Anton Hofreiter hat lediglich auf deren schlechte Klimaschutzbilanz hingewiesen und dass sie nicht die Antwort auf den Wohnungsmangel in Ballungszentren sein können. Trotzdem entsteht jetzt der Eindruck, die Grünen rudern zurück?

Ich bin da offensiv unterwegs, räume dieses Missverständnis aber gerne aus der Welt. Natürlich wollen wir kein Verbot von Einfamilienhäusern, schon gar nicht in Rheinland-Pfalz. Wir sind ein ländlich geprägtes Land. Da gibt es Einfamilienhäuser und da wird es immer Einfamilienhäuser geben. Da haben uns einige bewusst missverstanden, um uns einen Strick draus zu drehen. Die eigentliche Diskussion ist ja eine andere. Boden ist endlich. Und dieser zunehmende Flächenfraß beschleunigt den Klimawandel.

Freie Flächen sind wichtig für die Entstehung von Kaltluft. Wir setzen auf die Wiederbelebung von Ortskernen. Wir brauchen ein Leerstandskataster, damit wir einen Überblick bekommen, wo Häuser leerstehen. Wir müssen die Dorfkerne wiederbeleben, auch mit Fördergeldern, bevor wir Neubaugebiete ausweisen auf der grünen Wiese. Wir fordern Flächenneutralität. Überall dort wo eine neue Fläche versiegelt wird, müssen an anderer Stelle Flächen entsiegelt werden. Und wir brauchen natürlich in den Städten mehr bezahlbaren Wohnraum.

Sie sagen immer wieder, die Schnittmengen sind mit der SPD größer als mit der CDU. Ist Schwarz-Grün keine Option für Rheinland-Pfalz?

Wir gehen bewusst ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf. Wir setzen auf unser eigenständiges grünes Programm. Wir wollen die starke Stimme sein, für Klimaschutz, für eine echte Mobilitätswende und für soziale Gerechtigkeit, vor allem in der Bildungspolitik. Es ist natürlich kein Geheimnis, dass wir die größten Schnittmengen mit der SPD haben. Aber starke Grüne in der Regierung garantieren, dass Rheinland-Pfalz beim Klimaschutz weiter vorangeht, die erneuerbaren Energien weiter ausbaut und die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens einhält.

Sie haben fünf Jahre auch mit der FDP regiert und schließen eine Fortsetzung der Ampel nicht aus. Ist die FDP im Land anders als im Bund?

Es gibt nicht die FDP, sondern es geht immer auch um die handelnden Personen, und da nehme ich die im Bund so wahr, dass sie sich anders positionieren als die hier im Land.

In Berlin ist der Eindruck entstanden, dass die Grünen eine Regierungskoalition mit der CDU anstreben. Sollten die nicht auch über eine Ampel nachdenken?

Ich sehe das anders. Der Fahrplan ist auch im Bund klar. Wir werden zunächst das grüne Programm für die Bundestagswahl beschließen, dann klären wir die Frage, mit welcher Person an der Spitze wir antreten. Alles andere entscheiden wir nach den Inhalten. Es ist jetzt nicht die Zeit für Farbenspielchen.

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2 Kommentare

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  • "Ich möchte die Stellen, wo der Wald schon abgestorben ist, anschauen lassen, ob sie als Standorte geeignet sind." An den Stellen, an denen der "Fichtenforst" (nicht Wald) "dank" Klimawandel und Borkenkäfer abgestorben ist, wäre jetzt Gelegenheit es der natürlichen Sukzession zu überlassen, welche Art von Wald (vermutlich Laubwald) entsteht. Wenn Kunstforste absterben, ist das nicht das Ende des Waldes, den man dann entsprechend zubetonieren kann, sondern der Beginn eines natürlichen Prozesses. Selbst eine Art von vorübergehender Waldbrache wäre für die Natur keine Katastrophe, der Bau von Windrädern inmitten von Wald allerdings schon. Allein der Wegebau und erst recht das Einbetonieren der Fundamente sowie der Betrieb der Windräder sind für gefährdete Arten (Greifvögel, Schwarzstorch, Fledermäuse...) eine größere Katastrophe als das Absterben des Kunstforstes. Vielleicht sind ja die von Frau Spiegel beauftragten "Anschauer" nicht ganz so naturfern wie sie, sofern es sich nicht um "grüne" Windkraft-Lobby handelt.

    • @Berndt Fischer:

      Was man von den Grünen Parteispitzen auf Landes und Bundesebene zum Thema Ökologie und Wald vernimmt ist mittlerweile wirklich nur noch schwer zu ertragen. Es macht den Eindruck das die Partei zur reinen Lobbyvertretung der Windkraft- und Elektroautoindustrie verkommt.



      Auch der unterschiedliche Maßstab beim Flächenfraß durch Wohnen (Einfamilienhaus) und Energieerzeugung (Windkraft) erzeugt bei mir zunehmend nur noch Kopfschütteln. Ich wünsche mir die klare Prioritätensetzung zu PV und zwar auf dem Gebäudbestand. Dies verbunden mit einer Dämmoffensive ist die konfliktarme ökologische alternative zur Reduzierung unseres CO2-ausstoßes im angebrochenen Jahrzehnt.