Grüne Fraktionspitze: Linke will auf Augenhöhe
Die grüne Parteilinke beansprucht einen Platz in der Fraktion: Canan Bayram soll gegen Ramona Pop antreten - falls sie verliert, Dirk Behrendt gegen Volker Ratzmann.
Der linke Flügel der Grünen will künftig in der Doppelspitze der Abgeordnetenhausfraktion vertreten sein. Für die Neuwahl des Vorstands am kommenden Dienstag hat deshalb die Abgeordnete Canan Bayram angekündigt, gegen die seit 2009 amtierende Vorsitzende Ramona Pop anzutreten. Kann sie sich nicht durchsetzen, will Dirk Behrendt, führender Kopf des linken Flügels und wie Bayram aus Friedrichshain-Kreuzberg, gegen Pops Co-Chef Volker Ratzmann antreten. Ratzmann ist seit 2003 im Amt und wie Pop dem Realo-Lager zuzuordnen.
Bayram hatte ihre Abgeordnetenkollegen gegen Ende der Fraktionssitzung am Dienstagabend über ihre Kandidatur informiert. Die heute 44-jährige Rechtsanwältin, deren Schwerpunkt die Integrationspolitik ist, kam 2006 für die SPD ins Landesparlament. Erst im Mai 2009 schloss sie sich den Grünen an. Daraus wurde ein Aufsehen erregender Doppelwechsel, weil kurz darauf die heutige baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney von den Grünen zur SPD ging. In ihrer neuen Fraktion bemühte sich Bayram 2009 vergeblich, in den Fraktionsvorstand zu kommen.
"Es ist so, dass für mich der bisherige Vorstand nicht die ganze Fraktion spiegelt und auch nicht die Partei", sagte Bayram am Mittwoch der taz. "Es gibt die Chance, mit der neuen Legislaturperiode auch in der Fraktion einen Neuanfang zu machen." Sie sieht sich selbst als "integrativen Menschen" und verweist auf das Beispiel der Landespartei. Dort sind mit dem Parteilinken Daniel Wesener und der Reala Bettina Jarasch beide Flügel in der Doppelspitze vertreten sind, obwohl die Linken bei Parteitagen in der Minderheit sind.
Ratzmann (50) und Pop (33) hält Bayram vor, viele Themen nicht ausreichend behandelt zu haben - "und wenn, dann so, wie ich es nicht getan hätte". Als Beispiel nennt sie den Bereich Integration. Da stehe der Realo-Flügel "für ein Fördern und Fordern, wie es auch die CDU vertritt".
Generell sind für Bayram Ratzmann und Pop zu nah an den Christdemokraten dran. "Es ist kein Geheimnis, dass beide große Nähe zur CDU gesucht und gefunden haben, und dass sie in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD nicht so die Zugänge hatten", sagte Bayram. Vor gut einem Jahr schloss aber auch Behrendt ein Bündnis mit der CDU als Juniorpartner nicht aus. "Das sollte man auf jeden Fall ausloten", sagte Behrendt damals der taz, auch wenn er es für unwahrscheinlich halte, dass es zu einem Bündnis kommen würde.
Ratzmann wendet sich gegen die Forderung, die Doppelspitze - der mindestens eine Frau angehören muss - doppelt zu quotieren. "Wir müssen doch mal aus der Flügelarithmetik heraus kommen", sagte er der taz. Die Fraktion solle die wählen, denen sie die Führungsposten am meisten zutraut, unabhängig von der Lagerzugehörigkeit. "Ich habe den Anspruch, die Fraktion als Ganzes zu führen und nicht nur Flügelrepräsentant zu sein", sagte Ratzmann. Ähnlich äußerte sich Pop. "Es darf nicht so sein, dass Spitzenposten nach Proporz vergeben und zwischen Flügeln verkungelt werden", sagte sie. "Das entspricht nicht meinem Demokratieverständnis."
Bayram mochte keine Zahl nennen, wie viele der nun 29 Abgeordneten sie in der Fraktion als Linke einordnet. Zu hören sind Zahlen zwischen neun und zwölf. Die Grünen waren bei der Wahl am 18. September zwar weit hinter Umfragenwerten zurück geblieben, die sie noch im Mai bei 30 Prozent sahen. 17, 6 Prozent bedeuteten aber immer noch ihr bislang bestes Ergebnis und sechs Sitze mehr als bislang. Der linke Flügel, vor allem in Friedrichshain-Kreuzberg zuhause, hatte dabei sehr stark abgeschnitten.
Wie weit die Doppelspitze Ratzmann/Pop und das Duo Bayram/Behrendt auseinander liegen, war zu Jahresbeginn bei der Räumung des Hauses Liebigstraße 14 in Friedrichshain zu sehen. Die Fraktionschefs hatten die Räumung als rechtlich unabwendbar bezeichnet, Ratzmann forderte die Bewohner auf, das Haus zu verlassen. Bayram und Behrendt hingegen vertraten im Innenausschuss des Parlaments eine ganz andere Haltung.
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